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Kravag über den Brexit Wie Spediteure jetzt Ruhe bewahren

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Großbritannien verlässt die EU am 29. März 2019. Kravag erklärt die Auswirkungen auf die deutsche Logistikbranche.

Thomas Nissen, Key Account Manager bei der Kravag-Logistic Versicherung, beantwortet Fragen rund um den Brexit.

Die britische Premierministerin Theresa May und die EU haben sich inzwischen grundlegend über die Regeln des Brexits geeinigt, eine endgültige Entscheidung über das „Wie“ scheint aber noch immer in weiter Ferne ...

Ja, zum jetzigen Zeitpunkt gibt es leider noch wenig Konkretes. Und auch ob das, worauf man sich bislang verständigt hat, so umgesetzt wird, ist fraglich. Im Grunde ist noch immer jeder Ausgang möglich. Ich gehe grundsätzlich vom Worst Case aus, also von einem harten Brexit ohne Deal. Und davon auszugehen, das raten wir auch Unternehmern.

Was bedeutet ein harter Brexit für Unternehmen?

Der harte Brexit ist der denkbar schlechteste Ausgang für Unternehmen. Denn dann bekommt Großbritannien den Status eines Drittlandes. Wünschenswert wären bilaterale Vereinbarungen, wie sie derzeit etwa zwischen der EU und Norwegen existieren. Doch nach derzeitigem Stand wird das Vereinigte Königreich nach dem 29. März die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarktes verlieren. Das bedeutet, die Grenze zu Großbritannien wird eine EU-Außengrenze und Unternehmer müssen mit langen Abfertigungszeiten an der Grenze rechnen.

Standzeit verursacht Kosten. Kann ich dem als Unternehmer vorbeugen?

Unternehmer sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten Vorsorge treffen. Und vor allem eine Art „Brexit-Anpassungsklausel“ mit ihren Auftraggebern vereinbaren. Eine Option wäre zum Beispiel, Depots in Grenznähe anzumieten, um die Standzeit für Lkw zu verringern, oder Waren per Seeschiff zu transportieren. Hier sollte man sich vorher erkundigen, an welchen Häfen weniger Schiffe abgefertigt werden und nach Möglichkeit dort anlanden, um die Wartezeiten für Zollkontrollen so gering wie möglich zu halten. Hochfrequentierte Routen sollte man vermeiden und nach möglichen Alternativrouten suchen, etwa über Skandinavien oder Irland. Als Spediteur ist es empfehlenswert, mit den Auftraggebern optional zu vereinbaren, dass durch den Brexit verursachte Belastungen, Kosten und Aufwendungen zusätzlich vergütet werden müssen. Das gilt besonders bei bestehenden Rahmenverträgen. Außerdem sollte man sich als Spediteur damit auseinandersetzen, dass auf die Fahrer neue Regelungen und Anforderungen zukommen könnten.

Frachtführer, die Verkehre nach und von Großbritannien fahren, sollten sich also auf Veränderungen einstellen. Wie sieht es mit Unternehmen aus, die Liegenschaften in Großbritannien haben, etwa eine Niederlassung oder Lagerflächen?

Sämtliche Regularien, die derzeit auf EU-Ebene festgelegt sind, gelten in Großbritannien mit dem Austritt aus der EU nicht mehr. Das betrifft beispielsweise die Steuergesetze, die Beschäftigung von Mitarbeitern aus der EU, möglicherweise auch die Gültigkeit europäischer Führerscheine und Versicherungen. Als Unternehmer mit einer Niederlassung in Großbritannien sollte man daher jetzt klären, inwieweit der Standort noch betrieben werden kann, welche Rechtsform er künftig hat, wie sich die formalen Voraussetzungen verändern könnten, und mich um die Anpassung der Versicherungen dieses Betriebes kümmern. Es ist noch nicht fünf vor zwölf, aber die Uhr tickt. Andersherum sollten Firmeninhaber, die derzeit vielleicht bei einem britischen Versicherer versichert sind, prüfen, ob das nach dem Brexit noch ohne weiteres möglich ist. Eine erste Orientierung zu allen möglichen Veränderungen bietet der Leitfaden „Der Brexit kommt“, den der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) herausgegeben hat. Er ist online verfügbar.

Was kommt auf Kravag-Kunden zu, die keine Liegenschaft in Großbritannien haben?

Für Logistiker, die die Kravag-Logistic-Police gezeichnet haben, besteht für ihre Flotten in der Verkehrshaftung unveränderter Versicherungsschutz. Das gilt auch für die Kfz-Versicherungen. Wenn Verzollung bislang nicht versichert war, empfiehlt sich eine entsprechende Ergänzung des Versicherungsschutzes. Gleiches gilt für Kabotage von innerenglischem Verkehr.

Wir sprechen bislang vom Worst Case, also einem harten Brexit. Theresa May beabsichtigt jetzt nachzuverhandeln, dass der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU sanfter werden soll – es ist zum Beispiel die Rede von der Schaffung eines Freihandelsgebiets. Sind solche Vorkehrungen dann überhaupt nötig?

Tatsache ist, dass derzeit noch immer nicht feststeht, wie genau der Brexit aussehen wird. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es einen freien, unkontrollierten Warenverkehr ab dem 29. März nicht mehr geben wird. Der Umfang hängt letzten Endes zwar am Ergebnis der Verhandlungen, aber sowohl Güter- als auch Personenverkehrsunternehmer müssen sich auf Kontrollen einstellen. Welche neuen Regularien zukünftig gelten, welche Formulare und Unterlagen bei einem Grenzübergang nötig sind, wird sich noch zeigen. Fest steht aber: So einfach wie vorher wird der Grenzübertritt nicht mehr sein.

Welche Gefahr droht Spediteuren, die sich nicht auf den Brexit vorbereiten?

Im schlimmsten Fall könnte ein Fahrzeug an der Grenze beschlagnahmt und der Fahrer in Haft genommen werden. Konsequenzen wird ein Nichteinhalten der dann geltenden Regeln und Gesetze auf jeden Fall nach sich ziehen, sowohl seitens Großbritannien als auch seitens der EU. Ein „Ich mach weiter so wie gehabt“ ist daher keinesfalls empfehlenswert.

Es wird aber doch eine Übergangsphase geben …

Ja, das bleibt zu hoffen. Dennoch ist davon auszugehen, dass Großbritannien nach dem 31. März nicht mehr Teil der EU ist und somit auch alle Vorzüge der Mitgliedschaft verloren gehen.

Das alles klingt nach viel Aufwand und vielen Unsicherheiten. Müssen Unternehmer den Brexit fürchten?

Nein. Der Brexit bedeutet nur, dass sich Unternehmer umgewöhnen und mit neuen Gegebenheiten auseinandersetzen müssen. Das sorgt für eine gewisse Unsicherheit und das wiederum schürt bei vielen Ängste. Jeder sollte sich die möglichen Szenarien für sein Unternehmen zurechtlegen und im Planspiel schon einmal durchgehen. Im Moment sehen wir uns einer neuen, unbekannten Situation gegenüber. Das öffnet Tür und Tor für Spekulationen. Dem kann man nur entgegentreten, indem man auf alle Eventualitäten vorbereitet ist. Auch hier empfehle ich den oben bereits erwähnten Leitfaden des BDI als Handlungsrichtlinie.

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