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Interview mit IRU-Präsident Labrot Bessere Kontrolle durch digitalen Frachtbrief

Interview Christian Labrot, IRU-Präsident Foto: Thomas Kueppers

Der Präsident der International Road Transport Union (IRU), Christian Labrot, spricht über die positive Entwicklung des Carnet-TIR und sieht Chancen durch den digitalen Frachtbrief.

trans aktuell: Herr Labrot, welche Bilanz ziehen Sie nach einem Jahr an der Spitze der IRU?

Labrot: Es ist zu früh, Bilanz zu ziehen, aber es ist sehr viel Arbeit – intern stecken wir in einer Phase der Umstrukturierung, extern haben wir den Expansionsprozess erfolgreich verstärkt. Wir sind jetzt auf allen Erdteilen in mehr als 100 Ländern aktiv, haben mehr als 150 Mitgliedsorganisationen in 76 Ländern. Dieser Prozess dauert weiter an, auch im Hinblick auf das Carnet-TIR-Verfahren. Dieses ist einer der Eckpfleiler der IRU, die sich künftig aber noch breiter aufstellen muss.

Welche Länder kommen beim Carnet-TIR neu hinzu?

Die Expansion geht global weiter – nach Pakistan und China will jetzt auch Indien beitreten. Vietnam ist auch im Gespräch. Wir mischen die Region etwas auf. Mit einem durchgängigen Zollabkommen ist die Reaktivierung der Seidenstraße dann auch wirklich möglich. Ich wage die Prognose, dass sich die Beförderungszeit mindestens halbiert. Auch Saudi-Arabien und Argentinien stehen kurz vor der Unterzeichnung.

Das festigt doch die Finanzierung der IRU?

Die Expansion ist auch notwendig. Die Finanzierung der IRU – und vor allem ihrer Mitgliedsverbände – beruht zu einem Großteil auf dem Carnet-TIR-Service, dessen Nutzung im Kern Europas massiv zurückgegangen ist und sich faktisch halbiert hat – zum Beispiel auch durch das Russland-Embargo und die Nutzung des T-Verfahrens in der Türkei.

Was können Spediteure künftig als Service erwarten?

Als IRU wollen wir in erster Linie unseren Mitgliedsorganisationen den besten Service und messbare Vorteile für deren Mitglieder bieten. Wir können umfangreiche Garantien geben, auch für das T-Verfahren. Der Unternehmer entscheidet dann, was für ihn passend ist. Wir bieten die ganze Palette an. Mit dem elektronischen Carnet – die Pilotverfahren laufen sehr erfolgreich – könnten wir zum Beispiel neben der Ablaufvereinfachung auch die Garantiesummen flexibler gestalten.

Wie geht es beim digitalen Frachtbrief weiter?

Wir müssen hier das Rad nicht neu erfinden. Im Rahmen kommerzieller Aktivitäten und Services in der IRU-Familie wurde vom holländischen Verband das Unternehmen übernommen, das das E-CMR erfolgreich im Markt entwickelt hat. Wir müssen als IRU nur die wirtschaftliche und politische Einführung unterstützen. Das Pilotprojekt mit Spanien und Frankreich war sehr erfolgreich. Derzeit gehen wir über die einzelnen Verbände Schritt für Schritt voran.

Ist der E-Frachtbrief in Kombination mit dem digitalen Tacho auch ein scharfes Schwert im Kampf gegen Sozialdumping?

Durchaus denkbar. Wenn wir das richtig nutzen, habe ich Transparenz und kann die Bewegungen des Lkw und des Fahrers eindeutig nachverfolgen – sowohl was die Dauer als auch die Geografie angeht. Und wir hätten da ja auch noch Daten aus den Mautsystemen...Für mich persönlich ist es aber kein Sozialdumping, wenn etwa ein osteuropäischer Fahrer die Hälfte eines deutschen Fahrergehalts verdient. Er gehört dann mit Spesen in seinem Land zu den Besserverdienern und ist völlig zufrieden. Die Frage ist, wie man Sozialdumping definiert.

In Deutschland als Transitland mitten in Europa herrscht bezüglich des E-Frachtbriefs  noch ein Vakuum...

Ja, da gibt es bedauerlicherweise einen weißen Fleck auf der Landkarte. Den Ministerien fehlt noch ein eindeutiges Signal. Dabei sind elektronische Dokumente die transparenteste Möglichkeit, auch das Einhalten von Vorschriften, etwa bei der Kabotage, nachzuverfolgen. Aber wir sind in Gesprächen mit den deutschen Kollegenverbänden guter Hoffnung, dass sich etwas bewegen wird.

Gilt dies auch für Fragen wie den Mindestlohn und die Kabotage?

Hier muss ich zugestehen, dass die europäischen Mitgliedsverbände der IRU durchaus unterschiedliche Haltungen haben und wir nicht immer einen Konsens finden. Einerseits gibt es die Osteuropäer mit ihrem Kostenvorteil und daraus resultierenden Liberalisierungsbestrebungen auch bei der Kabotage und andererseits die westlichen Länder, die zum Teil Transitländer sind. Letztere sprechen eher von Sozialdumping und wünschen sich strengere Vorschriften und bessere Kontrollen. Aus meiner Sicht haben wir zwar ausreichend, aber zu komplizierte Vorschriften in Europa, die daher nicht kontrollierbar sind. Ein einheitlicher Mindestlohn in Europa ist nicht realisierbar, nationale Alleingänge aber nicht praktikabel. Es kann nicht angehen, dass ein Unternehmen seine Fahrer im Transit nach dem jeweiligen Mindestlohn des Landes zu zahlen hat. Hier muss die EU eine gemeinsame Lösung finden.

Auch bei der Kabotage fehlt eine einheitliche Linie.

Die aktuellen Initiativen in Frankreich, Belgien und Deutschland zielen gegen den unlauteren Wettbewerb. Wir haben einen gemeinsamen Binnenmarkt, aber verschiedene Wettbewerbs- und Kostensituationen in den einzelnen Ländern. Lohngefälle zu nutzen, wie das die Industrie tut, muss auch im Transportgewerbe möglich sein. Das Problem steckt in den nicht kontrollierten Auswüchsen.

Bei den wöchentlichen Ruhezeiten gibt es ebenfalls einen nationalen Alleingang, dieses Mal in Deutschland.

Wir brauchen bei der Übernachtung im Lkw eine praxis­gerechte EU-weite Auslegung der Vorschriften, nationale Alleingänge sind keine Lösung. Wir als IRU können einen europäischen Flickenteppich nicht akzeptieren.

Was kann sich die IRU vorstellen?

Eine Regelung im neuen EU-Road-Package, die Kabotage viel klarer definiert. Etwa Grenzübertritt plus drei Tage – das ist auch eine Überlegung der EU-Kommission – und nach dem Ende müssen Fahrer und Lkw wieder zurück ins Heimatland und eine gewisse
Karenzzeit einhalten. Über den neuen digitalen Tachografen, der in absehbarer Zeit für die Neufahrzeuge verpflichtend ist, besteht künftig eine weitere Kontrollmöglichkeit. Damit habe ich in regelmäßigen Abständen GPS-Positionen auf der Fahrerkarte und im Massenspeicher des Geräts. Der Einsatz des elektronischen CMR wäre eine weitere positive Ergänzung für mehr Transparenz und fairen Wettbewerb.

Was sind Ihre Ziele für die IRU, die Sie neu verankern wollen?

Erstens, die IRU als dynamische und globale Mobilitätsorganisation für Personen und Güter auch über den reinen Straßentransport hinaus aufstellen, zweitens, sie noch stärker als Serviceorganisation für die Mitgliedsverbände etablieren und drittens, die traditionelle TIR-basierte Organisation der IRU durch eine transparente, business-getriebene Non-Profit-Struktur ersetzen.

Das Carnet-TIR

Ziele:

  • Erleichterung des internationalen Warentransports durch eine Zollgarantie
  • Vereinfachung der zu erfüllenden Förmlichkeiten imgrenzüberschreitenden Verkehr

Voraussetzung:

  • Nur in den Ländern möglich, die über national zugelassene, bürgende Verbände verfügen

Zur Person

  • VWL-Studium mit Schwerpunkt Verkehrswirtschaft in Bonn, Abschluss zum Diplom-Volkswirt 1979
  • Seit 1979 verschiedene Funktionen im Bundesverband Werkverkehr und Verlader (BWV), seit 1990 BWV-Geschäftsführer, seit 1995 Hauptgeschäftsführer des Bundsverbands Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL)
  • Seit Januar 2016 Präsident der Inter­national Road Transport Union (IRU)
  • Verheiratet, zwei Kinder
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Experte für Flottenmanagement und angewandte Mobilitätsangebote Rolf Lübke Mobilität, Fuhrpark (inkl. Wasserstoff-Expertise)
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