EU-Mobilitätspaket Wettbewerbsvorteil Kabotage

Girteka Amazon Rampe EU-Serie FF 11/2019 11/19 Nicht mit Namen belegen! Daerf nur im Rahmen der Serie genutzt werden. Foto: Privat 2 Bilder

Osteuropäische Unternehmen wie Girteka nutzen die aktuellen Unklarheiten der Kabotageregeln in Deutschland konsequent aus. Im Rahmen des Mobilitätspakets soll es nun eindeutige Regeln geben.

Der Lkw von Girteka steht in einem deutschen Lager von Amazon zur Beladung an der Rampe. Der Frachtbrief, der FERNFAHRER zusammen mit dem Foto zugespielt wurde, belegt, dass es sich um eine nationale Beförderung im Nahbereich von rund 100 Kilometern handelt. Das ist dem Anschein nach zunächst legal. Die aktuelle Faustregel heißt einerseits: Innerhalb von drei Tagen nach der Einfahrt mit einem unbeladenen Fahrzeug in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats kann eine Kabotagebeförderung durchgeführt werden.

Mehrheit der nationalen Transporte fahren unter deutschem Kennzeichen

Wenn zuvor aber eine grenzüberschreitende Beförderung stattgefunden hat, können nach der Entladung hingegen drei Kabotagefahrten binnen sieben Tagen durchgeführt werden. Konfrontiert mit dem Foto und der Frage, ob es sich um legale oder illegale Kabotage handelt, antwortet Girteka, das mittlerweile nach eigenen Angaben über 6.700 Lkw und 12.700 Fahrer verfügt: "Um die Anforderungen unserer Kunden für nationale Transporte in Deutschland zu gewährleisten, haben wir eine signifikante Zahl von Lkw mit deutschen Kennzeichen zugelassen. Mehr können wir aufgrund der Vertraulichkeit unserer Geschäftsbeziehungen nicht kommentieren. Grundsätzlich sagen wir, dass die Mehrheit unserer nationalen Transporte mit in Deutschland zugelassenen Lkw durchgeführt wird. Nur bei unerwarteten, über dieses Kontingent hinausgehenden Anfragen und wenn wir einen litauischen Lastzug verfügbar haben, setzen wir diesen für Kabotagetransporte ein." Ob diese Aussage der Wahrheit entspricht, müsste nun das BAG konkret bei Girteka und den anderen osteuropäischen Transportunternehmen, die immer öfter mit den auffallenden hellblauen Trailern des Versandkonzerns unterwegs sind, kontrollieren.

Fest steht nur eins: Dieses aktuelle Kabotagemodell ließe sich nach der zu erhoffenden Einigung von EU-Kommission, Rat und Parlament in den Trilog-Verhandlungen zum Mobilitätspaket so einfach nicht weiterführen. Der Grund: Weil die gegenwärtigen Kabotageregeln zu Interpretationen einladen und die Einhaltung nur mit einem hohen Aufwand kontrollierbar ist, sollen durch das Mobilitätspaket auch in diesem Punkt in Zukunft grundlegende Änderungen eingeführt werden. Da Stand heute noch nicht einmal eindeutig geregelt ist, wodurch eine "Beförderung" genau gekennzeichnet ist, entfällt nach dem Willen der EU-Kommission künftig die Limitierung von gegenwärtig drei Beförderungen in sieben Tagen. Stattdessen soll innerhalb von fünf Tagen nach der letzten Entladung der grenzüberschreitend beförderten Güter eine unbegrenzte Anzahl an Kabotagebeförderungen möglich sein. Regelungen, die die Kabotage infolge einer unbeladenen Einfahrt in einen Mitgliedstaat ermöglichen (heute: eine Beförderung in drei Tagen), finden sich im Kommissionsvorschlag nicht mehr. Warum aber Kabotage nicht nur im "Aufnahmemitgliedstaat", sondern auch in einem "angrenzenden Mitgliedstaat" möglich sein soll, wird nicht erläutert. Könnte demnach künftig zum Beispiel ein deutscher Lkw nach der Entladung in Frankreich direkt (unbeladen?) nach Spanien weiterfahren und dort legal für Kabotagebeförderungen (bis zum Ablauf der fünf Tage nach Entladung in Frankreich?) eingesetzt werden? So sollten Regelvereinfachungen jedenfalls nicht formuliert sein.

Parlament sorgt mit hochkomplexer Cooling-off-Phase für Verwirrung

Der EU-Rat hat an der Grundsatzausrichtung der Kommission keine Änderungen eingebracht, will aber eine Cooling-off-Phase einführen. Das bedeutet, dass nach Ende des fünftägigen Kabotagezeitraums für weitere fünf Tage im selben Mitgliedstaat mit demselben Fahrzeug keine weiteren Binnentransporte durchgeführt werden dürfen. Grenzüberschreitende Quell- oder Zielverkehre in den oder aus dem Aufnahmemitgliedstaat müssten aber auch innerhalb einer solchen Cooling-off-Phase möglich sein.Im EU-Parlament hat sich eine gegenüber den anderen EU-Organen restriktivere Haltung durchgesetzt. Der Zeitraum für eine unbegrenzte Anzahl an Kabotagebeförderungen soll statt fünf "nur" drei Tage umfassen und der ominöse Verweis auf "angrenzende Mitgliedstaaten" ersatzlos gestrichen werden. Auch wenn die Streichung Klarheit bringt, sorgt das Parlament mit einer hochkomplexen Cooling-off-Phase für Verwirrung. Wenn im selben Mitgliedstaat erneut Kabotagefahrten durchgeführt werden sollen, muss das Fahrzeug nach Ende der letzten Beförderung zunächst in "seinen" Niederlassungsmitgliedstaat zurückkehren. Frühestens 60 Stunden später dürfte das Fahrzeug wieder beladen in Richtung des Staats aufbrechen, in dem zuvor Kabotage betrieben wurde.

Unklar ist, wann genau dieser 60-Stunden-Zeitraum beginnt. Auch ob die Beförderung in Richtung des ursprünglichen Aufnahmemitgliedstaats erst nach 60 Stunden beginnen darf oder der Lkw bereits nach 60 Stunden wieder die Grenze des Ziellandes überfahren darf, ergibt sich nicht direkt aus den Formulierungen. Und was wäre, wenn das Fahrzeug zwischen den Kabotageeinsätzen im einen Land vier Tage lang für grenzüberschreitende Fahrten zwischen anderen Mitgliedstaaten eingesetzt wurde und dabei nicht im Niederlassungsstaat war? Muss dann trotzdem zunächst ein 60-stündiger Aufenthalt im Niederlassungsstaat erfolgen? Vor allem mit Blick auf die Dokumentier- und Kontrollierbarkeit, die ökologischen Folgen und die Wirkungen auf die etablierten Güterströme und Logistiksysteme in der EU erzeugt diese Regelung mehr Fragen als Antworten.Sollten derartige Ansätze den Trilog überleben, wären an vielen Stellen Präzisierungen vorzunehmen, um eine unklare Regelung nicht durch eine andere unklare Regelung zu ersetzen.

Position Kommission

Güterkraftverkehrsunternehmen dürfen, nachdem die grenzüberschreitend beförderten Güter entladen wurden, innerhalb von fünf Tagen eine unbegrenzte Anzahl an Kabotagebeförderungen im sogenannten Aufnahmemitgliedstaat (also dem Staat, in dem das grenzüberschreitend beförderte Gut entladen wurde) durchführen. Auch in an den Aufnahmemitgliedstaat „angrenzenden Mitgliedstaaten“ soll Kabotage möglich sein. Die gegenwärtige Regelung, dass auch nach einem unbeladenen Grenzübertritt Kabotage möglich ist, entfällt.

Position Rat

Die Ratsposition übernimmt die von der Kommission vorgeschlagenen Grund­regeln unverändert, fügt jedoch eine sogenannte Cooling-off-Phase hinzu: Zwischen der Beendigung von Kabotagefahrten in einem Mitgliedstaat und der erneuten Durchführung von Kabotagefahrten mit demselben Fahrzeug im selben Mitgliedstaat muss eine Zeitspanne von fünf Tagen vergangen sein.

Position Parlament

Die Parlamentsposition weicht von der Grundsatzposition der Kommission in zwei Punkten ab: Der Kabotagezeitraum verringert sich von fünf auf drei Tage. Gestrichen wird zudem die Möglichkeit, in „angrenzenden Mitgliedstaaten“ Kabotage zu betreiben.

Darüber hinaus setzt das Parlament auch auf eine Cooling-off-Phase: Bevor das Unternehmen im selben Aufnahmemitgliedstaat erneut Kabotagebeförderungen durchführen darf, muss das eingesetzte Fahrzeug zunächst in den Niederlassungsmitgliedstaat des Unternehmens zurückkehren und dort im Anschluss 60 Stunden verharren (oder für Binnentransporte eingesetzt werden). Nach dieser Frist könnte eine erneute Ladung für einen grenzüberschreitenden Transport in den ursprünglichen Aufnahmemitgliedstaat aufgenommen werden – mit der Folge, dass nach der Entladung erneut binnen drei Tagen eine unbegrenzte Zahl an Kabotagebeförderungen möglich wäre. Der Vor- und Nachlauf im Kombinierten Verkehr soll den Kabotageregeln unterworfen werden.

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