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Klagemöglichkeit für Unternehmen? EuGH-Entscheidung zu Mautgebühren

Foto: Gerhard Seybert

Die Kosten für die Verkehrspolizei haben in den Lkw-Mautgebühren nichts zu suchen, so eine Entscheidung des EuGH. Unternehmen könnten unter Umständen auf Rückzahlung klagen - der BGL und andere Transportverbände raten ihren Mitgliedern dazu.

Können Unternehmen von Deutschland Mautgebühren zurückverlangen? Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Berechnung der deutschen Lkw-Mautgebühren bringt die Branche in Aufruhr. Schon werden Unternehmen für eine Schadenersatzklage gesucht.

Angefangen hat es vor dem Verwaltungsgericht Köln: Dort hatte eine polnische Spedition auf die Rückzahlung von Mautgebühren geklagt. Für die Benutzung deutscher Bundesautobahnen hatte das Unternehmen im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 18. Juli 2011 Mautgebühren in der Höhe von insgesamt 12.420,53 Euro an die Bundesrepublik Deutschland gezahlt.

Klage auf Rückzahlung vor dem Verwaltungsgericht Köln

„Sie halten diesen Betrag für überhöht und erhoben deshalb beim Verwaltungsgericht Köln Klage auf Rückzahlung. Ihre Klage wurde abgewiesen. Im Berufungsverfahren vor dem OVG für das Land Nordrhein-Westfalen ist die Vorlage an den EuGH erfolgt“, beschreibt die Sprecherin des OVG in Münster gegenüber trans aktuell den Klageweg. In dem Vorabentscheidungsverfahren musste der EuGH entscheiden, ob bei der Festsetzung der Mautgebühren auch Kosten für die Verkehrspolizei zu berücksichtigen sind.

Polizeiliche Tätigkeit Verantwortung des Staates

Nein, so die Entscheidung des EuGH (Rechtssache C-321/19). Das Gericht in Luxemburg stellte fest, dass bei der Festsetzung der Mautgebühren ausschließlich die Infrastrukturkosten, also die Kosten für den Bau sowie den Betrieb, die Instandhaltung und den Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes, zu berücksichtigen sind. „Polizeiliche Tätigkeiten fallen aber in die Verantwortung des Staates, der dabei hoheitliche Befugnisse ausübt und nicht lediglich als Betreiber der Straßeninfrastruktur handelt“, schreibt der Gerichtshof. Die Kosten der Verkehrspolizei könnten daher nicht als Kosten für den Betrieb im Sinne der Richtlinie über die Erhebung von Gebühren angesehen werden.

Zu dem Umstand, dass die Infrastrukturkosten im vorliegenden Fall aufgrund der Berücksichtigung der Kosten der Verkehrspolizei lediglich in verhältnismäßig geringem Umfang überschritten werden, stellten die Richter fest, dass die Wegekostenrichtlinie unter anderem jeder Überschreitung der Infrastrukturkosten aufgrund der Berücksichtigung nicht ansatzfähiger Kosten entgegensteht.

BGL begrüßt Entscheidung

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) begrüßt, dass damit eine grundsätzliche Frage zum Mautberechnungsverfahren vom EuGH geklärt worden sei. Vor allem die Ansatzfähigkeit der Kosten für die Verkehrspolizei habe der BGL in der Vergangenheit infrage gestellt und in seinen Muster-Mautklagen aus dem Jahr 2009 adressiert. „Der EuGH hat mit seiner Entscheidung Rechtssicherheit für unsere Mitgliedsunternehmen hergestellt“, so der Verband. Jetzt müsse das OVG noch über das anhängige Verfahren entscheiden.

Offene Verfahren beim BAG

Oliver Luksic, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, kommentiert die EuGH-Entscheidung ebenfalls. Er befürchtet, dass dem Bund jetzt weitere Kosten drohen. „Im Ergebnis fehlen dem Bau und dem Erhalt der Bundesfernstraßen in Zukunft weitere Mittel in Millionenhöhe. Neben der Klage des polnischen Spediteurs vor dem OVG Münster gibt es weitere offene Verfahren beim Bundesamt für Güterverkehr“, sagt Luksic.

Es wäre nicht überraschend, wenn in Zukunft zusätzliche Unternehmen Erstattungsansprüche geltend machten, meint der Parlamentarier. Langjährige und teure Rechtsstreitigkeiten seien dann die wahrscheinliche Folge. „Minister Scheuer und die Maut sind eine unendliche Geschichte voller Pleiten, Pech und Pannen“, so Luksic.

In einer Kleinen Anfrage, die Luksic mit verfasst hat, gab das BMVI an, dass bis zum Zeitpunkt der EuGH-Entscheidung beim BAG 136 Anträge auch Rückerstattung offen waren.

Gleichzeitig teilte das Ministerium mit, dass die angepassten Mautsätze von 2021 ohne die Kosten der Verkehrspolizei berechnet werden, auch im kommenden Wegekostengutachten von 2023 bis 2027 seien diese Kosten nicht mehr erhalten.

Derweil gibt es schon ein erstes Angebot für Unternehmen, eventuell zu viel gezahlte Maut zurückzufordern, und das noch vor einem Urteil des OVG. „Aufgrund der eindeutigen Entscheidung des EuGH wird das OVG Münster nicht umhinkommen, eine Erstattung zumindest der Polizeikosten zuzusprechen“, sagt Rechtsanwalt Dr. Alexander Petrasincu von der Berliner Kanzlei Hausfeld. Diese ist auf die private Durchsetzung des Kartellrechts sowie auf Streitigkeiten im Wirtschaftsrecht spezialisiert und auch bei Schadenersatzklagen gegen das Lkw-Kartell tätig. „Ohnehin wäre es hier nicht anzuraten, bis zu einer Entscheidung des OVG Münster abzuwarten, da bis dahin Ansprüche zumindest für 2017 verjährt wären“, sagt Petrasincu auf Anfrage von trans aktuell.

Anspruch auf bis zu vier Prozent der Maut

Zurückzuerstatten sei in jedem Fall derjenige Mautanteil, der auf den Kosten für die Verkehrspolizei beruhte. „Nach derzeitigem Kenntnisstand summiert sich dieser Anspruch auf mindestens vier Prozent der entrichteten Mautgebühr“, so der leitende Anwalt. Gegenwärtig werde auch geprüft, inwieweit darüber hinausgehende Ansprüche bestehen.

Die Kanzlei Hausfeld setzt nach eigenen Angaben die Rückerstattungsansprüche der Unternehmen in Zusammenarbeit mit dem Dienstleister eClaim durch. Unter der Website mautzurueck.de können sich Unternehmen für eine „kosten- und risikofreie Rechtsdurchsetzung“ registrieren. Dann übernimmt eClaim alle anfallenden Kosten, während Hausfeld die Ansprüche der registrierten Unternehmen außergerichtlich – falls erforderlich auch gerichtlich – durchsetze.

BGL und weitere Verbände unterstützen Vorgehen

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und seine Partnerverbände unterstützen das Vorgehen der Kanzlei Hausfeld und empfehlen ihren Mitgliedsunternehmen, zuviel gezahlte Lkw-Maut geltend zu machen, allerdings nicht als Sammelklage. Neun weitere europäische Logistik-Verbände aus Deutschland, Österreich, Belgien, Tschechien, der Slowakei, den Niederlanden und Rumänien haben sich der Initiative angeschlossen (siehe unten).

Betroffenen Unternehmen wird empfohlen, Maut-Rückerstattungsansprüche beim Bundesamt für Güterverkehr (BAG) entweder über ein bundeseinheitliches Lösungsmodell in Kooperation mit der Kanzlei Hausfeld Rechtsanwälte und dem IT-Dienstleister und Prozessfinanzierer eClaim geltend zu machen.

3.500 Unternehmen melden Rückerstattungsansprüche

Bisher haben sich nach Angaben von eClaim bereits 3.500 Unternehmen registriert. "Die bislang registrierten Rückerstattungsansprüche dürften sich damit auf zwischen 56 Millionen Euro und 98 Millionen Euro belaufen. Aktuell melden sich zudem ungefähr zusätzliche 500 bis 1.000 Unternehmen pro Tag bei eClaim an", so das Unternehmen.

BGL-Mitgliedsunternehmen können als weitere Variante individuell mit dem Anwalt ihres Vertrauens oder mit einer Kooperationskanzlei der BGL-Landesverbände oder über ein vom BGL zur Verfügung gestelltes Musterschreiben ihre Ansprüche geltend machen. Laut eClaim ist der BGL parallel weiterhin im Dialog mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), um eine Lösung zu finden.

Die Logistikverbände, die eine Klage gegen die Lkw-Maut unterstützen:

  • AISÖ – Arbeitsgemeinschaft Internationaler Strassenverkehrsunternehmer Österreichs
  • AMÖ – Bundesverband Möbelspedition und Logitik
  • BWVL – Bundesverband Wirtschaft Verkehr und Logistik e.V.
  • CESMAD Bohemia (Tschechische Republik)
  • CESMAD Slovakia (Slowakei)
  • DSLV – Bundesverband Spedition und Logistik
  • Febetra – Koninklijke Federatie van Belgische Transporteurs & Logistieke
  • Dienstverleners (Belgien)
  • TLN – Transport en Logistiek Nederland (Niederlande)
  • UNTRR – Uniunea Nationala a Transportatorilor Rutieri din Romania (Rumänien)
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