JansBlog Lkw-Fahrer hat nach Todesfahrt Filmriss

Foto: Jan Bergrath
Meinung

Der ukrainische Lkw-Fahrer Walerij Y. muss sich vor dem Landgericht Mönchengladbach für seine Alkoholfahrt über die A 61 verantworten. Eine Polizistin verstarb, als der Sattelzug den Streifenwagen rammte, eine Polizistin und ein Polizeianwärter leiden bis heute unter den Folgen.

Vollkommen verloren sitzt der 49-jährige ukrainische Lkw-Fahrer Walerij Y. in seinem blauen T-Shirt auf der Anklagebank der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach, neben ihm eine Dolmetscherin, vor ihm sein Pflichtverteidiger. Über ein Dutzend TV-Kameras und Fotoapparate sind erst auf ihn gerichtet, dann auf den vorsitzenden Richter, der mit den Schöffen den Raum betritt. Der Staatsanwalt und die Anwälte der Nebenkläger haben Platz genommen, unter den Zuschauern sind Angehörige der Opfer. An diesem und weiteren vier Tagen muss sich Walerij Y. dafür verantworten, dass er am 27. Dezember 2017 gegen 21 Uhr auf der A 61 bei Viersen mit seinem Sattelzug unter Einfluss von Alkohol einen Polizeiwagen gerammt hatte.

Bei dem Unfall war die 23-jährige Polizistin Yvonne N. sofort verstorben, die Einsatzleiterin Sandra W. (44) sowie der Polizeianwärter Jonas H. (32) wurden schwer verletzt, sie leiden bis heute unter den körperlichen und seelischen Folgen. Mehrmals, auch in Anwesenheit dieser beiden Zeugen, die den Unfall überlebt haben, bittet Walerij Y. um Entschuldigung. Es gibt keine Reaktion. Am liebsten, so lässt er sagen, würde er das Rad der Zeit zurückdrehen. Doch das gehe nicht. Der Vorwurf lautet auf fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung und Gefährdung des Straßenverkehrs im Zustand der Fahruntüchtigkeit. Walerij Y. erwarten bis zu fünf Jahre Haftstrafe, seit dem Unfall sitzt er in U-Haft, er ist geschieden, nur seine Tochter ist hier, um ihm etwas beizustehen. Der Angeklagte hat seine Schuld eingeräumt, nun geht es darum, zu klären, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Der Richter macht dies auf eine sehr ruhige Art.

Alles noch viel schlimmer

Lange hatte die Staatsanwaltschaft nur wenige Informationen über den mutmaßlichen Ablauf der Fahrt und den Aufenthaltsort des Fahrers vor dem Unfall preisgegeben. In meinem Blog Feiertagssuff mitTodesfolge hatte ich daher versucht, den Hergang nach den mir vorliegenden Erkenntnissen und einer gewissen Logik von internationalen Transportabläufen zu schildern. Zeugen wollten den Sattelzug bereits am Samstag vor Weihnachten bei Venlo gesehen haben, das stimmte nicht, wie ich heute weiß.

Grillkohle aus der Ukraine für einen Kunden irgendwo zwischen Mons und Namur hatte er geladen, drei bis vier Stunden von Venlo entfernt, wie er nun ausgesagt hat. Damals kaum zu erklären: Die niederländische Polizei hatte ihn am Abend bei Venlo auf der A 73 gesehen – und bereits Richtung Deutschland. Das musste wohl mit der Rückladung sein, hatte ich vermutet. Anders wäre die Tour legal kaum zu schaffen gewesen nach den drei Feiertagen mit Lkw-Fahrverboten. Nur der Weg über die A 61 Richtung Koblenz hatte mich stutzig gemacht. Nun steht fest: Es war alles noch viel schlimmer.

Aus Polen direkt nach Venlo

Walerij Y. will, aus der Ukraine kommend, um 1.30 Uhr am 27. Dezember in Frankfurt/Oder über die Grenze gefahren sein, nicht ohne sich vorher im Duty Free Shop, den es wohl nur Richtung Deutschland gibt, mit Spirituosen eingedeckt zu haben, die er bereits für Silvester gekauft habe. Von Martini über Wodka bis Black Balsam, wie der Richter auflistet. Mit zwei Pausen sei er bis Venlo durchgefahren, schildert er, daran kann er sich noch erinnern, dort habe er gegen elf Uhr frühstücken und schlafen wollen. Einen festen Abladetermin habe es nicht gegeben.

Mit zwei russischen Fahrern, die dort standen, sei er von Lkw zu Lkw gezogen, man habe dabei viel getrunken. Während ein Gutachter von nachweisbarem regelmäßigem Konsum von Alkohol spricht, führt Walerij Y. an, dass er daheim nur mäßig trinke. Was ihm allerdings, der seit etwa drei Jahren zweimal im Monat aus der Ukraine nach Westeuropa gefahren ist, wohl zu schaffen gemacht habe, waren die Folgen eines Hüftleidens. Nur noch zwei Touren bis zur notwenigen Operation.

Kein grundsätzliches Nachdenken über Alkohol im Straßenverkehr

Und so trinken die drei Fahrer am hellen Werktag Bier und Wodka aus einem mitgebrachten Drei-Liter-Schlauch, zusammen mit den Ibuprofen muss das eine hochgefährliche Mischung gewesen sein. Sie ziehen von Lkw zu Lkw. Das letzte, an das sich Walerij Y., wie er aussagt, erinnert, sei ein Stück Käse gewesen, dass er in seinem Lkw, der letzten Station, gegessen habe. Ob die drei Fahrer sich keine grundsätzlichen Gedanken darüber gemacht hätten, mit Alkohol Lkw zu fahren, will ein Anwalt der Nebenkläger wissen. Nicht wirklich, bestätigt Walerij Y., was ich seit mindestens zwei Jahren immer wieder über zunehmendeSaufgelage osteuropäischer Fahrer schreibe.

Und dann passiert das bis heute kaum Fassbare: Offenbar im Vollrausch setzt er sich ans Steuer, der Schlüssel steckt noch – und er fährt über die A 67 ein Stück in die Niederlande, kommt dann offenbar am Knooppunt Zarderheiken auf die A73 und fährt wieder zurück über die Grenze nach Deutschland. Ohne jemals die Kohle auszuladen. Bis er gegen 21 Uhr mit rund 70 Stundenkilometern auf das Heck des Polizeiwagens trifft und diesen noch gut 200 Meter weiter schiebt. Doch an all das kann sich Walerij Y. nicht mehr erinnern. Zeugen haben wohl gesagt, er habe noch im bereits stehenden Fahrzeug weiter aufs Gas getreten.

Das Leid der Opfer

Sandra W., die den BMW gefahren hatte, und Jonas H., der Polizeianwärter, der neben ihr gesessen hatte, kommen beide nacheinander in Begleitung in den Zeugenstand. Die Liste ihrer Verletzungen ist schier unendlich. Die Beamtin hat es besonders schwer getroffen, sie kann sich an den gesamten Zeitraum vom 24. Dezember bis zum 15. Januar nicht mehr erinnern. Sie ist weiter nicht dienstfähig, es fällt ihr sichtlich schwer, auszusagen. Sie weicht dem vorsichtigen Blick von Walerij Y. aus. Zum Unfallhergang kann sie nicht viel sagen. Anders Jonas H., der sich nicht dienstunfähig schrieben ließ, weil er mitten im Studium ist und ein weiteres Jahr verlieren würde. Er hatte nach dem Unfall den Notruf am Funkgerät gedrückt, um die Kollegen der Autobahnpolizei zu benachrichtigen, die auch kurz danach eintrafen.

Seine Schilderungen weisen darauf hin, dass dieser Polizeieinsatz einer Streife aus der Stadt Viersen auf der Autobahn, so wie ich es bereits in meinem Blog geschrieben hatte, offenbar in großer Eile durch die Landesleitstelle erfolgte. Man habe zwar gewusst, dass es sich offenbar um einen betrunkenen Lkw-Fahrer handele, der in Schlangenlinien auf der A 61 unterwegs sei. Es sei beabsichtigt gewesen, den Lkw anzuhalten. Wie das passieren sollte, sei dabei aber nicht abgesprochen gewesen. Man habe sich daher mit Warn- und Blinklicht im 3er BMW auf den Standstreifen der A 61 gestellt, andere Lkw seien auf der Überholspur vorbeigezogen, den ukrainischen Lkw, dessen Kennzeichen bekannt war, habe man in der Dunkelheit nicht kommen sehen – plötzlich war er einfach da.

Auf meine Frage an die Staatsanwaltschaft und den Verteidiger, ob der Polizeieinsatz selbst vielleicht in Frage gestellt würde, erhielt ich eine klar verneinende Antwort. Walerij Y. wird am Ende, das hat er bereits gesagt, die Schuld ganz alleine auf sich nehmen und die Verantwortung tragen.

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