Fahrer-Demonstration Kabotage wie früher regeln

Foto: Nici de Jong 16 Bilder

Westeuropäische Fahrer haben aufgrund von Lohn- und Sozialdumping Angst um ihre Arbeitsplätze. Daher gab es am vergangenen Samstag in Lübeck einen Protest-Konvoi mit mehr als 50 Lastwagen. Aufgerufen hatten dazu die Kraftfahrer Clubs Deutschland (KCD) und der hiesige Zweig der "Actie in de Transport".

Michael Scislowski, Berufskraftfahrer bei Schultz und Sohn in Lübeck, kommt am Samstag Morgen von einer Tour aus den Niederlanden zurück. Eigentlich hat er jetzt Wochenende und schon am Sonntagabend muss er wieder auf die Straße. Dennoch lenkt er seinen Truck direkt zum Nordlandkai in Lübeck, um an der großen Lkw-Demonstration teilzunehmen. Mehr als 50 Lkw aus Schleswig-Holstein und der ganzen Bundesrepublik sowie Schweden, Dänemark und den Niederlanden fuhren im Korso vom Nordlandkai in die Spenglerstraße zum deutschen Firmensitz der Spedition Dinotrans, die seit einiger Zeit philippinische Fahrer beschäftigt.

Lohndumping muss aufhören

Die Gelegenheit gebe es schließlich nicht so oft, mit Unterstützung des Arbeitgebers, für die eigenen Belange zu kämpfen. "Als ich von der Aktion gehört habe, war für mich sofort klar, dass ich teilnehmen werde", erinnert sich Scislowski. Das Lohndumping solle aufhören, denn das gefährde auch seinen Arbeitsplatz. Schultz und Sohn hat den Lkw-Korso mit fünf seiner 50 Lkw umfassenden Flotte unterstützt. "Hier wird von einer Lübecker Firma eine Gesetzeslücke ausgenutzt", sagt Geschäftsführer Stephan Meier. Seiner Aussage zufolge bekommen die Philippinos nur ein Drittel des Lohnes, die er seinen deutschen Fahrern bezahlt. "Hier muss die Politik schnell reagieren, bevor das Schule macht und diese Leute unseren Leuten die Jobs wegnehmen", sagt er.

"Wir haben Angst um unsere Arbeitsplätze und finden diese Dumpinglöhne menschenunwürdig", ergänzt Sven Gerhardt von der Facebook-Initiative "Actie in de Transport", Deutschland, die sich im Februar zunächst in den Niederlanden gegründet hatte, als Dinotrans verkündete, Philippinos zu beschäftigen. Inzwischen gibt es Gruppen in Dänemark, Belgien, Frankreich, Italien, Spanien, Schweden, Finnland, Österreich und natürlich in Deutschland. "Das betrifft nicht aber nur Dinotrans, sondern auch Unternehmen aus Osteuropa. Wir müssen hier einen Riegel vorschieben", sagt Gerhardt, der bei Rainulf Orth Transporte aus Burg/Dithmarschen als Berufskraftfahrer arbeitet.
Schuld sei nicht Dinotrans, sondern die Öffnung des Marktes für Billigkräfte.

Kein Kontrollgremium für die Kabotageregelung

"Die Kabotage ist das Problem", sagt Dr. Thomas Rackow, Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Unternehmensverband Logistik (UVL), der die Aktion in Lübeck unterstützt hat. Für die Kabotageregelung gebe es kein Kontrollgremium. "Wir fordern einen Zustand wie er früher war", erläutert er. Europäische Unternehmen sollten, wenn sie die Grenze überschreiten, nur einen und nicht wie heute drei Transporte erledigen können, und dann in ihr Ursprungsland zurückkehren. Das gelte dann zwar auch für die Deutschen, würde aber Lohndumping einschränken, ist er überzeugt. In Schleswig-Holstein gebe es viele Transporte von und zu den Häfen, die kaum noch hiesige Firmen fahren. "Wenn das so weiter geht, werden in Schleswig-Holstein von ungefähr 5.000 Fahrerarbeitsplätzen sicherlich ein Drittel verloren gehen", sagt Rackow.

"Bundesregierung muss etwas tun"

Bundesweit gibt es eine Million Fahrer und 2,7 Millionen Beschäftigte in der Logistikbranche – die mittlerweile mit 220 Milliarden Euro die drittgrößte Branche in Deutschland ist. "Wenn man will, dass das bleibt, muss die Bundesregierung etwas tun", fordert er. Das gleiche gelte natürlich auch für Frankreich, die Niederlande und die skandinavischen Kollegen, die ebenfalls mit dem zunehmenden Wettbewerb kämpfen. Die Kollegen aus den anderen Staaten arbeiten teilweise für unter 700 Euro brutto – ein deutscher Lkw-Fahrer verdient zwischen 2.000 und 2.500 Euro brutto. Der Unterschied sei gravierend, die Lohnkosten in einem deutschen Logistikunternehmen machen ungefähr ein Drittel der Gesamtkosten aus.

80.000 Euro gehen verloren, wenn ein Lkw vom Markt verschwindet

"Wir verlieren jedes Jahr zwischen drei und fünf Prozent Marktanteil und das schon seit Jahren", konstatiert Rackow. Auf das ganze Land bezogen würden deutsche Logistikbetriebe noch einen Marktanteil von 60 Prozent haben, 40 Prozent wird von ausländischen Unternehmen gefahren, was sich an der Mautstatistik ablesen lässt. Einer UVL-Rechnung zufolge gehen dem Staat rund 80.000 Euro an Steuern verloren, wenn ein deutscher Fahrer und ein Lkw vom Markt verschwinden. Nicht nur, dass der Fahrer zum Amt müsse, auch Mineralölsteuer und Ökosteuer würden dann nicht mehr bezahlt.
Mit der Hand auf der Hupe reiht sich Scislowski in die Lkw-Schlange ein.

Das Gemeinschaftsgefühl ist groß. "Wer mit Bananen bezahlt, bekommt Affen als Personal", steht auf dem Banner seines Vorausfahrers. Auf der Schnauze seines eigenen Lkw heißt es "Gegen Ausbeutung!" Auf einem anderen Banner prangt "Ohne uns läuft nichts" in großen Lettern. Bei der anschließenden Kundgebung gesellt er sich zu seinen Kollegen. "Es stimmt, ihr versorgt uns in Europa mit Lebensmitteln und mit allem was wir brauchen, ihr versorgt unsere Wirtschaft, damit sie Profite machen kann", ruft ihnen Jutta Steinruck (SPD) und Mitglied des europäischen Parlaments zu.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort

Sei sei gekommen, um die Kraftfahrer politisch zu unterstützen, ihr Anliegen sei ein europäisches Problem. Sie werde sich daher für gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort einsetzen. "Wer in Deutschland fährt, muss auch dort davon leben können", sagt sie. Steinruck kämpft zurzeit dafür, dass der Missbrauch von entsandten Arbeitnehmern durch wirksamere Kontrollen und klare Haftungsregeln für die gesamte Subunternehmerkette gestoppt wird. Es herrschen erschreckende Zustände. Kraftfahrer, die zu Hungerlöhnen arbeiten, in ihren Fahrerkabinen übernachten und keinerlei Anspruch auf Sozial- und Grundrechte haben, sei mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme. Steinruck: "Das zeigt uns, dass wir in Europa schnellstmöglich etwas ändern müssen."   

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