Jans Blog Tacho-Tricksen lohnt nicht

Foto: Jan Bergrath

Manche Fahrer denken immer noch, der Einsatz einer zweiten Fahrerkarte sei nur ein Kavaliersdelikt. Ist es nicht! Wer erwischt wird, muss mit erheblichen Strafen rechnen.

Acht Fahrer aus dem Emsland stehen laut der Neuen Osnabrücker Zeitung vor dem Amtsgericht in Papenburg. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück wirft ihnen vor, ihre Fahrerkarten während der Arbeit für eine kleine Spedition aus dem nördlichen Emsland untereinander getauscht zu haben. So sollen sie die Vorschriften zu den Lenk- und Ruhezeiten umgangen haben.

Der Anklage zufolge sollen die Männer im Sommer und Herbst 2013 in dutzenden Fällen die Fahrerkarten ihrer Kollegen mitbenutzt haben, "um eine Lenkzeitüberschreitung beziehungsweise eine Nichteinhaltung der Ruhezeiten zu vertuschen". Ihnen wird die Fälschung "beweiserheblicher Daten" und die Beihilfe dazu zur Last gelegt. Der Spediteur hält dagegen und behauptet, die Fahrer seien in Doppelbesatzung unterwegs und müssten zwangsläufig die Fahrerkarten tauschen. Den kompletten Artikel findet Ihr hier. Laut Insiderinfos soll es sich dabei wohl um ein kleines Transportunternehmen handeln.

Wie ein Gespräch mit dem Leiter des Amtsgerichts ergeben hat, sind mittlerweile drei der Fahrer aus dem Verfahren entlassen worden. Mit einem Urteil ist erst Ende Oktober zu rechnen. Weitere Zeugen müssen vernommen werden. Der Fall scheint also komplex zu sein.

Dauerthema zweite Fahrerkarte

Meine erste Reportage im FERNFAHRER über einen Unternehmer, dessen Fahrer bei einer Polizeikontrolle aufgefallen waren, weil sie durch den Einsatz einer zweiten Fahrerkarte länger am Steuer saßen als es die Sozialvorschriften erlauben, stammt aus dem Jahr 2011. Sie hieß "Tote fahren länger". Es war der erste größere Skandal um den Missbrauch von Fahrerkarten. Damals war es die Karte des verstorbenen Firmenchefs, mit denen Fahrer unterwegs waren. Seither habe ich immer wieder über solche Fälle berichtet. Wie auch 2012 in "Die Bösen und die Guten". Die Artikel findet Ihr am Ende des Artikels zum Download. Hier hatte der Chef der Firma nach den Ermittlungen von Polizei und Gewerbeaufsicht im "Nassen Dreieck" zwischen Bremen und Bremerhaven in den Kneipen Leute angesprochen, die seinen festen Fahrern ihre Fahrerkarten zur Verfügung stellten, damit diese unterwegs bei Bedarf einen Aushilfsfahrer vortäuschen konnten. Weil ein Polizist sich die Mühe machte, zu prüfen, wo diese Aushilfsfahrer zur im Tacho dokumentieren Zeit wirklich waren, nämlich zum Teil an ihrem regulären Arbeitsplatz, flog der massive Betrug auf. Gegen die Fahrer wurden damals Strafbefehle von 60 bis 70 Tagessätzen erlassen. Beide Unternehmen gibt es heute nicht mehr. Sie haben ihre Lizenz verloren.

Eindeutige gesetzliche Regeln

Das Internet ist voll mit Berichten über die Tachomanipulation mit Fahrerkarten. Doch erst nach anfänglichem Zögern der Staatsanwaltschaften, darin überhaupt eine Straftat zu sehen, hat sich mittlerweile in der deutschen Justiz eine gemeinsame Richtung herauskristallisiert. Sie lautet: Fährt der Fahrer auf Anweisung des Spediteurs ohne Fahrerkarte, begehen beide eine Ordnungswidrigkeit. Fährt der Fahrer mit der Fahrerkarte eines Dritten, erfüllt dies den Tatbestand des § 269 StGB. Der Unternehmer macht sich gegebenenfalls wegen Anstiftung strafbar. Häufig gilt zudem zumindest für den Unternehmer der erhöhte Strafrahmen des § 269 Abs. 3 iVm § 267 Abs. 3 StGB.

Verwendet der Fahrer die Karte ohne den Willen des Karteninhabers, kommt eine Strafbarkeit nach § 274 Abs. 1 Nr. 2 und nach § 303a StGB in Betracht. Zu § 269 StGB besteht Tateinheit. Überlässt der Karteninhaber seine Fahrerkarte freiwillig, macht er sich wegen Beihilfe zu § 269 StGB strafbar. Wer sich tiefer in die Materie einlesen möchte, dem sei der Fachaufsatz aus der Zeitschrift "Straßenverkehrsrecht" (SVR) empfohlen (Ihr findet ihn hier.)

Die arbeitsrechtliche Komponente

Strafrechtlich ist die Sache klar. Kurz gesagt: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind beide dran, wenn der Fahrer erwischt wird. Problematischer wird es, wenn der Transportunternehmer seine Fahrer explizit auffordert, eine zweite Karte zu benutzen. Auch das kommt immer wieder vor. Auch hier gibt es klare "Spielregeln", wie Harry Binhammer, Fachanwalt für Arbeitsrecht und einer unserer Experten von "FERNFAHRER hilft" betont. "Eine Kündigung aufgrund des Nichtbefolgens solcher "Weisungen" wäre unwirksam. Solche Weisungen darf man verweigern. Der Fahrer kann sich nicht damit heraus reden, "er musste so handeln". Er weiß, dass er es nicht darf, und wenn er es trotzdem macht, haftet er dafür." Diesbezügliche Urteile, so Binhammer, seien ihm nicht bekannt, da der Fahrer in solchen Fällen meist nicht gekündigt, sondern das "Problem" im Betrieb anderweitig "gelöst" wird. Dazu dient die Phase der Probezeit, wo der Schutz für die Fahrer, die einen Kartenmissbrauch verweigern wollen, relativ gering ist.

Brutaler Wettbewerb und Zeitdruck

Auf meine Anfrage hat das Bundesamt für Güterverkehr, BAG, nun indirekt bestätigt, dass der Kartenmissbrauch längst zur Tagesordnung gehört. Aus Köln heißt es dazu: "In den allgemeinen Kontrollen ist eine Quote von rund 25 Prozent Manipulationen festzustellen. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass zu diesem Themenbereich beispielsweise auch eine "falsche" Fahrerkarte oder falsche Kalibrierungen des Kontrollgerätes zählen." Mit ein Grund ist wohl auch der ungeheure Zeitdruck, dem immer mehr Unternehmer und ihre Fahrer heute ausgesetzt sind, allein um die vielen Zeitfenster, die von den Kunden vorgegeben werden, einhalten zu können. Immer öfter höre ich von Unternehmen, dass der Lkw keinen Gewinn mehr macht, wenn auch nur eine Tour pro Woche ausfällt. Ich selbst habe erst kürzlich eine Tour mit einem selbstfahrenden Unternehmer abgelehnt, weil dieser mir einen Tag vorher anvertraute, dass er selber immer wieder eine zweite Fahrerkarte nutzen würden, um zeitlich klar zu kommen. 

Die Ehrlichen haben den Nachteil

Den Nachteil dieser illegalen Praxis haben vor allem die Unternehmer, die seriös arbeiten. "Ich hoffe, dass der Unternehmer dafür dementsprechend zur Rechenschaft gezogen wird", sagt etwa Michael Grummel von der gleichnamigen Spedition aus Werlte im Emsland über den Prozess in Papenburg. "Denn mit solchen Aktionen wird das ganze Gewerbe in Verruf gebracht. Selbst in meinem privaten Umkreis werde ich mittlerweile darauf angesprochen, und da wird dann leider auch schnell verallgemeinert. Wir investieren viel Arbeit, Kraft und Organisationstalent dafür, unser Fahrpersonal nach den Lenk- und Ruhezeiten einzusetzen. Jedes Fahrzeug hat eine Telematik eingebaut, bei dem der Disponent zu jeder Zeit von seinem Computer aus sehen kann, was der Fahrer noch an Lenkzeit hat. Vor allem ist es ja auch die Sicherheit von Menschen, die da aufs Spiel gesetzt werden. Ich weiß gar nicht wie solche Leute nachts ruhig schlafen können."

Neue Broschüre von der IHK Stuttgart

Und deshalb für die Mehrzahl der Unternehmen in Deutschland, die sich die größte Mühe geben, weitestgehend gesetzeskonform zu blieben, hier noch eine Empfehlung: Götz Bopp, Fachreferent der Abteilung Industrie und Verkehr der IHK Region Stuttgart und ebenfalls einer unserer Experten, hat eine neue Broschüre zum Thema "Sozialvorschriften im Straßenverkehr" herausgebracht. Diese soll vor allem dazu dienen, den Betroffenen, also auch den Fahrern, mehr Klarheit über die tatsächlich bestehenden Vorschriften zu verschaffen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Übersicht der detaillierten Pflichten, die mit dem Aufzeichnen von Lenk- und Ruhezeiten über Kontrollgeräte für den Fahrer und den Unternehmer einhergehen, vertieft. "Aber es werden auch einige Aspekte angesprochen, die in der Praxis ungelöste Fragen aufwerfen oder zu Problemen führen", sagt Bopp.

Wer also Interesse an einem der gedruckten Exemplare der Broschüre hat, kann gerne eine E-Mail an verkehr@stuttgart.ihk.de senden. Bopp weist aber ausdrücklich darauf hin, dass die IHK den Bestellern, die die Broschüre für gewerbliche Zwecke, also etwa für Schulungen und Unterweisungen, nutzen möchten, nach aktuellem Stand kostenfrei grundsätzlich nur eine begrenzte Anzahl an Broschüren zukommen lassen kann. "Kontrollbehörden, die die Broschüre im Rahmen von Kontrollen und anderen Gelegenheiten an Betroffene verteilen, unterliegen dieser Beschränkung nicht". Ich habe sie bereits gelesen und kann nur sagen – eine hochaktuelle und wichtige Lektüre, die eigentlich in jeden Lkw gehört.

Download Tote fahren länger (PDF, 0,67 MByte) Kostenlos
Download Die Bösen und die Guten (PDF, 1,52 MByte) Kostenlos
Unsere Experten
Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
Götz Bopp, unser Experte für Sozialvorschriften im Straßenverkehr (Lenk- und Ruhezeiten) Götz Bopp Sozialvorschriften und Güterverkehr
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