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Kommentar zum Tempolimit Lasst die Busse von der Leine!

Kommentar zur Forderung nach einem höheren Tempolimit für Reisebusse Foto: Thorsten Wagner/ETM Verlag

Das überraschende Vorpreschen der Gütegemeinschaft Buskomfort (gbk) zur Veränderung des Tempolimits für Busse weist in die richtige Richtung, auch wenn es über das Ziel hinausschießt.

Für gewöhnlich ist der RDA Workshop in Köln selten Schlagzeilengeber für die Tagespresse. Auch die Ausweitung der Messe, die seit Jahren unter Schwindsucht leidet, auf einen zweiten Standort in Friedrichshafen konnte daran nichts ändern. Medienwirksamkeit verspricht dagegen das Hype-Thema Fernbusse: zwei große Anbieter hatten eigene Stände auf der Tourismus-Messe in Köln, Vertreter beider Unternehmen bemühten sich sichtlich, in einer Podiumsdiskussion dem Eindruck entgegenzutreten, man mache den Vollblut-Touristikern etwa Konkurrenz in Sachen Städtereisen. Der gbk-Vorsitzende Hermann Meyering holte nun auf der Pressekonferenz des RDA zu einem gewagten Vorstoß Anlauf, der auf der Erfolgswelle der Fernlinien zu surfen scheint: "Ein 30 Jahre altes Tempolimit steht in krassem Widerspruch zu der Dynamik, die der Busverkehr mittlerweile entfaltet", versucht sich der Buslobbyist in einer mageren Begründung. "Zum komfortablen Reisen gehört aber auch, dass Fahrpläne eingehalten werden können und die Busse nicht durch ein längst überholtes Tempolimit ausgebremst werden." Seine Forderung daher: eine Erhöhung des derzeit gültigen Limits von 100 km/h um 20 Stundenkilometer. Seitdem kann man in den sozialen Medien eine rege Diskussion zum Thema verfolgen, zumeist mit kritischen Untertönen: bei einer AutoBild Online-Umfrage zum Beispiel sprechen sich 55 Prozent der Teilnehmer für die suggestive Behauptung aus "Nein, viel zu gefährlich!". Zumeist mischen sich technische Unkenntnis und Vorurteile gegen den Bus als Verkehrshindernis.

Welche Chancen hat der Vorschlag?

Reicht es aus, die Dynamik der Marktentwicklung einfach auf die Autobahn zu übertragen? Nein, das ist einfach zu kurz gesprungen, wie nicht zuletzt viele Kommentare im Netz bestätigen. Und wie dick die Bretter sind, die in Sachen Veränderung von Gesetzen im Verkehr gebohrt werden müssen, zeigen die beiden Langzeit-Projekte "Lang-Lkw" und "Maße und Gewichte" mehr als deutlich. Zudem ist die Buslobby immer noch viel zu schwach, um eine solche Herkulesaufgabe zu schultern. Trotzdem steckt Potenzial in dem Versuchsballon, den die gbk hier kurz vor dem Sommerloch hat aufsteigen lassen. Alleine muss man dieses anders mit Argumenten unterfüttern als mit der vermeintlichen Dynamisierung des (Fernbus-) Reisemarktes.

Drei Argumente für eine neue Regelung

Drei wesentliche Punkte sprechen für eine behutsame Aufweichung der derzeitigen, sehr starren Regelung: neue elektronische Getriebesteuerungs-Systeme halten gerade Einzug in moderne Reisebusse, beim Pkw gibt es mit dem "e-Horizon" ähnliche Ansätze. Sie bergen enormes Sparpotenzial in sich, und verhelfen so dem ohnehin schon klimaschonenden Bus zu weiter sinkenden CO2-Werten auf Person und Kilometer umgerechnet. Mittlerweile sind Werte von 10-15 Gramm keine Seltenheit mehr. Der Clou: diese Systeme spielen mit der Topografie und der vom Fahrer gesetzten Geschwindigkeit um die träge Masse der bis zu 26 Tonnen schweren "Größtraumlimousinen" optimal auszunutzen. Vor einem Berg holt der Bus Schwung, kuppelt kurz vor dem Gipfel aus und lässt die Fuhre nach dem Berg segeln um nach einiger Zeit in Ebene wieder auf seine eingestellte Geschwindigkeit zu kommen. Je weiter dieser virtuelle Spielraum (vom Experten auch "Hysterese" genannt) ausfällt, desto größer ist das Sparpotenzial. In einem Test des von Daimler Buses 2014 für den Bus eingeführten, "PPC" genannten Systems, konnte lastauto omnibus im direkten Vergleich fast zehn Prozent Einsparung herausfahren! Wenn das kein Wort ist, zumal der Reisebus die nächsten Jahrzehnte rein konzeptbedingt noch auf den Diesel als alleinigen Antrieb angewiesen sein wird.

Sicherheit ist das zweite Thema, das eine wichtige Rolle spielt beim Tempolimit und oft falsch eingeschätzt wird. Der moderne Reisebus ist heute zumeist sicherer als jeder Pkw, sind doch ESP, Notbremsassistent und Spurverlassenswarner mittlerweile gesetzlich vorgeschrieben. Zudem haben sich die deutschen Hersteller 2004 dazu verpflichtet, alle Busse mit einem aktiven Begrenzer auszurüsten, der die Fahrzeuge auch bergab zuverlässig auf die maximale Höchstgeschwindigkeit einbremst: ein solches System wurde für den Lkw bisher nicht einmal diskutiert! Sicherheitsdefizite können also zumindest bei den aktuellen Fahrzeugen nicht mehr vorgeschoben werden, um den Bus an die 100er-Kette zu legen. Technisch wären die 120 km/h auch kein Problem, hier ist Einiges an Potenzial eingerechnet in die Auslegung der Bauteile. Freilich reicht dies nicht aus, um einer generellen Erhöhung des Limits auf 120 das Wort zu reden, zumal auch noch viele ältere Busse unterwegs sind.

Und damit kommen wir zum dritten Aspekt, der aus unserer Sicht auch gleichzeitig die Lösung des Problems darstellt: die gültigen Toleranzen für die Höchstlimits. Beim Lkw beträgt diese Toleranz zehn km/h, warum sie dann auch meistens mit rund 90 km/h unterwegs sind trotz des vorgegebenen 80 km/h-Limits. Der Bus hat eine Null-Toleranz mit seinen 100 km/h zu erfüllen, nach 30 Sekunden ist der justiziable Eintrag auf der Fahrerkarte fällig, sollte kein aktiver Limiter verbaut sein. Oft reicht die Differenzgeschwindigkeit zu den Trucks nicht mal für ein zügiges Überholmanöver aus. Warum diese ungleiche Behandlung der Verkehrsmittel so festgeschrieben wurde, ist nicht erkennbar.

Eine Angleichung der Toleranz für den Bus auf 110 km/h, wie sie lastauto omnibus schon mehrfach gefordert hat, hätte also viele Vorteile: massive Einsparungen von Kraftstoff und eine deutliche Verflüssigung des Verkehrs bei gleichzeitiger Erhöhung der Verkehrssicherheit. Und rechtlich sowie in der Öffentlichkeit ist ein solch moderater Schritt viel realistischer und zeitnaher umzusetzen als in sommerlichem Überschwang nach einer satten generellen Erhöhung des Limits zu rufen. Das Thema ist dennoch gesetzt, und die Diskussion darf beginnen. Lasst die Busse von der Leine!

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