Bus-Neuheiten Batteriebusse sind auf dem Vormarsch

IAA 2018 Busse Foto: Thorsten Wagner 13 Bilder

Die diesjährige IAA bringt den Durchbruch für die Elektromobilität bei den Stadtbussen. Nicht jeder Hersteller ist schon lieferfähig, aber alle zeigen stolz ihre Konzepte.

Grund für den Durchbruch – heute auch gerne "Disruption" genannt – ist die Tatsache, dass sowohl Mercedes-Benz als auch MAN erstmals ihre Batteriebusse der Öffentlichkeit vorstellten, auch wenn die Münchner erst in zwei Jahren liefern können. Dabei folgt der dynamisch gestaltete Stadtbus einem gelungenen Konzept, das dank fehlendem Motorturm bis zu vier Fahrgastsitze mehr bietet. Die massiven NMC-Batterien aus dem VW-Konzernbaukasten leisten 480 respektive 640 kWh und sollen dem Wagen genug Energie für den Umlauf eines Tages mit auf den Weg geben – eine Pantografenlösung wird daher erst gar nicht vorgehalten. Man darf gespannt sein, ob man sich mit dieser Selbstbeschränkung einen Gefallen tut, zumal man zusammen mit Konzernschwester Scania als Letzter auf den Markt kommt. Die allerdings setzt – typisch skandinavisch – vorerst auf die invertierte Pantografenladung von ABB und zeigt den Testwagen, der bereits seit einiger Zeit in einer kleinen Flotte in Schweden seinen Dienst tut, als Besucher-Shuttle auf dem Messegelände in Hannover. 2022 wollen die Schweden einen Depotlader nachschieben. Sowohl die Scania- als auch die MAN-Busse werden von im Konzern entwickelten elektrischen PSM-Zentralmotoren angetrieben, die effizient, aber auch auf die teuren seltenen Erden angewiesen sind.

IAA 2018 Busse Foto: Thorsten Wagner
Sven Schulz, CEO des hessischen Batteriebauers Akasol, zeigt die dritte Generation von leistungsfähigeren NMC-Batterien mit Rundzellen.

Beim Thema Batterien sind ein ganzer Reigen von Varianten angekündigt

Einen völlig anderen Ansatz hat Daimler für seinen eCitaro gewählt, dessen Solovariante noch Ende 2018 in Mannheim in den Dienst gehen soll. Statt auf Zentralmotoren setzen die Mannheimer auf die neueste Version der elektrischen AVE 130 von ZF. Beim Thema Batterien sind wiederum ein ganzer Reigen von Varianten angekündigt, die von 2018 bis 2022 (Brennstoffzellen-Rangeextender) in Serie gehen sollen. Als besonderer Clou sollen 2020 bereits Feststoffbatterien des französischen Zulieferers Blue Solutions verbaut werden, die sehr leistungsstark, aber nicht schnellladefähig sein sollen. Da sie auch deutlich voluminöser sind als die Akasol-NMC-Batterien, deren zweite Generation 2019 bereits an Daimler geliefert werden soll, haben die Ingenieure nicht ohne Grund den bisherigen Motorturm beibehalten, um am Ende nicht zu dachlastig zu werden. In Sachen Ladung will man aber bereits Ende 2019 auch Pantografenlösungen anbieten – hier sind der Kunde und sein Bedarf König. Die Schwaben setzen nicht nur auf die Batteriezusammenarbeit mit Akasol und Blue Solutions, sondern kündigten auf der IAA in Hannover auch ein Investment in den erfolgreichen US-Busbauer Proterra an, der schon über 650 Leichtbaumodelle mit Unterflurbatterien in Amerika verkauft hat. Breiter kann man sich in Sachen Batteriestrategie kaum aufstellen – auch wenn so mancher Kunde etwas verwirrt zurückbleiben mag.

Neue Batterien mit rund 30 Prozent mehr Leistung stellte auch VDL auf der Innotrans in Berlin vor. Zudem bieten die Holländer erstmals einen invertierten Pantografen an, der nicht mehr auf dem Bus, sondern an der Haltestelle montiert ist – der Bus wird dadurch etwas leichter. Gänzlich neu ist außerdem der Low-Entry-Elektrobus SLE, den es in 12 und 12,80 Meter Länge gibt – bei weitgehend identischem Innenraumdesign. Als erster Hersteller kooperiert VDL seit Neuestem auch mit der ZF-Openmatics- Telematikplattform sowohl für Elektro- als auch für Reisebusse. Neben Daimler ist der Hersteller der erste Busbauer, der eine busspezifische Telematik anbieten kann. Auch Volvo setzt vor allem nach dem Ende der Festlegung auf Opportunity-Charging im Jahr 2017 auf die NMC-Technik von Akasol, nur reden wollen die Schweden darüber noch nicht so freizügig wie Daimler. Der bereits in Göteborg im Test befindliche 7900 Gelenkbus im neuen Design wurde zwar nicht gezeigt, er soll aber wohl doch etwas früher in Serie gehen als bisher geplant. Der chinesische Hersteller BYD, dessen scheuer Vorstandsvorsitzender Wang Chuanfu sich von Europa-Chef Isbrand Ho den neuen, modularen 12-Meter-Leichtbaubus sowie den angepassten 18-Meter-Gelenkbus mit volldigitalem Cockpit unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorführen ließ, brachte einen neuen, 12 Meter langen Leichtbau-Elektrobus mit nach Hannover.

Mittelfristig wollen Getriebespezialisten hocheffiziente PSM-Motoren entwickeln

Auch bei den Zulieferern tut sich einiges in Sachen Elektroantriebe: ZF in Friedrichshafen liefert nicht nur die elektrische Portalachse AVE 130 vor allem an Mercedes-Benz, sondern seit Kurzem auch den ASM-Zentralmotor Cetrax, der einfacher in die Peripherie eines Busses integriert werden kann, der nicht explizit als Elektrobus konstruiert wurde. Mittelfristig wollen die Getriebespezialisten auch hocheffiziente PSM-Motoren und solche mit mehreren Gängen entwickeln. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Konkurrent Voith, der neben seinem für 2021 angekündigten Diwa-NXT-Fünfganggetriebe mit elektrischer Unterstützungsoption eine umfassende Elektrobusausstattung anbieten will, allerdings explizit ohne die Batterien zu liefern. Der auf der Innotrans gezeigte Solaris Urbino besitzt einen eigenentwickelten PSM-Zentralmotor und wassergekühlte NMC-Batterien, die in einem vorkonfigurierten Trägergestell auf dem Dach montiert sind. Schon 2020 soll das integrierte System an Bushersteller geliefert werden. Solaris selbst zeigte in Berlin erste leichte Retuschen an der Optik des Urbino-Elektrobusses für Frankfurt am Main, die vor allem Scheinwerfer (jetzt auch mit LED-Technik) und A-Säulen umfassen. Zudem ist der Oberleitungsbus Trollino im neuen Gewand zu sehen, der auch in Kombination mit einer NMC-Batterie geliefert wird und so kurze Strecken ohne "Leine" zurücklegen kann. Eine Option, die auch Iveco mit dem Crealis-Trolley mit In-motion-Charging aufzeigte. Daneben zeigten die Italiener auch den französischen Heuliez-Elektrobus GX337 in attraktiver BRT-Optik.

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Enttäuscht haben die meisten Hersteller wiederum beim Thema Hybridantrieb für Reisebusse. Obwohl ZF mit dem Traxon-Hybridmodul schon seit einiger Zeit eine elegante technische Lösung bereithält, ruht hier still der elektromobile See – sieht man von einigen chinesischen und baskischen Überlandbussen und dem LNG- betriebenen Scania Interlink MD einmal ab. In unverständlicher Verweigerungshaltung ignorieren vor allem die deutschen Hersteller diese Option und setzen weiter auf den Diesel. Wer weiß, vielleicht dauert ja die Beißhemmung bei den heißdiskutierten CO2-Vorschlägen der EU-Kommission für Busse bis weit in die 20er-Jahre an, und es entsteht weder gesellschaftlicher noch finanzieller Druck, hier tätig zu werden. Dass es anders geht, zeigen gerade die abgehandelten Elektrostadtbusse, deren Emmissionsfreiheit die Hersteller auf ihre Nutzfahrzeuge anderer Gattungen als wertvolle Credits anrechnen dürfen. Geht doch!

IAA 2018 Busse Foto: Thorsten Wagner
Martin Schmitz auf der NMW-Bühne zum Thema Infrastruktur für alternative Antriebe.

Verschiebung der Klimakosten vom Individualverkehr zum ÖPNV macht keinen Sinn

Interview: VDV-Techniker Martin Schmitz über den Stand der Stadtbus-Elektrifizierung. Das Gespräch führte Thorsten Wagner.

?: Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die Innotrans für den Busbereich?

Schmitz: Sie bietet vor allem Fahrzeugherstellern Präsentationsflächen für Elektrobusse und innovative Systeme im Bereich E-Mobilität und Ladeinfrastruktur. Dass der gesamte Busbereich eine Zukunft auf der Innotrans hat, glaube ich dagegen weniger. Ein innovatives Wachstum im Busbereich ist kaum möglich, zudem ist die Branche auch mit der Busworld und anderen Regionalmessen gut bedient.

?: Wie sehen Sie die Entwicklung auf dem Batteriemarkt, gerade in Hinblick auf die Daimler-Strategie?

Schmitz: Daimler hat das gleiche Problem wie MAN, da man generell auf die Batterien aus dem eigenen Lkw- und Pkw-Bereich setzt, um Synergieeffekte zu heben. Da sich durch die Abgasaffäre der Markt nun aber schneller dreht als erwartet und aktuelle Förderprogramme sowie drohende Fahrverbote die E-Bus-Ausschreibungen beflügeln, stehen die Hersteller unter Druck, ihren Kunden Produkte zu liefern. Daimler geht auf diese Marktentwicklung ein und bietet ein Produkt an. Bis 2020 verharren wir aber weiter in einer Anlaufphase, um dann ab 2020 in eine Hochlaufphase übergehen zu können. Momentan sind Unternehmen mit Flotten von fünf bis 40 E-Bussen gut beraten, Erfahrungen für den weiteren Hochlauf zu sammeln und die Hintergrundsysteme, die Werkstätten und die Ladeinfrastruktur aufzubauen.

?:Sehen Sie Batterieleasing oder Mietkonzepte als sinnvoll an, um die Batterien up to date zu halten?

Schmitz: So etwas muss es aus unserer Sicht klar geben. Wir benötigen upgradefähige Fahrzeuge, um die aktuelle Batterietechnik mit einer Lebensdauer von sechs bis sieben Jahren austauschen und die E-Busse entsprechend lange mit weiterentwickelter Technik betreiben zu können. Die hierfür nötigen Schnittstellen müssen nun abgestimmt werden. Aus diesem Grund haben wir uns auch auf die Fahne geschrieben, hier mit der Industrie eine Standardisierung der Schnittstellen voranzutreiben. Weiterhin erhoffen wir uns, dass sich zum Beispiel für stationäre Anwendungen ein Second-User-Markt für Traktionsbatterien entwickelt, damit wir die Investitionen für Batterien reduzieren können.

?: Ist der kleine Kulturkampf Depotladung versus Gelegenheitsladung schon entschieden?

Schmitz: Hierbei handelt sich leider nicht nur um einen Kampf der Philosophien, da die Technik noch keinen 1 : 1-Ersatz der aktuellen Fahrzeuge durch E-Busse ermöglicht. Wer wie die KVB auch beim Heizen emissionsfrei fahren will, kommt bei schweren Linien um dasOpportunity-Charging kaum herum. Wer hingegen eine günstige Linienführung und Depot­lage hat oder Heizen mit fossilen Kraftstoffen akzeptiert, der kann seine Fahrzeuge auch heute schon 200 bis 250 Kilometer mit Overnight-Charging betreiben. Die Hersteller stellen sich aktuell auch eher für die eine oder andere Variante auf und bieten entsprechende Produkte an.

?: Wie sehen Sie die Behandlung der Busse bei der gerade zu erarbeitenden CO2-Gesetzgebung?

Schmitz: Die aktuellen Diskussionen zum Dieselgipfel, zur Clean Vehicle Directive und zur CO2-Reduktion zeigen, dass jetzt alles versucht wird, Maßnahmen vom MIV fernzuhalten. Umweltpolitisch macht es aber keinen Sinn, nun Taxis und den ÖV mit überzogenen Forderungen zu überschütten, um Aktionismus zu zeigen. Nur langfristige Maßnahmen mit dem Ziel, eine Verkehrswende hin zum Umweltverbund in Metropolregionen zu gestalten, werden uns eine Entlastung im Verkehr bringen. Die aktuelle Idee, dass der ÖV die Lücke der EU-Reduzierung für den MIV von 30 Prozent und dem UN-Klimaabkommen mit 40 Prozent ausgleicht, wird aber so nicht funktionieren beziehungsweise die Kosten extrem verschieben. Das ist zu kurz gesprungen und aus unserer Sicht keine sinnvolle Verkehrspolitik für die Zukunft.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Titel Lao 11 2018
lastauto omnibus 11 / 2018
13. Oktober 2018
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