Jans Blog Sozialdumping im Transport

Die Raststätte Aachener Land an der A 4. Jedes Wochenende ist der Lkw-Parkplatz total überlastet. Foto: Jan Bergrath

Der anhaltende Irrsinn um die Verbringung der regelmäßigen wöchentliche Ruhezeit im Lkw zeigt einen weiteren Konstruktionsfehler innerhalb der Europäischen Union.

Die Raststätte Aachener Land an der A 4. Jedes Wochenende ist der Lkw-Parkplatz total überlastet. Gerade im Sommer steigt die Temperatur in den Fahrerhäusern dann leicht auf 50 Grad. Eine Standklimaanlage haben die allerwenigsten Fahrer. Sie sitzen auf Klappstühlen vor ihren Blechkisten und versuchen, die Zeit totzuschlagen. Viele trinken Alkohol – auch aus Frust, dass sie schon wieder nicht daheim bei ihrer Familie sind. Kaum jemand nimmt es wahr. Das Elend, dass sich seit ein paar Jahren mitten in Europa abspielt, findet in einer Art Parallelwelt statt – am Rande der Autobahn.
 
Tausende Fahrer aus Osteuropa verbringen so ihr Wochenende. Sie sind die modernen Nomaden des internationalen Straßengüterverkehrs. Manche sind seit Wochen so unterwegs. Sie fahren auch für belgische, niederländische und deutsche Transportunternehmen, die in Rumänien, Bulgarien oder der Slowakei eine Niederlassung haben. Oft gibt es dort keine richtige Speditionsanlage sondern nur einen Briefkasten. Das ist illegal. Aber es geht um den Vorteil im Wettbewerb. Und der findet auf dem Rücken der Fahrer statt.
 
Die europäischen Gewerkschaften haben dafür einen Begriff geprägt: Sozialdumping. Dumping bezeichnet den Verkauf von Leistungen unter den eigenen Kosten. Eigentlich ist es eine Verlagerung, die Arbeitsplätze kostet. Im Westen verdienen Lkw-Fahrer bis zu 2.500 Euro im Monat – plus Spesen. Im Osten bekommen viele Fahrer den Mindestlohn. Der liegt bei 200 bis 500 Euro im Monat, dazu erhalten auch sie ihre Spesen, die eigentlich dazu diesen sollten, dass sich die Fahrer unterwegs verpflegen können. Die meisten bringen dieses bare Geld aber mit nach Hause. Stattdessen kochen sie hinten auf dem Auflieger oder irgendwo zwischen den Achsen.

Dieser unwürdige Zustand ist nun bis Brüssel vorgedrungen. Dort hat Verkehrskommissarin Violeta Bulc erkannt, dass dieser Dumpingwettbewerb so nicht mehr weitergehen kann. Auf einer Konferenz hat sie kürzlich noch einmal deutlich gesagt, dass es längst die Verordnungen gibt, um die schlimmsten Auswüchse einzudämmen. Eine davon, der Artikel 8, Absatz 8 der EU-Verordnung 561/2006, ist die Regelung über die Verbringung der Ruhezeit im Lkw.
 
Sie lautet: „Sofern sich ein Fahrer hierfür entscheidet, können nicht am Standort eingelegte tägliche Ruhezeiten und reduzierte wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug verbracht werden, sofern das Fahrzeug über geeignete Schlafmöglichkeiten für jeden Fahrer verfügt und nicht fährt.“ Die dritte Möglichkeit, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden, ist in diesem Text nicht explizit genannt.  
 
Die Kontrolle der Verordnungen ist Aufgabe der Mitgliedstaaten. Dummerweise ergibt dieser eine Satz zwei Möglichkeiten der Interpretation. Belgien und Frankreich haben entschieden, dass diese Formulierung einem Verbot gleichzusetzen ist. Seither sind dort am Wochenende die Lkw-Parkplätz wie leergefegt. Ein Verstoß kostet Unternehmen viel Geld. In Deutschland dagegen stellt sich das Verkehrsministerium auf den Standpunkt, es sei durch die Auslassung zwar nicht erlaubt, aber eben auch nicht verboten. Und nur etwas, was klar verboten ist, kann auch mit einem Bußgeld bestraft werden.

Die EU-Kommission hätte nun die Möglichkeit, die Verordnung so neu zu formulieren, dass sie ein klares Verbot darstellt, das lange Wochenende unterwegs im Lkw zu verbringen. Aber dazu bräuchte sie die Zustimmung der Mehrheit der 28 EU-Länder. Ein Konstruktionsfehler: Denn gerade die osteuropäischen Länder sehen die Schutzvorschrift für die Fahrer als puren Protektionismus des Westens – und würden im Ministerrat dagegen stimmen. Und in der Bundesrepublik, dem wichtigsten Transitland Europas, das vom Export seiner Güter profitiert und immer noch an den beiden größten Logistikkonzernen beteiligt ist, schaut das zuständige Bundesamt für Güterverkehr einfach weg. Dort hat man sich in eine dritte Interpretation der Verordnung geflüchtet. Man darf die Fahrer durch eine Kontrolle bei der Ruhezeit nicht stören. Denn dann müssten sie ihre Pause gleich wieder von vorne beginnen – und die Ware käme am Montag nicht pünktlich beim Kunden an. Doch nun mehren sich die Stimmen besorgter deutsche Politiker, ein Sonntagsschlafverbot im Lkw in der Fahrpersonalverordnung zu verankern. Das wiederum wäre laut der EU-Verordnung erlaubt. Nun ist es in Berlin an der Zeit, es endlich auch zu tun. Spätestens nach der Sommerpause.
 
Dieser Kommentar vom Jan Bergrath erschien zuerst im belgischen Radiosender BRF als Gastbeitrag zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Sozialdumping im Transportsektor“. Siehe auch den Bericht dazu im Fernfahrer Heft 9, das Anfang August erscheint. An dieser Stelle wird Jan Bergrath jetzt in lockerer Regelmäßigkeit aktuelle Ereignisse aus Transport und Logistik kommentieren.

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