Fahrermangel Mehr Wert am Steuer

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath
Meinung

Glaubt man den deutschen Logistikverbänden, dann steht der Versorgungskollaps auf Grund des akuten Fahrermangels kurz bevor. Wertschätzung ist daher, wieder einmal, das Wort der Stunde. Was wirklich helfen würde, wären gesetzeskonforme Arbeitszeiten und mehr Geld.

Es sind die Sätze der Stunde: Auch von der Öffentlichkeit wünsche sich der Spediteur im Reutlinger Generalanzeiger „mehr Anerkennung für die ´Brummi-Fahrer`, die nicht einfach nur zum Spaß auf der Straße sind, sondern die Waren liefern, die wir alle brauchen.“ Die Ludwigsburger Kreiszeitung betitelt es drastischer: „Die Könige der Landstraße sterben aus“. Die drohende Konsequenz: „80 Prozent der Transportunternehmen müssen Aufträge wegen Fahrermangel ablehnen.“ Das gibt wirklich zu denken.

Krisenrhetorik der deutschen Verbände

Es hört sich so an wie die aktuelle Krisenrhetorik der deutschen Spitzenverbände der Logistik. Der BGL hat nun sogar einen eigenen Verein, Pro Fahrer-Image, kurz PROFI, zur Verbesserung des Fahrer- und Logistik-Image gegründet. Auch Fahrer können sich dort engagieren. „Ziele des Vereins“, so heißt es forsch, „sind die Steigerung der Wertschätzung des Fahrerberufs, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für das Fahrpersonal und eine generelle Verbesserung des Logistik-Images sowie die Förderung der Ausbildung und Qualifizierung von Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern im Güter- und Personenverkehr.“

Auch der Bundesverband Spedition und Logistik, DSLV, mahnt eindringlich. „Der Mangel an qualifizierten Lkw-Fahrern spitzt sich weiterhin zu. Dadurch drohen schwerwiegende Auswirkungen auf die Volkswirtschaften Europas. Inzwischen fehlen der Logistikbranche allein in Deutschland mehr als 45.000 Fahrzeugführer, mit weiter steigender Tendenz. Die Situation verschärft sich nicht nur auf dem europäischen Landverkehrsmarkt, auch verkehrsträgerübergreifende Lieferketten und die internationalen Wertschöpfungsketten von Industrie und Handel sind bereits von diesem Negativtrend betroffen.“

Es hat sich im Grunde nichts geändert

Ich hoffe, liebe Leserinnen und Leser, Sie sind jetzt nicht allzu erschüttert oder als Kenner der Branche nicht wirklich überrascht, wenn ich Ihnen nun verrate, dass das erste Zitat aus dem Juli 1996 stammt, als es der Spedition Renz noch gut ging, bevor sie ein Jahr später die ersten Fahrer entließ und bald darauf Insolvenz anmelden musste. Ich hatte das kürzlich aus einem anderen Grund recherchiert. Das zweite Zitat beschreibt eine Untersuchung der IHK Region Stuttgart aus dem Jahr 2008, laut der 43 Prozent der regional befragten Unternehmen schon damals ihre offenen Stellen nicht besetzen konnten und, so malte es der Verfasser düster an die Wand, sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, „in zehn Jahren allein in Baden-Württemberg bis zu 20.000 Fahrer fehlen werden.“

Von der Problematik, offene Ausbildungsplätze mit guten Bewerbern zu besetzen, ganz zu schweigen. Mit anderen Worten: Die beiden aktuellen Themen „mangelnde Anerkennung“ und „Mangel an Fahrern“ sind seit gut 25 Jahren, wenn nicht schon länger, bekannt – geändert hat sich trotzdem nichts.

Aktuelle Gründe für den Fahrermangel

Die wichtigsten Gründe für den aktuellen Fahrermangel sind lange bekannt: Die Bundeswehr bildet weit weniger Kraftfahrer aus als früher, es gehen deutlich mehr Fahrer in Rente, als junge Leute über die dreijährige Ausbildung oder die boomende Kurzschulung zum EU-Berufskraftfahrer nachkommen. Dazu wechseln auch immer mehr altgediente Fahrer vom Fernverkehr in den Nah- oder Werkverkehr, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Oder sie werfen vorzeitig das Handtuch, weil sie sich die ewigen Staus auf überfüllten, maroden Straßen, die schlimme Parkplatzsituation, den Stress durch Zeitfenster oder die oft miese Behandlung im Lager vornehmlich des Einzelhandels nicht länger antun wollen. Und in der Tat, wie es mir der junge Berufskraftfahrer Marvin Reichert erst kürzlich eindrücklich geschildert hat: zunehmend kommt die Angst dazu, an einem der unzähligen Stauenden auf grotesk überlasteten Autobahnen selber durch einen außer Kontrolle geratenen Lkw im Heck betroffen zu sein.

Wertschätzung als Lösung?

Morgen erscheint der FERNFAHRER 8/2019. Im Thema des Monats setzte ich mich dabei mit der Frage auseinander, wie Unternehmen unter den hier benannten Bedingungen überhaupt noch Fahrer finden oder langfristig an sich binden können. Einen wirklich positiven Ansatz macht dabei die ELVIS AG aus Alzenau. Das steht für Europäischer Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure. Diese Kooperation vertritt 200 Partner, verfügt über 17.000 Lkw und beschäftigt rund 22.000 Lkw-Fahrer. Regelmäßig treffen sich dort Inhaber oder Fuhrparkleiter der angeschlossenen Unternehmen und überlegen, was sie im Betrieb besser machen können, um Berufskraftfahrer trotz einer zunehmenden Fluktuation dauerhaft an sich zu binden.

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath

Eine der Speditionen, die die dort entwickelten Konzepte in der Praxis umsetzt, ist die Spedition Hövelmann aus Rees, oder auch „Die Spedition der Gernfahrer“, wie ich sie in unserm aktuelle Speditionsportrait benannt habe. „Ich sehe in einem Gernfahrer, dass er sich in unserem Unternehmen ganzheitlich aufgenommen fühlt“, so definiert es der Fuhrparkleiter Robin Malik. „Deshalb ist es unser Bestreben, hier eine Atmosphäre der Wertschätzung und Zufriedenheit zu schaffen. Denn nur, wenn der Gernfahrer als wichtiges Mitglied des Teams gesehen wird, kann er seinen Job bestmöglich mit Zufriedenheit verrichten.“ Eine Reportage, die ich jedem anderen Fuhrparkleiter zur Nachahmung wirklich ans Herz lege.

Letzten Endes geht es ums Geld

Doch Wertschätzung ist nur die eine Seite der Medaille. Letzten Endes geht es vor allem ums Geld. Um klare und leicht verständliche Lohnsysteme. Bei einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sprach sich BGL-Vorstandssprecher Professor Dirk Engelhardt unlängst noch einmal dafür aus, dass die Fahrerlöhne auf mindestens 4.000 Euro steigen müssten, was weit über dem Niveau der aktuellen Tarifverträge läge. Warum sich der Verband der Arbeitgeber und die auch für Fahrer zuständige Gewerkschaft Verdi so schwer tun, bessere Löhne zu verhandeln, hatte ich bereits in meinem Blog „Was macht eigentlich Verdi?“ ausführlich erörtert. Die direkten Verhandlungen werden seit 2001 nur noch auf Ebene der dem BGL angeschlossenen Landesverbände und der Landesfachbereiche von Verdi geführt. Mitgliedschaften von 20 bis 30 Prozent auf Seite der Arbeitgeber stehen etwa fünf Prozent Mitgliedschaft der Fahrer in Verdi gegenüber.

Die erste Seite will freiwillig ungern mehr bezahlen, die andere Seite kann mangels Masse die Forderungen schwer durchsetzen. Eine immer wieder geforderte Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge im Transportgewerbe ist mittlerweile in weite Ferne gerückt, nachdem die SPD, die das in der Großen Koalition nie durchsetzen konnte, aktuell in der Wählergunst abgestürzt ist.

Der Markt setzt sich durch

Und so setzt sich offensichtlich der Markt durch, wie mir Daniel Stancke, Mitbegründer von JobMatchMe aus Hamburg, gerade erst verraten hat. Über 100.000 Fahrer, also knapp ein Fünftel der sozialversicherungspflichtig beschäftigten deutschen Berufskraftfahrer, sind dort bereits registriert, 600 Unternehmer aus ganz Deutschland sind angeschlossen und suchen sich die Fahrer aus, die wirklich zu ihnen passen. „Die meisten Unternehmer zahlen bereits über dem Branchendurchschnitt und über den Tariflöhnen“, sagt Stancke, der am 20. Juli um 12 Uhr mein Gast beim „Talk am Truck“ in der Eifel sein wird. Dort trifft er nun auf Robin Malik, der ebenfalls Kunde bei JobMatchMe ist und sein Konzept der Mitarbeiterführung vorstellt.

Video zum Thema
Dramatischer Fahrermangel in Deutschland

Entscheidend aber ist: Ein nach wie vor hoher Wettbewerbsdruck, unter anderem, aber nicht nur, durch die osteuropäischen Flotten, hält die Frachtpreise weitestgehend am Boden. Vor allem bei den Ausschreibungen großer Auftraggeber, insbesondere der Automobilindustrie sind die Frachtraten auf Ostniveau festgeschrieben. Und ohne vernünftige Erlöse bleiben hohe Löhne flächendeckend erst einmal eine Vision. Ob und wie das zukünftige Mobilitätspaket dabei helfen kann, den Wettbewerb über den Preis und das sogenannte Sozialdumping etwas einzudämmen, steht in Teil 2 unsere neuen Serie zur EU-Gesetzgebung natürlich ebenfalls in Heft 8/2019. Auch dazu unterhalte ich mich am 19. Juli ab 15.30 Uhr mit Professor Dirk Engelhardt vom BGL unter dem Titel: „Mehr Wertschätzung, mehr Geld“.

Zu hohe Arbeitszeiten

Das größte Problem blieben aber die viel zu langen Gesamtarbeitszeiten, wie Rainer Rietsch, ein treuer Fahrer aus dem Kreis meiner Facebook-Freunde, nicht müde wird, immer wieder zu betonen. Und er hat natürlich Recht. Für alle Fahrer, die nicht tarifgebunden sind, gilt schlicht und einfach der Paragraf 21a des Arbeitszeitgesetzes. Und der besagt an der entscheidenden Stelle: „Die Arbeitszeit darf 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu 60 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden.“ Viele Fahrer berichten immer wieder, dass sie dauerhaft 60 Stunden und mehr die Woche arbeiten würden. Ohne allerdings den ihnen dafür zustehenden Ausgleich zu bekommen. Und immer noch stellen Fahrer beim Abladen, was als „Andere Arbeiten“ im Tacho zu dokumentieren ist, diesen mehr oder wenig genötigt auf Pause. Was die inoffizielle Arbeitszeit noch erheblich erhöht. Würden sich wirklich alle Fahrer an die gesetzlichen Vorgaben halten – der Fahrermangel wäre wahrscheinlich noch viel dramatischer.

Zunehmende Zweckentfremdung

Vor allem die zunehmende Zweckentfremdung vieler Fahrer für zusätzliche, nicht dem eigentlichen Beruf des Kraftfahrers zuzurechnenden Dienstleistungen wie Bestücken der Paletten in Hochregallager oder Umladen von Europaletten auf Düsseldorfer Paletten führen zu Frust. Genau wie nicht zu kalkulierende Wartzeiten. Immer mehr Unternehmer klagen zu Recht über die vielen Fehler ihrer Auftraggeber, die sie und ihre Disponenten Tag für Tag ausgleichen müssen. Als außenstehender Journalist kann ich dazu immer wieder nur sagen: die Verbände und die Gewerkschaft Verdi hätten es in der Hand, durch eine Aufforderung an die Fahrer und Unternehmer, sich endlich korrekt an die Arbeitszeiten zu halten, Druck auf die Verlader und Empfänger auszuüben. Erst wenn wirklich massenhaft Ladungen stehen bleiben, dann überdenken die Kunden vielleicht ihre eigenen innbetrieblichen Abläufe und empfangen die Fahrer vor Ort so, wie sie es verdient haben: als die ´Brummi-Fahrer`, die nicht einfach nur zum Spaß auf der Straße sind, sondern die Waren liefern, die wir alle brauchen. Sonst reden wir auch in zehn Jahren wieder über das altbekannte Problem.

Terminhinweis

Auch beim diesjährigen Truck Grand Prix vom 19. bis 21. Juli am Nürburgring diskutiere ich wieder bei unserem „Talk am Truck“ mit Gästen über aktuelle Themen. Die genauen Termine finden Sie hier in der ausführlichen Vorankündigung. Ich freue mich auf eine rege Teilnahme.

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