Lkw-Kontrollen in der Krise Fahrer in Einzelhaft

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath
Meinung

In ganz Deutschland herrscht Kontaktsperre. In ganz Deutschland? Nein. Auf der Raststätte Frechen an der A 4 duften Fahrer an Ostern vor den Augen der Autobahnpolizei zwischen den Aufliegern kochen und sich betrinken. Das ist menschlich verständlich, aber vollkommen inkonsequent.

Deutschland ist im Ausnahmezustand. Wir befinden uns durch die Coronakrise im Shutdown, die Wirtschaft liegt zum größten Teil lahm. Die deutschen Transportunternehmen kämpfen um ihre Existenz, immer mehr Fahrer sind in Kurzarbeit. Für weite Teile der Bevölkerung heißt das: Kontaktsperre. Auch über Ostern. Und das beim ersten Anzeichen des Frühlings. Kein Eis darf man zu zweit innerhalb von 50 Metern vom Italiener essen, Einkaufen geht teilweise nur mit Maske und nach langer Wartezeit in der Schlange vor dem Laden. Liegen im Park die Menschen zu dicht beieinander, taucht alsbald eine Polizeistreife auf. In dem Kölner Viertel, in dem ich wohne, sind sogar die Spielplätze abgesperrt. Als einige Mütter am Sonntag auf dem daneben liegenden Parkplatz mit den Kindern spielten, gab es eine Anzeige. Alles nur, damit sich das Virus nicht weiter verbreiten kann.

Parallelwelt Autobahn

An Ostersamstag habe ich meiner Mutter die Einkäufe vorbeigebracht, die meine Frau vorab unter erschwerten Bedingungen im Einzelhandel besorgt hatte. Ich habe den Transport übernommen. Handelslogistik gewissermaßen. Meine Mutter wohnt nicht allzu weit weg vom Autobahnkreuz Köln-West und damit von der Raststätte Frechen an der A 4, der europäischen Transitstrecke schlechthin. Ich wollte mir nur mal schnell einen Überblick verschaffen, ob die Parkplätze diesmal leer sind. Denn in den sozialen Medien wird seit Tagen kolportiert, dass vor allem die Flotten aus Osteuropa weitestgehend die Flucht in die Heimat angetreten hätten.

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Bis auf den letzten Platz belegt

Was für ein Irrtum. Auf beiden Seiten der Raststätte waren die Lkw-Parkplätze bis auf den letzten Platz belegt. Nahezu alles Lkw aus Osteuropa. Stand dort der Lkw einer deutschen Spedition, saß ein Fahrer aus Polen drin. Ich bin durch die Reihen gegangen und habe gefragt. Die Mehrheit der Fahrer musste bis zum Dienstagmorgen warten, um weiter fahren zu können – oder teilweise in NRW abzuladen. Also drei ganze Tage hintereinander im Lkw verbringen. Das ist spätestens seit September 2017 nach einer Ergänzung im Fahrpersonalgesetz auch in Deutschland verboten. Es ist zwar die originäre Aufgabe des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG), dieses Verbot zu kontrollieren, aber eigentlich auch der Autobahnpolizei. Doch die verweist bei meinen vielen Nachfragen lieber gleich zurück ans BAG.

Im Lkw in Quarantäne

Es ist eine menschliche Katastrophe, dass nun in der Coronakrise die osteuropäischen Fahrer regelrecht dazu verdammt sind, in ihren Lkw zu verharren. Denn die theoretische Möglichkeit, alternativ in ein Hotel zu gehen, ist ihnen ebenfalls verwehrt, da auch die meisten Hotels geschlossen haben. Britische Medien haben Anfang April berichtet, dass ein russischer Fahrer, der auf sich auf einem Parkplatz bei Swindon mit seinem eigenen Verdacht auf Corona gemeldet hatte, vierzehn Tage in seinen Lkw in Quarantäne bleiben musste. Also vierzehn Tage Einzelhaft. Andere Fahrer hatten die Sorge ausgesprochen, dass sie sich beim Gang auf die sanitären Anlagen selbst infizieren könnten.

Versteckt zwischen den Aufliegern

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath

Und so ist es menschlich allzu verständlich, dass die Fahrer sich auch auf den deutschen Raststätten dann doch irgendwann aus den Fahrerhäusern bewegen und sich zusammen an die Auflieger stellen, gemeinsam kochen und, ja, auch trinken. Denn von Samstagnachmittag bis Dienstagmorgen ist es eine verdammt lange Zeit. Leider hat es - auch vor der Coronakrise - unter diesen unmenschlichen Zuständen im Suff immer wieder brutale Schlägereien und sogar Messerstechereien gegeben. Aber das ist heute nicht mein Thema. Dieser Verstoß gegen die Kontaktsperre hat sich ausgerechnet vor den Augen der Autobahnpolizei Köln abgespielt. Dort, wo am Samstag eine Phalanx an Streifenwagen stand. Osteuropäische Fahrer wissen schon lange, dass sie dort nicht wirklich Probleme bekommen, wenn sie das Wochenende verbringen müssen.

Die Hotspots des Sozialdumpings bleiben weiter unkontrolliert

Bereits im März hatte ich in meinem Blog „Durchgreifen! Jetzt!“ die Zustände in den Terminals des Kombinierten Verkehrs und der Binnenhäfen, die selbst BAG-Präsident Andreas Marquardt als „Hotspots des Sozialdumpings“ bezeichnet, beschrieben. Und bis heute bekomme ich Nachrichten von Fahren oder Anwohnern aus dem Logport in Duisburg, dass sich im Großen und Ganzen nichts an den Zuständen geändert hat. Die mittlerweile in diesem Blog nachgetragene Antwort des Innenministeriums lautete:

„Die Polizei in Duisburg ist zusammen mit anderen Behörden seit geraumer Zeit mit der Verkehrssituation des gewerblichen Güterverkehrs am und im Umfeld des Logports Duisburg befasst. Dazu gehört auch die dortige Überwachung des gewerblichen Güterverkehrs. Im Zusammenhang mit den Beschränkungen durch die Corona-Pandemie werden durch die Polizei Duisburg zur Unterstützung der originär zuständigen Ordnungsbehörden im gesamten Duisburger Stadtgebiet wie auch am Logport Kontrollen der Kontaktsperren durchgeführt. Schwerpunktmäßig werden die Kontrollmaßnahmen dort durchgeführt, wo es zu erheblichen Missachtungen der Kontaktverbote kommt.“

Vor den Augen der Autobahnpolizei

Und so bin ich am Ostersamstag zur Wache der Autobahnpolizei gegangen, habe mich dort als Journalist vorgestellt und habe gefragt, warum die Kontaktsperre, die im Prinzip auch für die Fahrer aus Osteuropa gilt, nicht kontrolliert würde. Nach einer guten Viertelstunde hat sich dann in der Tat eine Streife aufgemacht und nach der Gruppe gesucht. Doch vom Auto aus sind die Fahrer natürlich nicht zu finden. Ich musste die beiden Beamten regelrecht dorthin führen. Und ich habe ihnen gesagt, dass diese Fahrer, von denen niemand weiß, ob sie das Virus in sich tragen, ab Dienstag wieder mit den Mitarbeitern der Kunden und anderen Fahrer an den Ladestellen zusammentreffen.

Das ist angesichts der harten innerstädtischen Kontrollen der Polizei und den ewigen Hinweisen an die normale Bevölkerung, konsequent auf die Hygiene zu achten, für mich schlicht verantwortungslos. Sowohl von den Arbeitgebern der Fahrer – als auch von den Kontrollbehörden. Im Grunde dürften diese osteuropäischen Lkw-Fahrer unter diesen Umständen gar nicht mehr am nationalen und internationalen Güterverkehr teilnehmen. So hart es die Fahrer, die dann sofort ihren Job verlieren und nicht durch ein soziales Netz wie in Deutschland aufgefangen werden, auch trifft.

Stellungnahme des Innenministeriums

Auf meine Nachfrage hat mir das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen folgende im Grunde nichtssagende Antwort gegeben: „Für die Polizei Nordrhein-Westfalen ist festzuhalten, dass diese unter gebührender Berücksichtigung der aktuellen Lage nach wie vor landesweit die Sozialvorschriften im Straßenverkehr von in- und ausländischen Fahrzeugführern nach pflichtgemäßen Ermessen überprüft und Ordnungswidrigkeiten im Bereich aller Lenk- und Ruhezeiten verfolgt, sofern keine besonderen aktuellen Ausnahmeregelungen bestehen.“

Weiter heißt es: „Zu Ihren Feststellungen im Bereich der Autobahnraststätten Frechen Nord und Süd an der A 4 werden sich die Kölner Kollegen mit Ihnen in Verbindung setzen.“ Die Polizei Köln lässt sich dagegen mit der Beantwortung Zeit, wie mir gestern ein Pressesprecher schrieb: „Den in Ihrer Email vom 11.04.2020, 20:20 Uhr, beschriebenen Sachverhalt hat die Polizei Köln erst als Beschwerde eingeordnet und nicht als Medienersuchen. Unabhängig von der Einordnung gehen wir Ihrer Anfrage sofort nach und haben die Autobahnpolizei zwischenzeitlich zur Stellungnahme aufgefordert. Ihre Fristsetzung ist für uns erstmal unbeachtlich. Sie werden von der Polizei Köln nach Eingang der Stellungnahme der Fachdirektion unmittelbar und zeitgerecht eine Antwort erhalten.“

Sobald die Antwort kommt, werden wir Sie an dieser Stelle nachreichen.

Stellungnahme bes BAG

Das BAG hat meine grundsätzliche Frage ebenfalls grundsätzlich beantwortet: "Der Straßenkontrolldienst des Bundesamtes setzt derzeit seine Kontrolltätigkeit mit den durch die Corona-Pandemie gebotenen Maßnahmen und Einschränkungen fort. In diesem Rahmen werden auch die Vorschriften über die Einhaltung der Wochenruhezeit geprüft und im Falle der Zuwiderhandlungen konsequent verfolgt und geahndet. Im Rahmen seiner Kontrollen hat das Bundesamt die Befugnis, die Weiterfahrt zu untersagen (z.B. bei einem Fahrer, der seine Ruhezeit einlegen müsste) aber nicht die Befugnis, einen Platzverweis auszusprechen, z.B. um den Fahrer nach Hause zu schicken. Dem Bundesamt ist bewusst, dass Fahrer auch fernab der Autobahnen ihre Ruhezeiten verbringen. In Bereichen, in denen sich am Wochenende verstärkt Fahrer mit ihren Lkw aufhalten, arbeitet der Kontrolldienst mit den Behörden vor Ort und dem Zoll zusammen und stimmt sich laufend ab. Und auch hier werden festgestellte Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Wochenruhezeiten konsequent verfolgt und geahndet. Allerdings ist hierbei auch darzustellen, dass eine Vielzahl von Fahrern die Ruhezeit beanstandungsfrei verbringt. Dies gilt z.B. im Falle der Verbringung einer verkürzten Wochenruhezeit. Aufgrund der aktuellen Situation sind Abweichungen zugelassen worden. Insbesondere kann ein Fahrer zwei aufeinanderfolgende reduzierte wöchentliche Ruhezeiten, bei entsprechendem Ausgleich im Folgezeitraum, einlegen." In der nächsten Woche haben wir den Abteilungsleiter für den Straßenkontrolldienst, Bernd Krekeler, zu Gast bei FERNFAHRER Live. Der genaue Termin wird noch bekannt gegeben.

Heute Abend, zum „Tag der Logistik“, haben wir ab 17 Uhr den parlamentarischen Staatssekretär Steffen Bilger, den Koordinator für Güterverkehr im Bundesverkehrsministerium, zu Gast. An Ihn geht zur Halbzeit unseres Sendemarathons die große Frage: Wie und wann kommen wir aus der Krise wieder heraus? Am kommenden Donnerstag 23.4. ist Bernd Krekeler, Referatsleiter des Straßenkontrolldienstes beim Bundesamt für Güterverkehr zu Gast in der Sendung.

Ich hoffe, wir sehen uns.

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