JansBlog Angriff auf das Spesenmodell

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath

Die Deutsche Post hat einem Fahrer aus Tschechien, der für einen tschechischen Frachtführer zwischen zwei Briefzenten in Deutschland und Österreich pendelte, den deutschen Mindestlohn nachbezahlt. Seine Klage ist nun vom Tisch.

Liebe Leser, kennen Sie das auch: Sie wachen am Morgen auf, und die Welt ist nicht mehr, so wie sie war? Der SPD und uns allen könnte das am 5. März, also nach dem Mitgliederentscheid zur Beteiligung an einer neuen Großen Koalition, passieren. Und mir ging es so nach einem aktuellen Bericht des MDR. Nichts anderes als das beliebte Spesenmodell der meisten osteuropäischen Unternehmer, mit denen sie ihren Fahrern hohe Nettolöhne bei sehr geringen Sozialabgaben zahlen, steht gerade auf dem Spiel.

Hier in Kürze: Der Fahrer eines tschechischen Frachtführers, der regelmäßig im Auftrag der Deutschen Post mit einem Lkw zwischen einem Briefzentrum in Frankfurt/Main und Salzburg gependelt war, hatte mit Unterstützung des DGB-Projekts “Faire Mobilität“ vor dem Arbeitsgericht Bonn geklagt, dass ihm der deutsche Mindestlohn zustehen würde. Denn, so die Auffassung von DGB und Verdi, in diesem Fall sei der Fahrer von seinem Arbeitgeber nach Deutschland entsendet worden, um ausschließlich im Auftrag der Post bilaterale Transporte zwischen Deutschland und Österreich abzuwickeln. Und da er dabei den größten Teil seiner Arbeit in Deutschland leistete, stünde ihm nach dem deutschen Mindestlohngesetz (MiLoG) eben auch der Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro pro Stunde zu.

Die Post zahlt “freiwillig“

Der Fahrer hatte lediglich den tschechischen Mindestlohn bekommen, der liegt bei 450 Euro im Monat, dazu pro Tag im Ausland Spesen. Letztere betragen, je nach Land, derzeit zwischen 45 und 65 Euro pro Tag. Laut Michael Wahl vom DGB-Projekt “Faire Mobilität“ hat der Fahrer nun den Unterschied zwischen dem tschechischen Mindestlohn und dem auf den deutschen Arbeitsanteil anfallenden Mindestlohn von 8,84 Euro, also rund 1.500 Euro bei 160 Arbeitsstunden, vor dem Bonner Arbeitsgericht eingeklagt. Doch zu einem Verfahren kam es letztlich doch nicht, wie mir auch eine Pressesprecherin der Deutsche Post DHL Group heute bestätigt hat: “Die Deutsche Post AG hat sich in einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Bonn mit dem Kläger, der ehemals bei einer Tochtergesellschaft eines von der Deutschen Post AG beauftragten  Speditionsunternehmens beschäftigt war, außergerichtlich darauf verständigt, das Verfahren beizulegen.“ Der Fahrer hat nun eine Einmalzahlung von etwas über 8.300 Euro erhalten. Seinen Job hat er verloren.

Zur Begründung heißt es: “Die Deutsche Post AG stellt entsprechend ihres Qualitätsanspruchs an die von ihr beauftragten Transportunternehmen hohe Anforderungen und verpflichtet diese bereits bei der Ausschreibung, alle gesetzlichen Regelungen, wie explizit auch das Mindestlohngesetz, zu beachten. Die Deutsche Post AG lässt sich dies bei Vertragsabschluss durch den jeweiligen Auftragnehmer schriftlich bestätigen, einzelfallbezogen wird eine Bestätigung durch den Steuerberater eingefordert. Bei Verstößen gegen geltendes Gesetz werden die Beauftragungen regelmäßig beendet.“

Keine Rechtssicherheit

Für Michael Wahl ist das enttäuschend: “Es gibt keine Anerkennung der Schuld durch die Deutsche Post“, sagt er. “Zunächst sah es so aus, dass alle Seiten für Rechtssicherheit in dem Prozess sorgen wollten. Nachdem alle Beweise vorlagen, hat sich die Deutsche Post aber entschieden, lieber den Fahrer auszuzahlen, als durch ein Urteil Rechtssicherheit zu ermöglichen.“

Ob sich weitere Fahrer dazu entscheiden, ihren Mindestlohn in Deutschland einzufordern, ist derzeit offen. Die Nachricht hat in Tschechien für Wirbel gesorgt, das dortige Gewerbe ist in großer Sorge. Somit gibt es auch weiterhin, selbst nicht auf europäischer Ebene, kein eindeutiges positives Urteil zur Frage, ob Lkw-Fahrer in der Tat entsendet sind, wenn sie mit einem gebietsfremd zugelassenen Lkw aus einem anderen Land heraus einen grenzüberschreitenden Transport durchführen. Laut einem Rundschreiben des Deutschen Speditions- und Logistikverband von Mitte Februar hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg in einem Eilverfahren entschieden, dass Kontrollen nach dem MiLoG in Zusammenhang mit internationalen Beförderungsdienstleistungen aus dem EU-Ausland vorläufig unzulässig sind.

“Zu entscheiden, dass da Nachzahlungen fällig sind, geht völlig an der Realität vorbei“, sagte jedenfalls der Vorsitzende des Verbands des Transportwesens "Česmad Bohemia", Vojtěch Hromíř, gegenüber dem MDR. “Tatsächlich ist der Preisdruck enorm. Und die großen Auftraggeber sitzen am längeren Hebel. Vielfach fordern sie von ihren Subunternehmern, Erklärungen zu unterschreiben, dass diese alle gesetzlichen Bestimmungen erfüllen, darunter fällt auch das deutsche Mindestlohngesetz.“ Auch das tschechische Verkehrsministerium habe in einer Presseerklärung zu dem Fall Stellung bezogen und befürchte, er könne "zum Präzedenzfall werden für weitere Klagen." Das deutsche Gericht habe nicht berücksichtigt, dass sich das tschechische Lohnsystem vom deutschen unterscheide. Die Bedingungen seien nicht vergleichbar.“

Spesenmodell im Fokus

Und damit rückt das Spesenmodel in den Fokus, das ich bereits in meinem Blog “Kochen für den Mindestlohn“ beschrieben habe. In der Tat prallen hier zwei Welten der Bezahlung aufeinander. Bereits 2016 hat die französische Agentur CNR in einer Studie die Lohnkosten der Fahrer in Europa verglichen. Sie sind der Grund dafür, warum die Flotten aus Osteuropa im ersten Vergleich so günstig anbieten können: Im Mittel erhalten osteuropäische Fahrer für Auslandstouren heute um die 1.800 bis 2.000 Euro netto im Monat, vielfach für das Arbeitszeitmodell “drei Wochen fahren, eine Woche frei oder sechs Wochen fahren, zwei Wochen frei“ – was finanziell keinen Unterschied macht. Außer, dass die Abwesenheit vom Wohnort länger ist, was zu anderen Problemen wie dem Konflikt mit dem Wochenruhezeitverbot im Lkw führt.

Ein deutscher Fahrer kommt im Mittel auch auf etwa 1.800 bis 2.000 Euro netto. Allerdings kostet der angestellte Fahrer den Unternehmer inklusive Sozialabgaben und Spesen im Monat bei mindestens 208 erlaubten Stunden (vielfach allerdings mehr) mindestens rund 4.000 Euro. Es ist auch in der Tat durch eine unterschiedliche Produktivität nur schwer zu vergleichen.

Verhärtung der Blöcke in Brüssel

Der aktuelle Fall des tschechischen Fahrers könnte auch in die laufenden Verhandlungen zwischen der Kommission und dem Europäischen Parlament zum Mobilitätspaket platzen. Dort sind die Blöcke zwischen Ost und West bereits jetzt verhärtet. Gerade bei der Frage, wie die Entsenderichtlinie zukünftig für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen soll, ist noch lange keine Einigung in Sicht. Würde sich der Westen mit seinem Modell des Mindestlohns durchsetzen, dann wäre auf absehbare Zeit die Welt der Logistik nicht mehr so, wie sie bislang war.

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