Lange schien das neuartige Virus beherrschbar. Jetzt zeigt sich: Die Folgen sind nicht nur gesundheitlicher Art, sie treffen Wirtschaft, Transport und Versorgung empfindlich. Inzwischen hat sich Norditalien zu einem europäischen Corona-Hotspot entwickelt – wovon auch deutsche Lkw-Fahrer im Alpentransit betroffen sind.
Medikamente, Kleidung, Lebensmittel: Die Corona-Pandemie führt uns vor Augen, wie abhängig die Welt von globalen Lieferketten und vom Produktionsstandort China geworden ist. Und die Auswirkungen des Virus, von den gesundheitlichen einmal abgesehen, bekommen wir wohl erst noch richtig zu spüren: Laut eines Interviews der WELT mit dem Vorsitzenden der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke, steht die chinesische Wirtschaft aktuell praktisch still. Der Transport sei in den ersten Februarwochen um 80 Prozent eingebrochen, der wirtschaftliche Schaden viel größer, als bisher angenommen.
Im März drohen Engpässe
Europa importiere täglich Waren im Wert von einer Milliarde Euro aus China und noch kämen Containerschiffe – nach sechs Wochen auf See – hier an. Jetzt dürfe aber eine hohe zweistellige Zahl nicht mehr aus chinesischen Häfen auslaufen. Spätestens Ende März ist hierzulande also mit der Verknappung bestimmter Güter zu rechnen.
Schon vor Wochen ist die Erkrankungswelle nach Europa geschwappt, inzwischen hat sich Norditalien zu einem Corona-Hotspot entwickelt. Mancherorts steht dort das öffentliche Leben seit dem vergangenen Wochenende still, einige Gemeinden mit infizierten Einwohnern stehen unter Quarantäne.
Besorgte Italien-Fahrer
Deutsche Lkw-Fahrer fragen bereits, ob sie unter diesen Umständen überhaupt nach Italien fahren müssen. Die Antwort von Harry Binhammer, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Heilbronn, ist eindeutig. „Solange das Auswärtige Amt keine konkrete Reisewarnung für das betreffende Gebiet herausgibt, muss man Dienstreisen vornehmen, also auch nach China. Dazu gehören ebenso die Fahrten mit dem Lkw“, sagt Binhammer.
Die Unternehmen seien im Rahmen der Pflichten zum Gesundheitsschutz allerdings dazu angehalten, von sich aus Reisen auf das absolut Notwendige zu beschränken und mit den Gesundheitsbehörden und Krankenkassen bzw. dem Betriebsarzt abgestimmt konkrete Verhaltensanweisungen zu geben. „Das heißt, sie müssen sich gegebenenfalls erkundigen, ob im Zielort für die Fahrer ein Risiko besteht“, betont Binhammer.
Das Bundesgesundheitsministerium aktualisiert fortlaufend seine (wegen des großen Informationsbedarfs offensichtlich bereits überlastete) Webseite mit den jüngsten Entwicklungen. Stand heute sind in Deutschland 19 laborbestätigte Fälle von Covid-19 bekannt. Die meisten Betroffenen sind wieder genesen und aus den Isolierstationen entlassen worden. Weltweit wurden 81.005 Fälle gemeldet, davon sind 2.762 Menschen verstorben.
Starker Rückgang im Alpentransit
Sven Acker fährt seit neun Jahren für die Spedition Buck aus Trochtelfingen jede Woche nach Norditalien. Er bringt meist Malz zu einer Brauerei bei Bergamo und kommt mit Holz oder Steinen als Rückladung zurück. Dienstag auf Aschermittwoch hat er zunächst den Brenner passiert, er berichtet nun telefonisch aus Norditalien von geschätzt 30 bis 40 Prozent Rückgang des Lkw-Verkehrs allein im Alpentransit. „Auf der Tangentiale um Mailand ist es wie ausgestorben“, sagt er. "Die Strecke ist momentan völlig problemlos zu befahren. Sonst muss man um diese Zeit mit bis zu zehn Kilometern Stau rechnen.“
Mit Mundschutz an der Abladestelle
Auf dem Weg nach Norditalien ist Sven von der Nachricht, dass sich der erste italienische Lkw-Fahrer im Raum Mailand mit dem Corona-Virus infiziert haben soll und in Quarantäne befindet, praktisch kalt erwischt worden. Aktuell hat sich auch ein Reisender aus Göppingen in Mailand infiziert. „In die direkten Krisenregionen kommt man derzeit allerdings gar nicht rein“, sagt Sven, auch zur eigenen Beruhigung. Er nimmt es gelassen. Viel tun kann er derzeit nicht. „An der Abladestelle musste ich auf Anweisung der Security Mundschutz tragen und die Hände vor der Ein- und Ausfahrt desinfizieren.“ Dazu hat er ein Formular unterschrieben, auf dem er bestätigen musste, dass er in den letzten Tagen nicht in China gewesen ist.
Bislang hat sich Sven noch keine großen Sorgen gemacht. Aber eins weiß er sicher. „Falls ich nach dieser Tour vorerst nicht wieder nach Italien fahren will, dann würde mein Chef mich sicher auch nicht dazu verpflichten.“
Die Definition
- Laut Robert Koch Institut bezeichnet der Begriff der Pandemie eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Epidemie, verursacht durch einen Virus, das in der Lage ist, schwere Erkrankungen hervorzurufen und sich gut von Mensch zu Mensch zu verbreiten.
- Wie es mit der aktuellen Verbreitung des Coronavirus aussieht, verdeutlicht diese Seite der Johns Hopkins Universität.
- Eine Epidemie wiederum bezeichnet das das vermehrte Auftreten von Krankheitsfällen einheitlicher Ursache innerhalb einer menschlichen Population, solange es zeitlich und örtlich begrenzt bleibt.
- Das Ausrufen einer Pandemie erfolgt per Definition durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO).
- Die WHO spricht aktuell noch von einer „möglichen Pandemie“.WHO-Direktor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus erklärt dazu „Wir wissen zu schätzen, dass die Menschen darüber diskutieren, ob dies eine Pandemie ist oder nicht.“
- Aus seiner Sicht liege der Schwerpunkt allerdings noch zu sehr in China. „Die WHO wird nicht zögern, dies als Pandemie zu bezeichnen, wenn die Beweise dies nahelegen“, sagt Ghebreyesus.
- Anerkannte Virologen sprechen aufgrund der Ausbreitung allerdings bereits jetzt von einer Pandemie, darunter Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg sowie die Infektiologin Marylyn Addo vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
