Flixbus-Unfall bei Leipzig Debatte ist unausweichlich

Foto: Flixbus

Bei einem Unfall eines Setra-Doppeldeckers (Stellvertreterbild) auf der A9 nahe Leipzig ist ein Mensch gestorben. Die Autobahnpolizei in Weißenfels sprach am Sonntagabend von mindestens sieben Schwerstverletzten. Eine Debatte über die Gurtpflicht und die Wirksamkeit von Assistenzsystemen scheint unausweichlich.

Der Bus des Fernbusunternehmens Flixbus "überschlug" sich nach Polizeiinformationen am frühen Abend zwischen den Anschlussstellen Leipzig-West und Bad Dürrenberg. Anschließend blieb das Fahrzeug auf der Seite liegen. Korrekter müsste man davon sprechen, dass der Setra S 431 DT, der erst im April seine gesetzliche Sicherheitsprüfung absolviert hatte, von der Fahrbahn abgekommen sein muss, die Leitplanke durchbrochen hat und aufgrund dieses Hindernisses sowie der leichten Böschung auf die linke Seite gedrückt wurde – also ein klassischer Umsturz, der das häufigste Unfallszenario im Reisebus, zumal im Doppeldecker mit nochmals höherem Schwerpunkt, abbildet.

Vier Hubschrauber und mehr als zehn Rettungswagen waren im Einsatz, um die rund 12 Verletzten (sieben davon schwer) zu bergen. Bereits im letzten Oktober starb ein Passagier in der Nähe von Zürich, als ein Flixbus in eine Mauer fuhr. Insgesamt stellt sich die Unfallbilanz des Unternehmens, das jährlich Millionen von Kilometern abspult (viele der grünen Busse haben weit über 500.000 Kilometer auf dem Tachometer), aber ähnlich gut oder besser dar, wie im Reisesektor allgemein.

Aufmerksamkeitsassistent hat Unaufmerksamkeit nicht verhindert

Zum Zeitpunkt des Unglücks waren nach Angaben der Polizei 74 Fahrgäste an Bord des Busses, das heißt, er war fast voll besetzt. Möglicherweise soll Sekundenschlaf für den Unfall verantwortlich sein, auch wenn der Bus aller Wahrscheinlich nach mit einem Aufmerksamkeitsassistenten (AtAs) ausgestattet war. Ein Flixbus-Sprecher sagt dazu auf unsere Anfrage: "Die Fernbusflotte, die für uns im Einsatz ist, ist mit modernsten Sicherheitssystemen ausgestattet. Durch Ausstattungsmerkmale wie Fahrdynamikregelung, Spurhalteassistent, Abstandsregeltempomat, Aufmerksamkeitsassistent sowie Brems- und Notbremsassistent, geht Flixbus in punkto Sicherheit weit über die geforderten Standards hinaus."

Trotzdem: Erste Ermittlungen wiesen darauf hin, "dass der Fahrer des Reisebusses eingeschlafen" sei, sagte eine Polizeisprecherin. Diesen Verdacht wollte ein Sprecher der Polizei in Halle in der Nacht aber ausdrücklich nicht bestätigen und verwies auf die laufenden Ermittlungen zum Unfallhergang. Denkbar wäre auch eine andere Ablenkung, wie die durch ein Handy. Weitere Fahrzeuge seien nicht an dem Unfall beteiligt gewesen, den Fernsehbildern zufolge war es trocken und sonnig. Die A9 wurde an der Unfallstelle in beiden Richtungen voll gesperrt. Die Fahrbahn in Richtung Berlin wurde in der Nacht wieder freigegeben.

Flixbus hat die Anschnallpflicht im Fokus

Wer von den Unfallopfern angeschnallt war, lässt sich derzeit noch nicht nachvollziehen. Das Thema ist allerdings nach dem Unfall eines Reisebusses auf Madeira mit vielen Toten erneut Grund für Diskussionen. Flixbus sagt dazu auf Anfrage: "Weiterhin sind die Busfahrer dazu angewiesen, vor Beginn der Fahrt mehrsprachig auf die gesetzliche Anschnallpflicht hinzuweisen. Ihnen ist es jedoch nicht möglich, sicherzustellen, dass alle Passagiere dieser Pflicht während der gesamten Fahrt nachgehen." Eine Sitzbelegungserkennung mit Gurtwarner, wie es einige Hersteller für Fahrer und Beifahrer anbieten, ist für alle Sitze im Bus wohl noch zu aufwendig und teuer. Langfristig wird man darum aber wohl nicht herum kommen.

Das Unternehmen Flixbus äußerte sich in einer Mitteilung weiter zu dem Unfall: "Der Bus war im Auftrag von Flixbus planmäßig zwischen Berlin und München unterwegs. Unser Mitgefühl gilt den betroffenen Fahrgästen und Busfahrern sowie deren Familien und Freunden." Ansonsten gab sich Flixbus eher wenig kommunikativ, was aber unter den Umständen nicht unüblich ist, die Süddeutsche Zeitung jedoch zur Generalabrechnung unter dem Titel "Hauptsache Profit" anstachelte: "Für den Unfall kann die Firma wahrscheinlich nichts (...) Aber wer eine Flotte dirigiert, damit Geld verdient, aber keine Strategie für den Fall eines Unglücks hat, der verspielt das Vertrauen der Kunden."

Technik kann nicht immer Unfälle vermeiden

Der Verband VdTÜV wies gestern auf den hohen Status der Sicherheit im Bus hin und erklärte zur Technik der Assistenzsysteme: "Zusätzlich helfen bei der Müdigkeitserkennung Spurhalteassistenten, die mit einer Videokamera arbeiten und Alarm schlagen, wenn das Fahrzeug von der Spur abkommt. Müdigkeitswarner sollen in der Europäischen Union ab dem Jahr 2022 in neuen Fahrzeugtypen verpflichtend eingebaut werden. Aus Sicht des TÜV-Verbands sollten Busunternehmen schon jetzt auf freiwilliger Basis Neufahrzeuge mit entsprechenden Systemen anschaffen." Genau dies tut Flixbus, beziehungsweise tun die Buspartner bereits. Die Unfallzahlen sprechen dabei laut VdTÜV durchaus für sich: "Zwischen 2007 und 2016 wurden durchschnittlich 0,17 Reisende pro einer Milliarde Personenkilometer bei Busunfällen getötet. Zum Vergleich: Nur die Bahn lag mit 0,04 getöteten Reisenden noch darunter, bei den Pkw waren es 2,12 Reisende."

Aber auch der serienmäßige Spurassistent LGS (oder SPA bei Daimler) kann einen Unfall nicht immer zuverlässig verhindern, wie die Süddeutsche Zeitung kritisierte. Anders als im Pkw greife das System noch nicht automatisch in die Lenkung ein, zudem stoßen optische Systeme schnell an Ihre Grenzen, wie Markus Egelhaaf von der DEKRA Unfallforschung erläutert. Tatsächlich ist ein solcher aktiver Lenkeingriff erst in wenigen Fernverkehr-Lkw realisiert, für Daimler Buses erwarten wir solche Systeme frühestens im nächsten Jahr in der neuen Setra ComfortClass 600 im Rahmen eines "Highway Pilot"- oder "Drive Assist"-Systems. Ein solcher zeitlicher Verzug bei der Einführung von Sicherheitssystemen ist durchaus üblich, weil oft noch viele Anpassungen vorgenommen werden müssen und die Entwicklungszyklen beim Bus noch länger als beim Truck sind.

Schwerpunktartikel in nächster lastauto omnibus

Erst vor zehn Tagen hatte Flixbus sein hoch entwickeltes Sicherheitskonzept „FlixSafety" in einer Pressemitteilung hervorgehoben: "Mit Maßnahmen wie umfassenden Fahrertrainings, externen Sicherheitskontrollen und der digitalen Schulungsplattform FlixUni gehen die Sicherheitsstandards bei FlixBus weit über die gesetzlichen Vorschriften hinaus", hieß es anlässlich der UN Woche der „Global Road Safety".

In lastauto omnibus 7/2019 mit Erscheinung am 8. Juni 2019 werden wir in einem Schwerpunktartikel das Thema vertiefen und unter anderem mit dem Unfallforscher Markus Egelhaaf von der Dekra Unfallforschung darüber sprechen, wie man die Bussicherheit noch weiter verbessern kann.

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