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Kriminalität Sie kamen in der Nacht

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Nicht nur die Ladung ist begehrt – auch Lkw-Ersatzteile und sogar ganze Zugmaschinen werden bandenmäßig gestohlen. trans aktuell zeigt ein Beispiel aus dem Westerwald.

Es liest sich wie ein Krimi, aber für die Brüder Volker und Toni Jungbluth ist das Maß voll. Spätestens seit dem 21. November des vergangenen Jahres, als sie frühmorgens einen Anruf aus ihrer Firma Jungbluth Nutzfahrzeuge mit Sitz in Plaidt bekamen: In der Nacht war am Standort Ransbach-Baumbach ein neu angelieferter Volvo FH16 (Asphatec) aus der Prüfhalle gestohlen worden. Der Sachschaden belief sich auf mehr als 100.000 Euro. Noch schlimmer aber, dass das Fahrzeug speziell in der Ausführung für den Kunden bestellt wurde – und dieser mit einem entsprechenden Modell erst wieder 2014
in der Kalenderwoche elf rechnen kann.

Täter gehen planmäßig vor

Ocean’s Eleven und andere Kinofilme lassen grüßen, denn die Täter gingen äußerst planmäßig vor. In der Hauptwerkstatt schlugen sie eine Scheibe ein und stiegen in das Gebäude ein – ohne dass der Bewegungsmelder anschlug und sich die Alarmanlage regte. Aus einem Schlüsselkasten entwendeten sie den Torschlüssel und fuhren mit der Sattelzugmaschine aus der Halle. An der Grenze zum Nachbargelände zogen sie einen Zaunpfosten aus dem Boden, durchschnitten den Maschendrahtzahn und entkamen so über das Nachbargelände, bei dem auch noch das Tor kaputt war, auf die Straße und in die Nacht. Ein oder zwei Tage später soll das weiße Fahrzeug mit den auf Kundenwunsch hellblau lackierten Tanks an der Raststätte Hochwald-West an der A 1 Richtung Luxemburg gesichtet worden sein. Dann verliert sich seine Spur.

Genau zwei Monate zuvor war das Unternehmen zuletzt bestohlen worden: In der Nacht zum 21. September schraubte ein Monteur der Firma in der Werkstatt bis 23.15 Uhr an seinem privaten Auto herum, schloss die Halle ab und verließ dann das Firmengelände, das sich am Ende einer Stichstraße befindet. Wieder filmreif: Die Täter knipsten am Anfang der Stichstraße die Straßenlampen bis zur Firma Jungbluth ab und machten sich auf dem Firmengelände an den dort abgestellten Fahrzeugen – meist Lkw von Kunden, die für einen Werkstatttermin angemeldet waren – zu schaffen. Ihre Ausbeute: "Lkw-Fronten, Scheinwerfer, Spiegel, Adblue-Anlagen, komplette Sitze und Tür-Bedienungsanlagen sowie Tachografen, Navigeräte und private Mobilfunkgeräte, die sich in den Fahrerkabinen befanden", erzählt Volker Jungbluth. Den Versicherungsschaden allein für diese Nacht gibt er mit 72.000 Euro an.

Täter bauten Scheinwerfer "fachmännisch" aus

Im Oktober verschonten die Kriminellen die Firma Jungbluth und suchten stattdessen die Nachbarschaft auf. Im selben Ort, etwa 500 Meter weiter, wurden bei der Firma Peter Gelhard, einem Hersteller von Naturdärmen, bei sechs Scania-Zugmaschinen und zwei Volvo die vorderen Scheinwerfer "fachmännisch ausgebaut", wie es im Bericht der Polizeidirektion Montabaur heißt. Aus den beiden Volvo wurden zusätzlich die Digitaltachos und zwei Handys gestohlen. Schadensumme nach Unternehmensangaben: 26.000 Euro. Anstrengender war es wohl in der Nacht zuvor, als die Täter bei einem Transportunternehmen im sechs Kilometer entfernten Wirges 23 Lkw aufgebrochen und alle Fahrtenschreiber sowie zum Teil auch Scheinwerfer und Tür-Bedienelemente ausgebaut hatten. "Im Fall Wirges wurden die Lkw durch Schlossstechen beziehungsweise Einschlagen der Seitenscheibe geöffnet", sagt auf Anfrage von trans aktuell ein Sprecher des Polizeipräsidiums Koblenz.

Kein Roman, sondern bittere Realität. "Nach den Vorfällen schläft man einige Nächte lang deutlich schlechter", sagt Volker Jungbluth. Auch die Mitarbeiter nehme ein solcher Vorfall mit. Dazu kommt die Sorge um die Belange der Kunden, deren Fahrzeuge ja von den Abbauten auch betroffen waren. "Teilweise haben wir von Volvo die Ersatzteile direkt per Taxi kommen lassen, wenn die Zeit nicht mehr reichte – die Kundschaft steht nach so etwas ja auch ziemlich unter Strom."

Brennpunkte sind Brandenburg und Sachsen, Berlin und Hamburg

Der Westerwald ist nicht unbedingt prädestiniert für Lkw-Diebstähle: "Die Brennpunkte des Kriminalitätsgeschehens liegen in den Grenzregionen Brandenburgs und Sachsens sowie in den Großräumen Berlin und Hamburg", so heißt es im Bundeslagebild 2012 zur Kfz-Kriminalität, erstellt durch das Bundeskriminalamt (BKA). Dem Bericht zufolge wurden 2012 bei einem leicht gestiegenen Zulassungsstand von rund 2,6 Millionen Lkw etwa 1.630 dauerhaft entwendete Fahrzeuge registriert, 14 Prozent weniger als 2011 und deutlich weniger als in den fünf Jahren zuvor, in denen der durchschnittliche Wert bei 1.980 Lkw lag. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) meldet für 2012 bei Lkw eine Schadenhäufigkeit von 0,9 Prozent je 1.000 kaskoversicherter Fahrzeuge (Zugmaschinen: 0,3 Prozent), bei Pkw hingegen nur 0,5 Prozent. 2012 wurden dem GDV zufolge von den Kaskoversicherern 1.723 Diebstähle von Lkw und 286 Fälle von entwendeten Zugmaschinen bearbeitet.

Der zeitliche und räumliche Zusammenhang der Taten im Westerwaldkreis lässt laut einem Sprecher der Polizeidirektion Montabaur darauf schließen, dass bei den genannten Vorfällen dieselben Täter zugange waren. Trotz Aufrufe an die Öffentlichkeit – vor allem zum Diebstahl der teuren Sattelzugmaschine – hätten sich keine Zeugen gemeldet, es gebe keine Täter­hinweise.

Polizeiarbeit, Kommunikation per Facebook und diversen Lkw-Foren

Die Polizei habe ihre Arbeit gut gemacht, sagen Volker und Toni Jungbluth und loben besonders den zuständigen ermittelnden Beamten der Polizeidirektion Montabaur. Im Falle des entwendeten Volvo FH 16 verließen sich die beiden Unternehmer aber nicht nur auf die polizeiliche Anzeige, wie ein Memorandum zeigt, das Toni Jungbluth anfertigte.
Notiert sind darin Anfragen an Toll Collect (Ergebnis: Ohne eingebaute OBU kann kein Fahrzeug über die Mautbrücken geortet werden), das Bundesamt für Güterverkehr (BAG), Außenstelle Mainz (Ergebnis: Bei einer anderntags zufällig stattfindenden Kon­trolle in Niedernhausen Richtung Köln ist der Lkw nicht aufgefallen). Darüber hinaus informierte Jungbluth per E-Mail die Werkstattnetzwerke von Volvo Trucks und Renault Trucks, die Notdienstzentralen aller Lkw-Hersteller, alle Volvo-Handelspartner, die Gebrauchtwagenaufkäufer und die lokalen Medien, meldete den Diebstahl auf diversen Lkw-Foren und in Facebook.

Die Resonanz war umwerfend – vor allem von Unternehmen, die ebenfalls im Zeitraum 19., 20. oder 21. November bestohlen wurden. Beide Brüder können auf Anhieb noch heute alle Antworten wiedergeben: drei gestohlene Fahrzeuge in Korschenbroich, ein Euro-6-Lkw und ein Vorführwagen sowie mehrere Kennzeichen bei einer Firma in Solingen, zwei Holzladekräne bei einer Firma in Eslohe, ein Lkw-Diebstahl in Euskirchen (das Fahrzeug wurde später in den Niederlanden sichergestellt, auf einem Sicherheitsparkplatz der Polizei abgestellt und dort in der Nacht wieder ­entwendet).
Aber weiterhin keine Spur von dem sehr speziellen weißen Volvo Classic mit grauem Rahmen. "Vermutlich waren die Täter gezielt auf das Neufahrzeug angesetzt", sagt Volker Jungbluth. "Ich habe die Vermutung, dass die mit dem Lkw in Richtung Rotterdam Hafen unterwegs waren und ihn dort komplett oder in Einzelteile zerlegt verschifft haben – so eine ganze Maschine fällt doch auf."

Verschieberouten über die Niederlande

Mit seiner Mutmaßung liegt der Chef nicht ganz daneben: In geringerer Ausprägung gibt es dem BKA-Bericht zufolge für entwendete Kfz auch Verschieberouten über die Niederlande und dann weiter auf dem Seeweg Richtung Afrika. Vornehmlich liegen die Absatzmärkte aber im Osten: Litauen und Polen sind wichtige Ziel- und Transitstaaten, die Türkei wird als Route für den Absatz in Zentralasien und im Nahen und Mittleren Osten immer wichtiger.

Laut dem BKA-Bericht besteht nach wie vor ein hoher Bedarf an Kfz-Ersatzteilen in osteuropäischen und afrikanischen Staaten. "Da es sich beim Diebstahl von Kfz-Teilen um ein Massendelikt mit lohnenswerten Gewinnaussichten und einem in der Regel geringen Strafmaß handelt, wird dieser Phänomenbereich auch künftig von Bedeutung sein." Gegenüber trans aktuell berichtet das BKA vor allem von gestohlenen Dieselkatalysatoren, kompletten Auspuffanlagen, Außenspiegeln, Schweinwerferanlagen sowie Navigationsgeräten. Neben den Ersatzteilmärkten im Osten werden die Teile demnach auch über Internetplattformen abgesetzt.

Ebay schließt so etwas nicht grundsätzlich aus: "Generell arbeiten wir beim Vorliegen eines Betrugsverdachts eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Sollte ein solcher Verdacht vorliegen, raten wir unseren Nutzern, sich an die entsprechenden Behörden zu wenden", schreibt das Unternehmen auf Anfrage von trans aktuell. Im Fall der Firma ­Gelhard etwa fanden sich original Volvo- sowie Scania-Scheinwerfer und zwei Navigeräte wenig später auf der Auktionsplattform Ebay. Eingestellt von einem neuen Verkäufer aus dem süddeutschen Raum, der noch keinerlei Bewertungen hatte.  Ob es sich tatsächlich um die Teile der Gelhard-Lkw handelt, soll jetzt die zuständige Kripo in München klären.

Lkw-Diebstahl bekommt durch hohe Schadensummen größere Bedeutung

Dem BKA zufolge bekommt das Phänomen Lkw-Diebstahl durch die relativ hohen Schadensummen eine größere Bedeutung: Diese seien 2011 – das BKA bezieht sich hier auf Angaben des GDV – bei rund 27 Millionen Euro gelegen. Da hört auch bei den Versicherungen der Spaß auf. Die Maklergruppe Oskar Schunck aus München meldete 2013 sechs Totaldiebstähle weiter. Einer Sprecherin zufolge liegt die Schadensumme dabei bei  rund 240.000 Euro pro Lkw beziehungsweise 40.000 Euro je Trailer. Bei "Teilentwendungen" liegt der Schaden bei rund 2.200 Euro je Schadenfall. "Hierin sind jedoch nur die direkten Kosten des Kfz-Versicherers berücksichtigt", so die Sprecherin: Nicht berücksichtigt seien die Kosten des Unternehmers beispielsweise für Schadenabwicklung, Ersatzbeschaffung, Umsatzverluste. Ganz zu schweigen von der Auswirkung auf die Ver­sicherungsprämie.

Die Chefs der Firma Jungbluth jedenfalls haben genug: Volker Jungbluth hat nach eigenen Angaben inzwischen Gespräche mit einem Anbieter von Sicherheitstechnik geführt. "Vielleicht ist mit einem solchen System dann Ruhe."

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