Lkw-Demo in Berlin Protest der Verzweifelten

Foto: Horst Beständig
Meinung

Für den 19. Juni hat ein neues Bündnis von kleinen und mittelständischen Transportunternehmen zu einer Kundgebung gegen den zerstörerischen Wettbewerb im Straßengüterverkehr in Berlin aufgerufen. Bis zu 80 Lkw werden derzeit erwartet, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Doch wie realistisch sind diese überhaupt?

Die Banner sind gedruckt. Wenn dieser Blog erscheint, sind die Lkw der kleinen und mittelständischen deutschen Transportunternehmen längst auf dem Weg nach Berlin. Viele haben noch Ladungen in die Hauptstadt oder die Region bekommen. „Stand heute rechnen wir mit 80 Lkw, die laut der festen Zusagen unserer Vereinigung BLV zu der Demo kommen“, sagt Konstantin Popov, ein Unternehmer mit 20 eigenen Lkw aus Süddeutschland. „Vielleicht werden es am Ende mehr oder weniger. Aber die Demo findet trotz aller Zweifler und Kritiker in den sozialen Medien statt. Wir wollen unseren Forderungen an die Politik Nachdruck verleihen. Denn gerade den kleineren Firmen aus der Logistik steht durch das Preisdumping vor allem der Frachtführer aus Osteuropa das Wasser bis zum Hals.“

Von den „schwarzen Schafen“ bis zur BLV pro Initiative

Begonnen hat alles mit der Facebookseite „Schwarze Schafe für Speditionen und Logistkdienstleister“, die Popov zu Beginn der Corona-Krise ins Leben gerufen hat und auf der die schlimmsten Angebote der Frachtenbörse Timocom veröffentlicht wurden. Auch Eurotransport hat sich dem Thema des massiven Frachtverfalls und den Konsequenzen am Beispiel von DB Schenker angenommen. Doch das war nur die Spitze des Eisbergs. Kleine Frachtführer haben mir immer wieder interne Schreiben von ihren langjährigen Partnern aus der deutschen Logistik zukommen lassen, die zeigen, mit welchen Mitteln sie durch für deutsche Kosten nicht zu leistende Kilometerpreise unter Druck gesetzt wurden. Motto: Friss oder stirb!

Bei einem extremen Überhang an Laderaum ist das die brutale Seite der freien Marktwirtschaft. Und so haben sich im Laufe der Zeit immer mehr kleine und mittelständische Firmen Popovs Idee angeschlossen, in Berlin zu demonstrieren. Damit der Exodus deutscher Unternehmen jetzt verhindert wird. Der öffentliche Auftritt wurde im Laufe der Zeit professionalisiert und läuft nun unter dem Namen www.blv-pro.de. Das steht für BLV pro Initiative – Spedition und Logistik.

Der BGL hält sich zurück

Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), der im letzten Jahr im Rahmen der Verhandlungen zum Mobilitätspaket noch selber zu einer Sternfahrt nach Brüssel aufgerufen, diese aber nicht durchgeführt hatte, wollte sich nicht an der Aktion beteiligen. Auch aus Sorge, dass die Demo ein Flopp werden könne. Unterstützung bekommt das Organisationsteam von Udo Skoppeck, der bereits 2013 die Fahrerproteste in mehreren deutschen Städten organsiert hatte. Ihm sind auch die extrem ausführlichen Texte zur EU-Gesetzgebung zu verdanken. Ob die Kundgebung am 19. Juni ein Erfolg wird, kann ich im Vorfeld nicht beurteilen. Ich will hier versuchen, sie etwas ins politische Geschehen einzuordnen.

Lkw-Protest oder politische Diplomatie?

Der Lkw-Protest kommt nur wenige Wochen, bevor am 8. oder 9. Juli im Europäischen Parlament das Mobilitätspaket mit vielen Kompromissen final beschlossen wird. Das ist vor allem ein Verdienst von drei Jahren politischer Diplomatie, an der das Bundesverkehrsministerium (BMVI) über den Rat der EU-Verkehrsminister und der BGL (sowie andere Verbände und die Gewerkschaften) durch seine kontinuierliche Lobbyarbeit in Brüssel beteiligt war. „Doch bis die beschlossenen Maßnahmen ab 2021 möglicherweise greifen, wird es viele der kleinen Frachtführer gar nicht mehr geben“, befürchtet der Mitorganisator Michael Finkbeiner. Denn die Corona-Krise hat den Wettbewerb zu unterschiedlichen Bedingungen auf dem deutschen Markt massiv verschärft, wie es jetzt auch der Spediteur Jochen Köppen aus Duisburg am Beispiel des Kombinierten Verkehrs in einem Brandbrief an die Politik verfasst hat.

Neun Forderungen an die Politik

Auch die Organisatoren der Demo werden nun neun Forderungen in einem „Brandbrief“ an die Politik übergeben, die Kurzformeln sind hier in der Grafik zu lesen. Da ist der „Mindestpreis pro Kilometer bei Komplettladungen“. Angesichts von Touren von 60 bis 80 Cent pro Kilometer, die vor allem über die Frachtenbörsen angeboten werden, absolut verständlich. Denn die Kosten eines deutschen Frachtführers liegen bei mindestens 1,25 Euro. Doch feste Tarife wurden im europäischen Binnenmarkt bereits Mitte der 90er Jahre aufgehoben.

Foto: BLV pro Initiative
Die Forderungen

Die EU-Kommission hat immer wieder betont, dass sie an diesem Prinzip weiter festhalten will. Bei der grundsätzlichen „Anhebung der Strafen bei Verstößen gegen geltendes EU-Recht“ gibt es in der Tat in Deutschland gar keine zentrale Bußgeldstelle, im föderalen Deutschland liegen die Bußgelder teilweise in der Hoheit der 16 Bundesländer. Im deutschen Fahrpersonalgesetz etwa, also der nationalen Umsetzung der VO (EG) 561/2006, gelten die meisten Verstöße als Ordnungswidrigkeit. Hier sind die Bußgelder im Vergleich zu anderen Ländern wie Belgien (Strafrecht) relativ niedrig. Im Zuge des Mobilitätspaketes können Verstöße gegen die Kabotageverordnung und das geplante „Lex Specialis“ der Entsendung in Zukunft allerdings zum Entzug des Marktzugangs führen.

Verbot von Frachtvermittlungen

Frachtvermittlung kann bedeuten, dass ein klassischer „Sofa-Spediteur“ Beförderungen für den Versender organisiert und im Zuge dessen Frachtverträge mit Frachtführern schließt. Die Frachtführer müssen, wenn sie Fahrzeuge über 3,5 t zGG einsetzen, eine Genehmigung besitzen. Der Spediteur benötigt in derartigen Fällen als frachtrechtlicher Absender keine güterkraftverkehrsrechtliche Genehmigung. Wenn Frachtvermittlung bedeuten soll, dass bereits ein Frachtvertrag zwischen einem Absender und einem Frachtführer besteht, dieser aber den Frachtvertrag an einen Unterfrachtführer „weiterreicht“, geht das nur, wenn der Unterfrachtführer auch eine güterkraftverkehrsrechtliche Genehmigung besitzt.

Zur Sicherstellung der rechtskonformen Abwicklung gibt es in Deutschland den Paragrafen 7c GüKG, der besondere Kontrollpflichten für den Auftraggeber einer Transportdienstleistung benennt. Dieser muss prüfen, ob der Frachtführer eine Genehmigung besitzt. Gesetzlich ist das also alles geregelt. Wenn sich aber jemand aktiv nicht an die Gesetze hält, kommt man diesem Treiben in aller Regel nicht bei, indem man eine Genehmigungspflicht fordert, die in der Sache widersinnig ist.

Freigabe der Mautdaten

Die anderen Forderungen bauen im Grunde aufeinander auf. Die These: die aktuelle Störung des deutschen Frachtmarktes liegt in wesentlichen Punkten am Wettbewerbsvorteil der Flotten aus Osteuropa, die diese durch das dort nicht illegale Mindestlohn-Spesen-Model mit geringeren Sozialabgaben haben. Daher können diese kleinen und großen Frachtführer beim nationalen Transport im Rahmen der ebenfalls legalen Kabotage natürlich billiger anbieten. Auch um legale von illegaler Kabotage zu unterscheiden, soll das BAG nun möglichst Zugriff auf die Mautdaten bekommen.

Denn die jeweilige Mautstatistik der Oberbehörde des BMVI erfasst lediglich den Anteil der mautpflichtigen Lkw auf mautpflichtigen Strecken. Der lag zuletzt im April bei 59,7 Prozent für die heimischen und 40,3 Prozent für die ausländischen, mehrheitlich osteuropäischen Frachtführer – was aber nichts mit dem Anteil der jeweiligen Lkw am deutschen Frachtmarkt zu tun hat, da ein nicht unerheblicher Anteil im Transitverkehr unterwegs ist, was das BAG aber nicht feststellen kann. Der deutsche Anteil jedenfalls hat wieder leicht zugelegt.

Mautdaten auch nicht bei Mord

Doch nicht einmal bei Kapitalverbrechen wie Mord unter osteuropäischen Lkw-Fahrern kann die Staatsanwaltschaft wie bereits passiert auf die Mautdaten zurückgreifen. „Der Gesetzgeber hat im Bundesfernstraßenmautgesetz (BFStrMG) explizit geregelt, welche Daten zum Zwecke des Betriebs des Mauterhebungssystems (§ 4 Absatz 3 BFStrMG) und im Rahmen der Kontrolle der Mautentrichtung (§ 7 Absatz 2 BFStrMG) verarbeitet werden dürfen“, sagt das BAG auf Nachfrage. „Zudem hat er eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme dieser Daten nach anderen Rechtsvorschriften ausgeschlossen. Diese Daten dürfen ausschließlich zum Zwecke der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes verarbeitet und genutzt werden.

Eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme nach anderen Rechtsvorschriften ist unzulässig. Unabhängig von der Frage, ob das Bundesamt für Güterverkehr über die Mauterhebungs- und Kontrolldaten verfügt bzw. ob die Daten für die Verfolgung von Verstößen z.B. gegen das Kabotage-Verbot geeignet sind, lässt diese zwingende Rechtslage eine Übermittlung bzw. Nutzung solcher Daten nicht zu.“ Hier wäre ein komplette Änderung des Gesetzes nötig.

Ein Jahr Marktteilnahme ohne Kabotage

Die lückenlose Überwachung der Kabotage durch die Mautdaten wäre zwar wünschenswert, ist aber kurzfristig kaum umsetzbar. Eine baldmögliche Zulassung des E-CMR auch zur Kontrolle ist zwar auch im Mobilitätspaket vorgesehen, scheitert aber nach Aussage aus Brüssel daran, dass einzelne Mitgliedstaaten, darunter gerade Deutschland, es nicht umsetzen. Deutschland allein könnte in der Tat den Paragrafen 20 der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr abschaffen. Nach der Fahrzeug-Zulassungsverordnung - FZV) dürfen diese Fahrzeuge vorübergehend bis zu einem Jahr am Verkehr im Inland teilnehmen. Das ermöglicht es derzeit wohl vor allem lettischen und litauischen Frachtführern wie etwa Girteka auch im Auftrag für Amazon mit Teilen der Flotte ohne Kabotage rein nationale Transporte durchzuführen.

Gibt es eine Markstörung durch Kabotage?

Und so kommt am Ende die große Frage: Gibt es eine Marktstörung durch die Kabotage, sodass Deutschland eine Aussetzung derselben für sechs Monate bei der EU beantragen könnte? Offenbar sieht Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der ab 1. Juli im Bereich Verkehr und Mobilität die Ratspräsidentschaft für Deutschland übernimmt, dazu keine Veranlassung. Er bezieht sich in seiner Einschätzung wohl weitestgehend auf die von seinem Ministerium angeordneten Sonderkontrollen des BAG. Diese können – oder wollen – eine Marktstörung allerdings nicht belegen. Was wiederum zu höchst berechtigten Forderung führt, doch bitte dort zu kontrollieren, wo die höchste Kabotage vermutet wird. Denn die tägliche Erfahrung der betroffenen Unternehmen ist eine vollkommen andere als die der Kontrollbehörde. Bleibt also zu hoffen, dass sie sich der Protest der zu Recht verzweifelten Frachtführer nun in Berlin Gehör verschafft.

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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