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Konferenz Logistikmanagement in Stuttgart Was die Unis über Logistik lehren

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Prof. Rudolf Large von der Universität Stuttgart ist federführend bei der 10. Konferenz Logistikmanagement, die vom 20. bis 22. September stattfindet. Im Interview spricht er unter anderem über das Problem des demografischen Wandels.

Eurotransport.de: Herr Prof. Large, Sie sind federführend bei der kommenden Konferenz Logistikmanagement. Die Themen sind anspruchsvoll. Erwarten Sie viele Praktiker?

Large: Praktiker sind natürlich auch eingeladen, sich ein Bild davon zu machen, womit wir uns an den Unis in puncto Logistik- und Beschaffungsmanagement befassen.  Aber zumeist sind es Wissenschaftler und Doktoranden, die kommen.

Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach der Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis?

Sehr wichtig. Leider haben wir in der Betriebswirtschaftslehre noch keine Kultur des Austausches wie in anderen Bereichen. Dabei gibt es auch in der Betriebswirtschaft mit Ausrichtung Logistik Forschungsbereiche, die durchaus auch für die Praxis umsetzbare Ergebnisse liefern.

Was sind denn nach Ihrem Dafürhalten die dringlichsten Themen in der Logistik?

Im Bereich Transport und Verkehr sind das natürlich die Frage der künftigen Antriebstechnik und auch das Thema autonomes Fahren. In der Logistik allgemein – etwa auch im Lager und beim Bereich Verpackungen – werden sicher künftig wieder Detailfragen zu nachhaltigeren Produkten und mehr Umweltschutz aufkommen. Was sicherlich aber als Problematik alle beschäftigen wird, ist der demografische Wandel, der ein geringeres Arbeitskräfteangebot und einen Stamm von Mitarbeitern nach sich zieht, die älter als bisher sind und auch länger arbeiten wollen und die zu integrieren sind. Ebenso wird die Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt eine Herausforderung sein.

Hat die Branche etwa beim Thema ältere Arbeitnehmer noch Nachholbedarf? Zumindest die Knappheit bei den Berufskraftfahrern ist doch jedem bekannt.

Ich bin der Ansicht, dass das Thema derzeit etwas untergeht.  Vielen ist nicht bewusst, wie groß die Delle im Altersaufbau wirklich ist. Und dass dies die Jobs mit einfachster Hilfstätigkeit, aber auch das Management betrifft. Das ist zwar kein neues Phänomen, aber in der Logistik muss es tatsächlich erst noch richtig inkorporiert werden.

Was sollten die Unternehmen beachten?

Unser Credo ist, dass es wenig bringt, einen 60-Jährigen jung halten zu wollen. Unternehmen sollten anfangen, sich schon in jungen Jahren um die Gesundheit ihres Mitarbeiters zu kümmern. Beispielsweise sollten Mitarbeiter nicht mehr als nötig heben und möglichst viele Hilfsmittel dazu erhalten.

Und wie sieht die Realität aus?

Tatsächlich sind etwa in der Industrie an den entsprechenden Arbeitsplätzen überall ergonomische Hilfsmittel vorhanden – in der Logistik handhaben die Mitarbeiter allzu oft manuell schwere Lasten. Man muss sich nur den KEP-Bereich anschauen, wo Mitarbeiter die Pakete alle in die Hand nehmen und so die Fahrzeuge entladen. Natürlich gibt es auch hier etwa Förderbänder, die das Beladen unterstützen.

Wie macht sich der demografische Wandel denn im Management bemerkbar?

Dass mehr Leute durch steigenden Termindruck und lange Arbeitszeiten krank werden. Das kann schon den Disponenten treffen, der bis spät in die Nacht hinein arbeiten muss.

Sie haben als Zukunftsherausforderung auch das Thema Nachhaltigkeit erwähnt. Provokant gefragt: Ist das Thema grüne Logistik nicht Schnee von gestern?

Ganz im Gegenteil, das ist weiter sehr wichtig. All die Bemühungen der Unternehmen in den vergangenen Jahren, den Verbrauch zu senken und effizient zu arbeiten, das ist rein betriebswirtschaftlich gedacht, aber noch längst nicht nachhaltig!

Was wäre denn nachhaltig?

Nachhaltigkeit herzustellen heißt per Definition des Brundtland-Berichts der Vereinten Nationen, Gerechtigkeit zwischen den Generationen herzustellen, sodass auch künftige Generationen gut leben können. Das heißt für die Logistik, nicht nur einen positiven Nebeneffekt mitzunehmen, sondern gezielt auch Maßnahmen durchzuführen, aus denen ganz im Gegenteil auch Kosten entstehen. Das kann in der Ökologie sein, oder auch im sozialen Bereich, indem man etwa nicht Tätigkeiten, die zu "teuer" geworden sind, in ein billigeres Nachbarland auslagert.

Oft wird das Thema nur vor dem Hintergrund der Transportfrage gesehen.

Teil der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes ist auch, Binnenschiff und Bahn zu stärken. Die Unternehmen, die nachhaltig sein wollen, müssen sich also die Frage stellen, was sie konkret tun, um dieser Strategie nachzukommen. Bin ich bereit, meine Transporte zu verlagern? Und was sagt der Vorstand dazu, wenn die Strategie nicht rein betriebswirtschaftlich begründet ist? Ab hier wird es dann richtig spannend.

Genauso heiß wie die grüne Logistik vor wenigen Jahren wird das Thema 4.0 gehandelt. Wie sehen Sie das?

Haben wir nicht ähnliches schon mit dem Begriff Business Engineering erlebt? Meines Erachtens ist die Logistik 4.0 ein Schlagwort, hinter dem sich ganz unterschiedliche Inhalte verbergen – und gerade im wissenschaftlichen Betrieb wird hier ziemlich viel heiße Luft hineingeblasen.

Wie sollten etwa Mittelständler mit dem Thema umgehen?

Auf keinen Fall wie Kaninchen vor der Schlange sitzen. Wer sein Unternehmen vernünftig und strategisch orientiert führt, macht schon mal vieles richtig. Gerade der Mittelstand muss auf das hören, was der Kunden an Dienstleistungen und Service verlangt. Er muss sich bewusst sein, was seine Geschäftsfelder sind – und dennoch gegebenenfalls auch Neues wagen, wenn der Kunden es im Hinblick auf die Digitalisierung verlangt.

Auch wenn die Branche noch Nachholbedarf hat – es täuscht doch nicht, dass es zumindest immer mehr Studierende in dem Bereich gibt?

Das stimmt, Logistik und Beschaffung sind hier an der Uni Stuttgart Kompetenzfelder und sehr stark nachgefragt.

Das zeigt doch, dass das Image der Branche nicht so schlimm sein kann...

Leider ist zwischen der Attraktivität des Studiengangs und der Besetzung von Stellen eine Lücke. Lade ich zu Exkursionen in die Logistik der Automobilbranche, gibt es Wartelisten. Steht ein Dienstleister auf dem Programm, ist die Resonanz nicht annähernd so gut. Natürlich ist hier die Priorisierung in Stuttgart auch regional bedingt, aber es gibt ganz klar auch ein Problem mit der Attraktivität. Grund sind zum einen das Tarifgefälle zur Industrie, aber auch die anderen Arbeitszeiten und die Erwartungen an die Mitarbeiter. Um 22 Uhr als kaufmännischer Mitarbeiter in der Halle mit anpacken? Für viele Studenten eine unmögliche Vorstellung.

Wie können sich Unternehmen dem Nachwuchs besser vorstellen?

Das Gehalt ist eine Sache. Aber die Unternehmen sollten auch mehr herausstellen, dass sie Jobs bieten, die erfüllen. Ich frage meine Studenten immer: Was ist attraktiver – bei einem Automobilkonzern der 500. Sachbearbeiter zu werden, oder bei einem Logistiker bereits nach wenigen Jahren Niederlassungsleiter werden?

Ist aus Ihrer Sicht ein Studium heute ein Muss in der Logistik?

Leider wird oft gesellschaftlich eine gute Berufsausbildung nicht so bewertet wie ein Studium. Ich finde eine gute Ausbildung top – ich habe selber zuerst eine Ausbildung gemacht – und wenn man damit seinen Job gut machen kann, ist das klasse.

Prof. Large, Uni Stuttgart Foto: Ilona Jüngst

Zur Person

  • Prof. Rudolf Large ist seit 2008 Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Logistik- und Beschaffungsmanagement an der Universität Stuttgart
  • Der studierte Wirtschaftsingenieur promovierte 1995 an der Technischen Universität Darmstadt
  • Nach einer Tätigkeit im Strategischen Einkauf bei MAN Roland Druckmaschinen folgte er dem Ruf als Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik und Produktion, an der Hochschule Anhalt (FH) in Bernburg
  • 2003 Habilitation an der TU Darmstadt, danach Professor für Betriebswirtschaftslehre, Produktionswirtschaft und Logistik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes in Saarbrücken

Konferenz Logistikmanagement

  • Die Key-Notes kommen von Vertretern von Bosch und LGI, die Ausrichtung ist wissenschaftlich: Vom 20. bis 22. September findet die 10. Konferenz Logistikmanagement statt
  • Veranstaltet wird sie von der Wissenschaftlichen Kommission Logistik im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB), Gastgeber dieses Jahr ist die Universität Stuttgart
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