ITF-Generalsekretär Viegas im Gespräch "Vorteil für die Unternehmen ist riesig"

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Sicherer als der Mensch: ITF-Generalsekretär José Viegas über autonome Fahrzeuge und arbeitslose Fahrer.

trans aktuell: Herr Viegas, Wann werden wir autonome Lkw auf der Straße sehen?

Viegas: Das könnte sehr schnell gehen. Die Automobilhersteller sagen, dass die Fahrzeuge für den Einsatz auf Autobahnen bereit sind, und der Vorteil für die Unternehmen ist riesig. Wenn es bedeutendere Verzögerungen geben sollte, dann nicht aufgrund der technischen Entwicklung sondern wegen fehlender Genehmigungen.

Was sind die Vorteile des fahrerlosen Transports?

Das große wirtschaftliche Plus ist eine Kombination von geringeren Kosten und erweitertem Radius. Bei Verteilerverkehren in der Stadt ist das kein Thema, aber sehr wohl im Fernverkehr. Während ein Lkw heute von Lissabon nach Mannheim etwa dreieinhalb Tage braucht, könnte sich diese Zeitspanne auf eineinhalb Tage verkürzen. Ein autonomes Fahrzeug, das rund um die Uhr unterwegs ist, schafft täglich 2.000 Autobahnkilometer. Es wird deutlich weniger Staus geben, denn viele Strecken werden nachts zurückgelegt. Ein weiterer Vorteil ist eine verbesserte Verkehrssicherheit.

… die aber noch nicht nachgewiesen ist, oder?

Nur durch Simulationen, denn die Fahrzeuge sind ja noch nicht im Einsatz. Aber ein großer Teil der tödlichen Unfälle auf der Straße ist derzeit durch Ablenkung, Müdigkeit oder aggressives Verhalten verursacht. Das fällt bei einem computergesteuerten Lkw weg. Sogar mit der morgen schon veralteten Software von heute wäre ein autonomer Truck bedeutend sicherer als ein von einem Menschen gesteuertes Fahrzeug. Probleme könnte es während einer Übergangszeit geben, wenn Menschen noch nicht wissen, wie sie auf einen Computer reagieren sollen und deshalb neue Fehler machen.

Es gibt sicherlich auch Auswirkungen auf die Logistikbranche.

Ja. Denn auch der optimale Standort von Lagerhäusern und Fabriken wird sich durch die längeren Reichweiten ändern, auch das Be- und Entladen wird automatisiert. Das Ganze hat Folgen für alle Industriestandorte.

Wer kann sich die neuen Fahrzeuge überhaupt leisten?

Es ist nicht gesagt, dass die autonomen Lkw wesentlich teurer werden. Vielleicht werden sie ja auch gar nicht verkauft. Vorstellbar sind Leasing-Modelle auf Kilometer- oder Tagesbasis. So würden sich die Investitionskosten stark verringern.

Dann braucht man eigentlich keine Transportunternehmen mehr, das Geschäft könnten Autobauer und Verlader auch unter sich ausmachen.

Das ist vollkommen richtig. Vielleicht werden nicht nur Fahrer sondern auch Transportunternehmen und Spediteure unnötig. Zumindest bei kleinen und mittleren Unternehmen ist das nahezu unvermeidlich. Wenn man die Lkw so effizient wie möglich nutzen will, dann ist das viel einfacher mit einer sehr großen Flotte.

Neben diesen ökonomischen Vorteilen stellt sich eine andere Frage – was bringt die Automatisierung für die Gesellschaft?

Mehr Sicherheit auf den Straßen. Und wenn wir daran glauben, dass Wettbewerb im Handel gut ist, dann wird diese Entwicklung den Wettbewerb zwischen den Produzenten von Industriegütern und Rohstoffen verstärken. Und davon profitiert der Verbraucher.

Und wenn der Verbraucher ein arbeitsloser Fahrer ist?

Das ist ein anderer Teil des Problems. Fahrer machen etwa sechs Prozent der arbeitenden Bevölkerung aus, das ist ein bedeutender Anteil. Aber der effizientere Handel ist ein Gewinn für die Gesellschaft insgesamt, der viel größer ist als die Kosten für diese sechs Prozent der Beschäftigten. Man sollte darüber nachdenken, wie ein Teil dieser Einsparungen den Fahrern zugute kommen kann.

Sollte die Gesellschaft die arbeitslosen Fahrer bezahlen?

Jedes Land wird seine eigene Politik verfolgen, das ITF mit 59 Mitgliedsländern kann bei solchen Fragen nicht ins Detail gehen. Die Kostenersparnisse sind so groß, dass es möglich sein sollte, einen Teil der Einsparungen für berufsspezifische Hilfen zu verwenden – zusätzlich zur staatlichen Unterstützung bei Arbeitslosigkeit.

Im Bericht wird auch vorgeschlagen, dass die Regierungen Beiräte bilden sollen, um den Prozess zu begleiten.

Wenn die Entwicklung erst einmal angelaufen ist, wird sie rasant sein, und wir müssen im Dialog mit allen Beteiligten einen friedlichen Übergang hinbekommen. Gelingt das nicht, kann man sich die Konsequenzen leicht ausmalen: Straßenblockaden, Gewalt und brennende Lkw. Die Regierungen sollten auch darüber nachdenken, ob sie die Verbreitung der Fahrzeuge steuern. Es wird zunächst nicht genug autonome Lkw geben, um die Nachfrage zu befriedigen. Das könnte zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen und einzelnen Ländern führen.

Zur Person


Der Portugiese José Viegas ist seit 2012 Generalsekretär des International Transport Forum (ITF) der OECD. Er ist Professor für das Fachgebiet Transport an der Technischen Universität Lissabon. Mit dem Ende seiner fünfjährigen Amtszeit tritt im August der Koreaner Young Tae Kim seine Nachfolge an.

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