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SPD-Verkehrspolitik Feldversuch auslaufen lassen

SPD-Verkehrsexperte Bartol Foto: © Richter

Zwei Milliarden Euro mehr für Investitionen, neue Prioritäten bei Verkehrsprojekten, Lkw-Gebühren auf Landes- und Kommunalstraßen und eine Fortsetzung des Projekts Lang-Lkw auf Sparflamme – SPD-Verkehrsexperte Sören Bartol sagt, was nach einem Wahlsieg seiner Partei passieren würde.

Die SPD stellt Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer (CSU) ein desaströses Zeugnis aus. Weder bei der Ausgestaltung der Lkw-Maut noch bei der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für die Bahn gebe es ­Fortschritte, kritisiert SPD-Verkehrsexperte Sören Bartol im Gespräch mit trans aktuell-Korrespondent Hans- Peter Colditz.

trans aktuell: Herr Bartol, Sie haben die Arbeitsgruppe Infrastruktur-Konsens in der SPD-Bundestagsfraktion geleitet. Worum geht es dabei?

Bartol: Ziel war und ist es, die SPD auch zu Oppositionszeiten regierungsfähig zu halten und uns inhaltlich neu aufzustellen. Gegenstand unserer Arbeit waren neben der Verkehrsinfrastruktur die Bereiche Energie-Infrastruktur, kommunale Infrastruktur und Telekommunikations-Infrastruktur. Das sind alles fundamentale Teile der Wirtschaftspolitik, aber der Verkehrsbereich war einer der Schwerpunkte. Die von uns erarbeiteten Papiere sind alle offizielle Beschluss-Papiere der SPD-Bundestagsfraktion.


Und die Inhalte finden wir – falls es bei der Bundestagswahl im September reichen sollte – in Koalitionsvereinbarungen wieder?

Ja, so wird das kommen.

Wie beurteilen Sie kurz vor Ende der Legislaturperiode die verkehrspolitische Bilanz von Minister Ramsauer?

Man kann aus seiner sogenannten Bilanz ziemlich klar ablesen: Der Mann wollte kein Verkehrsminister werden und er ist auch keiner geworden. Er ging von Anfang an extrem lustlos an die Sache heran.

Ein harter Vorwurf …

… der aber berechtigt ist. Er hat es doch nur geschafft, den Status quo, den er übernommen hat, zu verwalten. Das gilt zum Beispiel für die Lkw-Maut, die nicht weiterentwickelt wurde, und auch für die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung im Bereich der Schiene, die er nicht weiter verhandelt, sondern in die nächste Legislaturperiode verschoben hat. Dann hat er das Eisenbahnregulierungsgesetz nicht hinbekommen und auch die Punktereform läuft bis jetzt nicht. Auf das neue Wegekostengutachten als Grundlage für eine neue Mauthöhe-Verordnung warten wir auch immer noch.

Aber zum Aktionsplan Güterverkehr und Logistik hat er Zwischenbilanzen vorgelegt.

Ja, klasse: Da hat er ein, zwei Positionen etwas fortgeschrieben, wichtige Positionen, die wir in unseren Masterplan aufgenommen hatten, rausgestrichen und den Rest lediglich verwaltet.

Was zum Beispiel hat er ­entfernt?

Unter anderem die Nutzung der Maut, um auch verkehrspolitische Ziele zu erreichen. Differenzierte Mautsätze für unterschiedlich belastete Autobahnstrecken und Tageszeiten etwa. Was nicht heißt, dass wir nicht auch um die Probleme wissen, die sich daraus für die logistischen Abläufe ergeben könnten.

Die SPD will die Lkw-Maut ja deutlich ausweiten.

Alle wissen doch, dass die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland dramatisch unterfinanziert ist. Wenn wir so ­weitermachen, reicht das Geld nicht mal mehr für den Erhalt. Der Substanzverfall schreitet mit großen Schritten voran, schon heute müssen Brücken stillgelegt und bei der Bahn immer mehr Langsamfahrstrecken eingerichtet werden. Deshalb muss deutlich mehr Geld generiert werden, damit mehr in Erhalt, Modernisierung und Ausbau investiert werden kann. Und da haben wir zwei Säulen: die Haushaltsmittel und die Mautmittel.

Und beide verlaufen zurzeit tendenziell rückläufig.

Genau. Deshalb wollen wir jährlich zwei Milliarden zusätzlich aus dem allgemeinen Haushalt für die Bundesverkehrswege zur Verfügung stellen, die Lkw-Maut fortentwickeln, die Schifffahrtsabgaben reformieren und bei der Schiene strukturell sicherstellen, dass sämtliche Einnahmen aus den Trassen- und Stationsentgelten in die Schienen reinvestiert werden. Voraussetzung für mehr Mittel aus dem Steuertopf ist jedoch, dass wir über unser Steuer- und Abgabenkonzept mehr Einnahmen in den Haushalt bekommen.

Wie soll die Maut fortentwickelt werden?

Nach dem Verursacherprinzip: Die Mauthöhe wird auf Basis einer aktualisierten Wegekostenberechnung an die vom Lkw verursachten Wegekosten angepasst. Auch die externen Kosten von Lkw werden wir unter Ausschöpfung des Rahmens der Euro-Vignetten-Richtlinie anlasten.

Auch die Stau- und Unfallkosten?

Nein, die tragen die Verkehrsteilnehmer ja schon direkt oder indirekt, etwa über die Krankenversicherung. Aber wir wollen die Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten, was jährlich – abzüglich der Systemkosten – weitere zwei Milliarden Euro bringen könnte. Zusätzlich streben wir eine Ausdehnung auf Landes- und Kommunalstraßen in Form einer Lkw-Straßennutzungsgebühr an, was noch mal 800 Millionen Euro ergeben kann. Dagegen werden wir eine Ausdehnung der Maut auf alle Lkw über 7,5 beziehungsweise 3,5 Tonnen nicht vorrangig vorantreiben, um Kleinunternehmer nicht zusätzlich zu belasten. Vor einer solchen Ausweitung müsste im Übrigen geprüft werden, ob die erwarteten Einnahmen in einem sinnvollen Verhältnis zu den Systemkosten und den Belastungen des Gewerbes stehen.

Aber die Mittel aus Landes- und Kommunalstraßen würden doch nicht in die Bundeskasse fließen.

Nein, Länder und Gemeinden erhalten ihren Anteil, aber zweckgebunden für Erhalt und Ausbau der Landes- und Kommunalstraßen sowie der ÖPNV-Infrastruktur. Grundsätzlich gilt für uns, dass alle Mautmittel vollständig zweckgebunden für Bau und Ausbau der Verkehrswege eingesetzt werden müssen. Dazu werden wir eine überjährige Zweckbindung der Verkehrsinvestitionsmittel festschreiben, damit es auf diesem Feld mehr Verlässlichkeit und Kontinuität gibt. Ich persönlich kann mir auch einen haushaltsinternen Fonds, der mit den Mautmitteln gespeist wird, als eine Art politische Selbstverpflichtung vorstellen. Das wird bei uns aber, besonders von den Haushältern, noch sehr kritisch gesehen.

Und was ist mit den steuerfinanzierten Verkehrsinvestitionsmitteln aus dem allgemeinen Haushalt?

Die werden natürlich nicht gekürzt.

Und eine Pkw-Maut lehnt die SPD nach wie vor ab?

Ja, dabei bleibt es. Die Pkw-Fahrer leisten ja bereits über die Kfz- und Mineralölsteuern einen beträchtlichen Beitrag zur Finanzierung der Verkehrswege. Außerdem wäre eine Pkw-Maut sozial bedenklich, weil sie gerade diejenigen träfe, die aus beruflichen oder familiären Gründen auf ihr Auto angewiesen sind.

Was machen Sie eigentlich mit dem Feldversuch für Lang-Lkw, wenn die SPD den nächsten Bundesverkehrsminister stellen sollte?

Ich kann einige im Gewerbe verstehen, die sagen, dass wir auch im Straßengüterverkehr ein Stück weit Innovationen brauchen. Aber die Frage ist doch, ob es einfach der Lang-Lkw mit einer größeren Ladefläche ist und ob wir diese dann zum jetzigen Zeitpunkt brauchen und einführen sollten. Den verkehrspolitischen Sinn bezweifele ich weiterhin sehr. Aber: Wenn ein Bundesverkehrsminister Ramsauer schon einen solchen Großversuch möchte – und das ist unser Vorwurf und deshalb gibt’s ja auch die Verfassungsbeschwerde –, dann muss er auch das Parlament und die Bundesländer ordentlich beteiligen. Und das hat er nicht gemacht.

Mit Verlaub, Herr Bartol, aber das war gar nicht die Frage.

Ok, ich komme darauf zurück. Man sieht doch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, dass wir pragmatisch damit umgehen können. Denkbar wäre, dass ein Bundesverkehrsminister der SPD den Versuch einfach auslaufen lässt. Neue Teilnehmer und neue Strecken wird’s dabei jedoch nicht geben. Und wir würden ihn natürlich auch auswerten. Wir sind schließlich keine Ideologen, sondern Verkehrspolitiker.

Wann erwarten Sie den Spruch des Bundesverfassungsgerichts?

Das müssen Sie das Gericht fragen. Wir hätten ihn gerne längst gehabt, denn die Legislaturperiode nähert sich ihrem Ende. Für alle Beteiligten bedeutet das Warten nur Planungsunsicherheit.

Ist eigentlich ein Bahn-Börsengang für die SPD noch ein Thema?

Nein, der Börsengang ist für die Sozialdemokratie kein ­Thema mehr. Sie hat gemerkt, dass das, was im Diskurs angedacht war, auf keinerlei Mehrheiten stößt, innerhalb der SPD nicht und in der Bevöl­kerung auch nicht. Ehe die Bahn kapitalmarktfähig ist, muss sie
erst mal zuverlässig funktionieren. Da bin ich mir mit Bahn-Chef Rüdiger Grube ­einig.

Im September wird ein neuer Bundestag gewählt. Ein politischer Wechsel gilt als möglich. Welches werden die ersten Maßnahmen sein, die ein SPD-Verkehrsminister veranlassen würde?

Wir werden zunächst mal vor einem gigantischen Haufen unerledigter Aufgaben stehen. Da muss die Leistungs- und ­Finanzierungsvereinbarung mit der Bahn unter Dach und Fach gebracht werden. Da muss der Bundesverkehrswegeplan so entwickelt werden, wie wir uns das in unserer Prioritätensetzung vorgestellt haben, und es müssen die Weichen für die Finanzierung gestellt werden, wie ich das oben skizziert habe. Ja, es muss auch eine Lösung für Toll Collect her. Wenn wir sehen, dass die jetzige Regierung einfach nur den Vertrag verlängern und so weitermachen will, dann bedeutet das doch, dass wir mit dem jetzigen System eine Ausweitung der Maut nicht machen können. Und im Zusammenhang damit ist zu entscheiden, was mit dem Schiedsgerichtsverfahren passiert, wie es da weitergeht. Alles offene Punkte.

Zur Person

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sören Bartol ist seit zwei Jahren Sprecher der Arbeitsgruppe Verkehr, Bau und Stadtentwicklung seiner Fraktion. Obwohl erst 38 Jahre jung, tritt er in seinem Wahlkreis Marburg, den er bisher immer direkt erobern konnte, im September schon zum vierten Mal zu einer Bundestagswahl an. Bartol  ist Berufspolitiker mit geradliniger Laufbahn: 1990 Eintritt in die SPD, 1993 Studium der Politologie, Jura und Medienwissenschaften, 2001 Abschluss als Diplom-Politikwissenschaftler, 2002 Mitglied des Bundestags, 2010 Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Marburg-Biedenkopf. Verkehrspolitisch hat sich Bartol als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Infrastruktur-Konsens der SPD-Bundestagsfraktion einen Namen gemacht.

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