Fahrer vor Gericht Selbsständige in der Grauzone

Fahrer vor Gericht, Streifenwagen Foto: Archiv

Sich als selbstständiger Lkw-Fahrer an Speditionen vermieten – das scheint eine sichere Bank. Im Fall der Fälle kann es aber auch vor Gericht enden.

Paul M.* ist vom Leben gezeichnet. Ein Buch könnte er schreiben – über das Leben, das ihm immer wieder übel mitgespielt hat. Dreimal schon hatte er sich etwas aufgebaut. Dreimal schon hat er alles richtig gemacht. Dreimal schon stand er vor dem Ruin. Immer waren es andere Unternehmen, die ihn am Ende mit in den wirtschaftlichen Untergang gezogen haben. Seit zwei Jahren nun, denkt Paul, läuft es rund. Er arbeitet als freier Mitarbeiter und "verkauft" seine Leistungen als selbstständiger Lkw- Fahrer für einen festen Stundensatz. Paul entscheidet selbst im Einzelfall, für wen er fährt und ob ihm die Tour passt. Am Ende kriegt der jeweilige Spediteur dann eine Rechnung mit Mehrwertsteuer, er zahlt und alle sind glücklich.
Fast alle. Paul nicht so ganz, seitdem der Landkreis seines Heimatortes meint, dass er Schlimmes tut. 1.500 Euro Bußgeld soll er zahlen. Man unterstellt ihm, dass er Güterkraftverkehrsleistungen erbringt, ohne eine entsprechende Konzession zu haben.

Der Landkreis wirft Paul eine Fremdnutzung der Genehmigung vor

Als ich den Bußgeldbescheid lese, schlage ich zuerst die Hände über dem Kopf zusammen. "Aus Ihren Rechnungen ist ersichtlich, dass Sie nicht bei der Spedition X angestellt waren. Ihre Tätigkeit war nur unter der Nutzung der Genehmigung der Spedition X möglich. Es liegt eine Fremdnutzung der Genehmigung vor." Mal von der Rechnung abgesehen, würde quasi jeder Fernfahrer unter Fremdnutzung einer nicht ihm gehörenden Genehmigung Transportleistungen erbringen. Mit dem Unterschied allerdings, dass Paul selbstständig arbeitet.
Ich beginne in der Universitätsbibliothek zu wühlen. Was auf der Hand liegt, muss sauber juristisch unterlegt werden. Aber das ist in diesem Fall gar nicht so einfach. Ich ziehe mir alle Infos, die sich mit dem Güterkraftverkehrsgesetz beschäftigen. Ich baue die Bücher wie einen Turm um mich herum auf. Doch auch nach drei Stunden habe ich immer noch nicht gefunden, was ich für eindeutig hielt. Um das Problem wird herumgeeiert.

Paul verkauft lediglich seine Arbeitskraft

Eine Gratwanderung scheint es zu sein: zwischen Arbeitnehmer sein und Selbstständigkeit auf der einen Seite des Berges und Selbstständigkeit und Güterkraftverkehr betreiben auf der anderen Seite. Ich stelle die Bücher zurück ins Regal und fühle mich ein bisschen wie in alte Studienzeiten zurückversetzt. Stundenlang gelesen und auch nicht schlauer als vorher, so ist das eben in der Wissenschaft.
Einen Praxiskommentar gab es und dessen Verfasser ist Vizepräsident einer großen deutschen Behörde. Den rufe ich an und erkläre ihm mein Problem. "Eine Gratwanderung ist das", meint auch er. Ich rufe Paul an, spreche ihm Mut zu, erkläre ihm noch einmal meine Argumentation. Wer nur seine Arbeitskraft als Fahrer verkauft, betreibt noch keine Transportleistung. Er führt lediglich das Transportmittel, das reicht nicht aus, um eine Genehmigung nach dem Güterkraftverkehrsgesetz zu benötigen, meine ich jedenfalls. Paul ist aufgeregt und ganz sicher, dass ihm die vom Landkreis unbedingt eins auswischen wollen, nur weil er nie ein Blatt vor den Mund genommen hat. Der Landrat mag ihn auch nicht so richtig leiden, seitdem Paul eine Ein-Mann-Demo gegen dessen neuen großen Dienstwagen gemacht hat.

Der Richter war nicht vorbereitet und stimmt zu

Tja Paul, wer austeilt, muss auch einstecken können. Wir treffen uns ein paar Tage später frühmorgens vor dem Gericht. Ich versuche, Paul noch ein wenig zu beruhigen. Gar nichts soll er sagen zur Sache. Person, Geburtsdatum, Familienstand, wirtschaftliche Verhältnisse geordnet – sonst nix. Alles andere mache ich. Das funktioniert ein paar Minuten später auch wunderbar. Der Richter scheint nicht besonders motiviert, als wir den Saal betreten. Die Akte liegt geschlossen vor ihm. Er rattert schnell die Formalien herunter.
Jetzt will er den Bußgeldbescheid verlesen. Als er den gefunden hat, erschreckt er sich. Richtig lang ist der, viel Text und ein Rechtsgebiet, mit dem er nicht gerechnet hat. Hat er vielleicht die Vorbereitung vergessen? Ich komme ihm zu Hilfe und erkläre den Verzicht auf das Verlesen des Bußgeldbescheides. Ich erläutere meine Meinung. Der Richter meint überraschend schnell, er würde mir zustimmen. Er nimmt noch eine von mir kopierte Entscheidung, die nur einen entfernt ähnlichen Fall betrifft, mit zur Akte.

Paul erlebt das erste Mal Gerechtigkeit

Er schüttelt unverständlich über "die vom Landkreis" den Kopf und will gerade entscheiden, als Paul meint, dass jetzt seine große Stunde gekommen sei. Er will gerade ansetzen, warum der Landrat ihn ganz persönlich auf dem Kieker hat, als der Anwalt der nächsten Sitzung den Kopf zur Tür rein steckt und Paul damit unterbricht. Ich rufe dem Richter fragend entgegen: "Stellen Sie ein?" Der sagt gut vernehmlich "Ja" und klappt die Akte zu.
Die Sitzung ist beendet. Ich gehe mit Paul und seiner Frau um die Ecke in der Bäckerei noch einen Kaffee trinken. Paul ist still und als er kurz verschwindet, um eine zu qualmen, erklärt mir seine Frau: "Wissen Sie, das ist wichtig. Das ist das erste Mal in den letzten zehn Jahren, dass er so was wie Gerechtigkeit erlebt." Tja, ob das wirklich eine richtige Entscheidung war, bleibt offen. Auf jeden Fall kann ich nicht guten Gewissens empfehlen, Paul nachzueifern. Wie gesagt, rechtlich ist das eben eine Gratwanderung. Den einen Richter konnten wir überzeugen, ob das beim nächsten auch gelingt, steht in den Sternen.

* Name von der Redakltion geändert

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