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Lenk- und Ruhezeiten Durchs Netz geschlüpft

Das deutsche Kontrollnetz ist löchrig. Nur so lässt es sich erklären, warum polnische Fahrer ihre Ruhezeiten im Lkw im Wormser Hafen oder beim Transit nach Hause verbringen.

Die Landesverbände der deutschen Transportunternehmer klagen über die zunehmende Kabotage gebietsfremder Frachtführer, vornehmlich aus Osteuropa. Und die deutschen Lkw-Fahrer bangen um ihre Jobs – und halten nicht länger still, wenn ihnen nun sogar schon die Touren im Nah- und Regionalverkehr vor der Nase weggefahren werden. Michael Schmalz und Markus Rüdiger wandten sich daher an die Ludwigshafener EU-Parlamentarierin Jutta Steinruck (SPD), die in Brüssel im Ausschuss für Beschäftigung und Soziales aktiv ist.
 
Die Beobachtung der beiden Lkw-Fahrer: Seit Ende Oktober transportiert das polnische Transportunternehmen Bednarek aus Turek nahe Lodz über das von der Rhenania Worms betriebene KV-Terminal Trailer von Lkw Walter im nationalen Vor- und Nachlauf.

Polnische Fahrer beantworten Fragen ganz offen

Bei einem Vor-Ort-Termin zusammen mit Steinruck gehen Schmalz und Rüdiger im Mai sogar auf die polnischen Fahrer zu – und diese beantworten ihre Fragen ganz offen, während sie auf eine SMS warten, die ihnen die Nummer des nächsten Trailers übermitteln soll.

Aus den Gesprächen ergibt sich ein Bild, wie der polnische Frachtführer seine Touren organisiert hat. Dabei geht es nicht um die Frage, ob der Vor- und Nachlauf von einem Kombiterminal Kabotage ist. Dieser Teil ist laut EU-Richtlinie 1072/2009 legal. Es geht auch nur am Rande um den Umstand, dass die polnischen Fahrer nach eigenen Angaben einen Lohn von 1.050 Euro im Monat bekommen, der deutlich unter den regional üblichen Löhnen deutscher Fahrer liegt.

Verstoß gegen die EU-Verordnung 561/2006

Hier in Worms – und vermutlich in vielen weiteren Häfen und Bahnterminals auch – geht es um ein sehr komplexes Zusammenspiel von Sozial­vorschriften und Arbeitszeitgesetz, das am Ende dazu führt, dass der Transportauftrag, so wie er von Bednarek in Worms durchgeführt wird, ein Verstoß gegen die EU-Verordnung 561/2006 ist. Allerdings scheitert die Aufdeckung solcher Fälle an den unterschiedlichen Kontrollaufgaben von Bundesamt für Güterverkehr, BAG, der Polizei der Bundesländer und den zuständigen Ämtern für Arbeitsschutz. Und schlicht der Frage, ob jemand seine Beobachtungen zur Anzeige bringt.

Nach Angaben der polnischen Fahrer selbst sind diese in der Regel immer zwei Blöcke je 14 Tage im Hafen Worms und verbringen diese Zeit im Lkw. Jeweils das erste Wochenende halten sie dabei ihre regelmäßige wöchentliche Ruhezeit (45 Stunden) im Hafen ein. Da jedoch laut Artikel 8/Absatz 8 der EU-Verordnung nur die tägliche und die verkürzte Ruhezeit im Lkw verbracht werden kann, liegt hier ein Verstoß vor, der nach deutschem Recht bislang aber nicht konsequent geahndet werden kann – weswegen sich die Behörde nach wie vor schwer tut, diese massenhaften Verstöße an den Wochenenden ernsthaft zu verfolgen.

Die EU-Kommission (DG Move) hat auf Anfrage von trans aktuell bestätigt, »dass Lkw-Fahrer ihre regelmäßige wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden unter keinen Umständen im Lkw verbringen dürfen« und "dass die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, das zu kontrollieren". So sollen "die Arbeitgeber ermutigt werden, die Touren so zu planen, dass die Fahrer mindestens jede zweite wöchentliche Ruhezeit am heimischen Standort des Lkw verbringen".

Den Polen bleibt nur ein kurzes Wochenende

Das legt Bednarek offenbar anders aus: An jedem zweiten Wochenende brechen die neun polnischen Fahrer am Freitagabend, zum Teil erst nach 22 Uhr, mit einem neunsitzigen Bus nach Turek auf, Reisezeit rund zehn Stunden, Ankunft Samstagmorgen gegen neun Uhr. Nach einem kurzen Wochenende geht dort am Sonntagabend gegen 19 Uhr die Tour zurück nach Worms, sodass die Fahrer am Montag pünktlich wieder auf die Lkw steigen können.
Damit könnten zwei weitere Verstöße anstehen: Einerseits handelt es sich dabei nur um eine verkürzte wöchentliche Ruhezeit, die ausgeglichen werden muss. Und wenn die Fahrer nach zehn Stunden Anreise die als »andere Arbeit« im Tacho nachzutragen ist, in Worms ankommen, müssten sie eigentlich nach dem Arbeitszeitgesetz erst eine entsprechende Pause von neun oder elf Stunden machen, bevor sie einen Lkw lenken. Sollte die Arbeitszeit nicht im Tacho nachgetragen werden, handelt es sich zusätzlich um eine klare Ordnungswidrigkeit, um den Verstoß zu vertuschen. Bei normalen Straßenkontrollen des BAG fällt die Methode so nicht auf.

Das Unternehmen Lkw Walter setzt europaweit rund 10.000 Frachtführer ein, davon 600 allein in Deutschland. Gegenüber trans aktuell nimmt Lkw Walter Stellung. Demnach fand auf unsere Anfrage hin ein Gespräch mit dem Frachtführer statt: "Im Rahmen des Meetings wurden unsere Grundlagen der Zusammenarbeit – insbesondere die strikte Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten – nochmals ausführlich besprochen. Herr Bednarek hat uns versichert, dass die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten eingehalten werden, und hat dies auf unser Verlangen auch zwischenzeitlich schriftlich nochmals bestätigt." In dieser Mail schreibt Mateusz Bednarek im Widerspruch zu seinen Fahrern selbst allerdings nur, dass seine Fahrer jeweils eine Woche frei haben, bevor sie wieder zur Arbeit nach Deutschland fahren.

Ob sich das BAG oder eine andere Kontrollbehörde tatsächlich um die von den beiden deutschen Fahrern angezeigten Vorwürfe kümmert, ist fraglich – ein Ergebnis einer Ermittlung würde auch nicht veröffentlicht. Für Jutta Steinruck steht dagegen fest, dass die Einhaltung von Gesetzen durch strenge und wirksame Kontrollen sichergestellt sein muss. "Dazu müssen wir auf der europäischen Ebene für eine gute Vernetzung der Kontrollbehörden sorgen. Wir sollten auch über die Idee nachdenken, eine europäische Kontrollbehörde für besonders komplizierte Fälle, die mehrere Mitgliedsstaaten und Briefkastenfirmen umfassen, einzuführen", sagt die EU-Politikerin.


Die Kontrollsituation

Konzepte osteuropäischer Frachtführer, wie sie sich mittlerweile in vielen KV-Terminals und Häfen zu Lasten der regionalen Frachtführer etabliert haben, funktionieren nur, weil sie durch das aktuelle System der Kontrollmaßnahmen in Deutschland nicht entdeckt werden. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) kontrolliert ausschließlich auf der Autobahn und überwiegend von Montag bis Freitag. Es kontrolliert nur die Lenk- und Ruhezeiten, nicht die Arbeitszeiten der Fahrer. Wenn Fahrer ihre Anreise im Bus nicht im Tacho nachtragen, haben die Kontrolleure kaum eine Möglichkeit, den Schwindel aufzudecken. Auch die Polizei der Bundesländer kontrolliert im Rahmen der Verkehrssicherheit nur die Lenk- und Ruhezeiten. Die Gewerbeaufsichts­ämter der Bundesländer kontrollieren zwar auch die Arbeitszeit, aber nur in den deutschen Betrieben, wenn sich Anzeigen von Straßenkontrollen durch BAG und Polizei häufen. Gebietsfremde Unternehmen, die ihre Fahrzeuge dauerhaft in Deutschland stationiert haben, werden nicht kontrolliert. Ein möglicher Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz wiederum kann nur in Polen selbst von den dortigen Behörden geahndet werden.

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