Gewerkschaftskreise gegen Verband Klassische Feindbilder auf der IAA

Foto: Jan Bergrath
Meinung

Der Titel der von Verdi und den Kraftfahrerkreisen organisierten Podiumsdiskussion mit Verbänden und der Politik auf der IAA hieß: „Tschüss Papa, wir sehen uns in drei Wochen.“ Es sollte eigentlich um das EU-Mobilitätspaket und den Fahrermangel gehen. Am Ende wurde eine wohl einmalige Chance fahrlässig vertan.

Es ist grundsätzlich wagemutig, auf Veranstaltungen wie dem Truck-Grand-Prix oder der Nutzfahrzeugmesse IAA eine politisch motivierte Podiumsdiskussion zu veranstalten. Ich selbst kann ein Lied davon singen. Es gibt zu viele wirkliche Attraktionen für die Fahrer, in diesem Fall die pralle Vielfalt der Lkw selbst. Sie sind der Grund, warum auch Spediteure am sogenannten „Fahrerwochenende“ meist ihre besten Leute auf die IAA und zu den wirklich verlockenden Ständen der Hersteller einladen. Das Interesse an neuer Technik überwiegt eben bei Weitem das Interesse an trockenen Themen wie der Zukunft des Fahrerberufs an sich.

Das war am Vormittag auf dem Stand bei TRATON nicht anders als am frühen Nachmittag im zusätzlich etwas abgelegenen Convention Center, wo die Kraftfahrerkreise (KfK) und Verdi laut Vorankündigung zu einer Podiumsdiskussion mit den Verbänden und der Politik mit dem Titel: „Tschüss Papa, wir sehen uns in drei Wochen“ geladen hatten. Zwischen 50 und 60 Besucher fanden dennoch den Weg, die meisten kamen dort sehr zielgerichtet hin – als Mitglieder ebenjener Kraftfahrerkreise oder der von Lkw-Fahrer Udo Skoppeck vor einiger Zeit gegründeten Allianz im deutschen Transportwesen, AidT.

Von der Straße auf die politische Bühne

Skoppeck hat sich für die deutschen Fahrer sehr verdient gemacht, als er vor fünf Jahren begann, die ersten Lkw-Demos zu organisieren, um gegen das damals noch neue Phänomen des Sozialdumpings und die mangelnden Kontrollen zu protestieren, bald bekam er politische Fürsprecher wie die EU-Parlamentarierin Jutta Steinruck (heute Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen) und den SPD-Verkehrsexperten Udo Schiefner. Doch dann verfasste er zusammen mit dem langjährigen Gewerkschafter und Hobbyjuristen Gregor ter Heide eine ellenlange Petition an die EU, die trotz vorheriger Warnung meinerseits so inhaltlich wirr und fehlerhaft wie sie war, dem Europäischen Parlament in Straßburg übergeben wurde. Seither glaubt Skoppeck, dass nahezu jede politische Entscheidung in Brüssel im Grunde auf diese Petition zurückzuführen ist, weil die Lösungsansätze eben auch in der Petition stehen. Die Transportbranche jedenfalls, das ist allerdings richtig, lobt ihn hin und wieder für seine Idee des digitalen Frachtbriefes.

Anfang des Jahres gründete er nun den Kraftfahrerkreis Wuppertal-Bergisches Land, um im Duett mit dem Lkw-Fahrer und Verdi-Mitglied Andreas Kernke „seinen politischen Weg“ weiter zu gehen. Und so organisierte er mit freundlicher Hilfe von Andreas Kernke und finanzieller sowie ideeller Hilfestellung durch Verdi jene politische Veranstaltung auf der IAA, die, man kann es im Nachhinein nicht anders sagen, zu einem Desaster wurde – auch wenn das von den Organisatoren selbst natürlich nicht so gesehen wird.

Schaut her, das sind meine Unterstützer

Wer zu einem öffentlichen Gespräch auf der Bühne einlädt, um vielleicht etwas konkret zu erreichen, der hält den Kreis der Teilnehmer so klein wie möglich - am besten reduziert auf mögliche Entscheidungsträger. Die waren auch gekommen, also Prof. Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung, BGL, Udo Schiefner, stellvertretender Sprecher Verkehrspolitik der SPD-Bundestagsfraktion und Stefan Thyroke, Leiter der Verdi-Bundesfachgruppe Speditionen, Logistik, Kurier-, Express- und Paketdienste. Das ist also die reine politische Ebene, denn sowohl der BGL als auch die Verdi-Bundesverwaltung in Berlin führen keine Tarifverhandlungen. Das geschieht auf Landesebene.

Doch auf der Bühne saßen des Weiteren: Matthias Krage vom Deutschen Speditions- und Logistikverband in Niedersachsen, MdB Johannes Schraps vom Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und Ralph Werner, ebenfalls Verdi, also eine Art Doppelbesetzung. Statt des kurzfristig verhinderten Chefredakteurs von „Trucker“ und „Verkehrsrundschau“, Gerhard Grünig, bat Skoppeck noch Andreas Mossyrsch von Camion Pro auf die Bühne - ein Mann, der den Grund allen Übels des Sozialdumpings bei der „organisierten Kriminalität in Rumänien“ sieht. Und zu guter Letzt der mittlerweile unvermeidliche belgische Hauptinspektor Raymond Lausberg, der jede gegebene Möglichkeit nutzt, um die mangelhaften Kontrollen seiner deutschen Kollegen zu kritisieren. Kurzum – alle jene Menschen, die Udo Skoppeck bislang mit Wohlwollen entgegen getreten sind.

Vorab formulierte Fragen, vorhersehbare Antworten

Als Moderator hatte Skoppeck André Sahorn auserkoren, der eine Zeit lang sein ET-Radio für die „Versorger der Nation“ betrieben hatte und nach dessen Einstellung und einer Episode als Lkw-Fahrer zeitweise in einem Haus in der Ukraine wohnt, wie er mir einmal auf einer Veranstaltung sagte – also weit weg vom Schuss. Mit seinen vorab formulierten Fragen, deren vorhersehbare Antworten nahezu allen Beteiligten und den Zuhörern bekannt sein durften, zog er die erste Runde so dermaßen in die Länge, dass man die Verzweiflung der meisten Diskutanten auf der Bühne regelrecht ansehen konnte. Unterbrochen wurde dieser Teil durch einige unflätige Zwischenrufe eines Holztruckers, der keine Zweifel daran ließ, dass für das schlechte Image der Transportbranche die Fahrer zum Teil auch selber verantwortlich sind.

Als der Moderator dann sichtlich erleichtert die Fragen des Publikum ermöglichte, passierte das, was bei solchen Veranstaltungen immer passiert: Keiner geht auf den anderen ein, jeder will sein Thema an den Mann bringen. Das reichte hier von in der Tat überlangen Arbeitszeiten, ungenügender Ausbildung der Kraftfahrer, Lohnforderungen von 4.000 Euro und mehr bis hin zum über allem schwebenden Thema, dass nur ein allgemeingültiger Tarifvertrag die Lösung aller Probleme in der EU sein wird – und Verdi nicht eher mit dem BGL auf ebenjener politischer Ebene gemeinsam an einem Strang gegen die drängenden Probleme der Branche ziehen wird, bis dieser Tarifvertrag endlich zustande gekommen ist. Dabei wird gerne von den Verfechtern der Tarifverträge übersehen, dass sich auf Grund des Fahrermangels die real bezahlten Löhne in einigen Regionen bereits von den tariflichen Löhnen nach oben hin abkoppeln.

Streit um die Drei-Wochen-Regel

Es war bereits im Januar, als Professor Engelhardt auf meine Initiative und Einladung der KfK bei einem Treffen in Kassel nach dem organisatorischen Teil den Vorschlag machte, dass die KfK sich an einer mittlerweile abgeschlossenen BGL-Umfrage über die Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer beteiligen sollten. Diese Umfrage wurde von Verdi in Berlin schlicht boykottiert. Gleichzeitig hatten Kernke und Skoppeck – entgegen den damals in Kassel beschlossenen neuen KfK-Regeln – schon ihr eigenes Treffen mit den Arbeitgeberverbänden geplant. Das waren die Gründe, warum ich mein Engagement für die KfK sofort niedergelegt habe. Seither – und das wird sicher auch nach diesem Blog kommen – heißt es auf Facebook immer wieder, ich würde gegen die KfK schreiben. Das ist natürlich Humbug, ich versuche nur, was schon schwer genug ist, dass bei den Diskussionen die Fakten nicht gänzlich unter den Tisch fallen.

Und somit zurück zum tränenrührenden Titel der Diskussion, dem „Tschüss Papa, wir sehen uns in drei Wochen“. Er basiert auf dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission, dass die Fahrer – vornehmlich die aus Mittel- und Osteuropa – spätestens nach drei Wochen wieder daheim sein sollten. Als kleiner Taschenspielertrick der EU-Kommission sollten die Fahrer dann die Möglichkeit haben, zweimal hintereinander ihre regelmäßige wöchentliche Ruhezeit zu verkürzen. Seither malen Verdi und deren Brüsseler Dachorganisation, ETF, den Teufel an die Wand, dass dies massive Einflüsse auf die Lenkzeiten und die Verkehrssicherheit habe. Das stimmt so einfach nicht. Selbst der szeneberühmte Raymond Lausberg sagt immer wieder, wenn man ihn konkret danach fragt, dass er seitens der Kontrollbehörden damit leben könne. Es sei besser, als der bisherige Zustand des Nomandentums, bei dem die Fahrer sechs bis zwölf Wochen oder sogar noch länger unterwegs sind.

Ein Kompromiss muss her – und zwar schnell

Kein deutscher Fahrer wird, wie es ebenjener Mitorganisator Andreas Kernke befürchtet, gezwungen sein, drei Wochen im Lkw unterwegs zu sein. Kein Mensch ist überhaupt gezwungen, Lkw zu fahren. Die deutschen Firmen haben heute schon Probleme, Fahrer zu finden, die eine ganze Woche von daheim und der Familie weg sein wollen, falls überhaupt vorhanden. Das wird die Branche sehr bald vor noch viel größere Probleme stellen.

Und die Fahrer aus Polen etwa, oder zunehmend aus Rumänien, die bei den serösen deutschen Transportunternehmen im Rhythmus „3:1“ arbeiten, wollen das tatsächlich so. Sie wollen nicht ins teure und ungastliche Deutschland überwechseln. Fragt man Unternehmer, würden diese sogar lieber im Rhythmus „4:1“ arbeiten. Und wenn die Familie daheim bleibt, kann der Fahrer, der für seine drei Wochen Arbeit in der Regel umgerechnet denselben Lohn bekommt wie der deutschen Kollege, zusätzlich noch Nettokindergeld einstreichen.

Doch keiner dieser Fahrer jammert über diese Situation. Fahrer aus Rumänien und Bulgarien würden sich über eine Drei-Wochen-Regel freuen. Nur darf das laut Verdi halt so nicht sein. Hier, wie bei der ETF oder dem DGB-Projekt „Faire Mobilität“, besteht man weiterhin auf die 14-Tage-Regel, nach denen ein Fahrer wieder daheim sein muss. Kommt sie, brechen ganze logistische Ketten zusammen und es erhöht sich auch in Deutschland schlagartig der Fahrermangel mit üblen Folgen für die betroffenen Unternehmen. Auch darüber muss man reden, wenn das Thema auf der Tagesordnung steht.

Das finale BGL-Bashing

Der BGL und die IRU, die viele europäische Arbeitgeberverbände des Transports auch in Brüssel vertreten, sind genauso in Ost-West-Blöcke zerstritten wie die politischen Fraktionen im Europäischen Parlament. Am Vormittag hatte ich mich noch bei TRATON mit Matthias Maegde unterhalten, dem IRU-Repräsentanten in Brüssel, der dort seinen Kurzfilm zum Thema Sonderparkflächen zeigte, den ich vor laufender Kamera hart kritisiert habe. Im Anschluss sprachen wir darüber, wie wichtig es derzeit ist, bei den nun wieder anlaufenden Gesprächen der Berichterstatter der einzelnen Ausschüsse im Europäischen Parlament einen tragfähigen Kompromiss zu finden, um das drohende Desaster zu vermeiden, dass nämlich eine Entscheidung bis nach den kommenden Europawahlen verschoben wird. Einer Wahl, von der heute schon befürchtet wird, dass rechtspopulistische Parteien großen Einfluss bekommen werden. Sonst bleibt einfach alles beim Alten.

In den ersten Resümees der Organisatoren ist nun die Rede davon, dass man sich nach dem erfolgreichen Treffen bald wieder zu weiteren Gesprächen an einen Tisch setzten müsse. Was für eine krasse Fehleinschätzung. In einer kleineren Runde, mit einem kompetenteren Moderator hätte man vielleicht auf deutscher Ebene einen tragfähigen Kompromiss zumindest erarbeiten können. Doch unter der „Leitung“ von André Sahorn fand nach der ellenlangen Fragestunde bald die oft übliche Blockbildung der klassischen Feindbilder statt – und danach eine Art BGL-Bashing.

Selbst der schwebende Zwist um die allgemeinverbindlichen Tarifverträge konnte nicht geklärt werden, da der Moderator zu diesem Zeitpunkt bereits den Überblick verloren hatte. „Dass sich viele Fahrer mit ihren Fragen an der Diskussion beteiligten“, so Engelhardt, der dann auch irgendwann wie vorangekündigt zu einem weiteren Termin musste, im heutigen Nachgespräch, „täuscht einfach nicht darüber hinweg, dass hier erneut eine große Chance vertan wurde, mit Verdi, der Politik, den Kraftfahrerkreisen und dem BGL, der sich ja gerade für eine Verbesserung der Arbeitssituation der Fahrer einsetzt, eine gemeinsame Lösung wirklich zu finden. Diese Diskussion war eine Einbahnstraße. Man hat nur erreicht, dass wir in dieser Konstellation sicher nichts mehr gemeinsam machen werden.“

Edit am 5.11.2018 zwecks sprachlicher Präzisierungen.

So wohnt Moderator André Sahorn nur zeitweise und nicht überwiegend in der Ukraine. Camion-Pro-Vertreter Andreas Mossyrsch wurde nach eigenen Angaben nicht von den Organisatoren aus dem Hut gezaubert, sondern war von langer Hand eingeladen. Er stand aber nicht in dem vorab verbreiteten Veranstaltungsprogramm als Teilnehmer der Diskussionsrunde.

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