Fahrbericht Effiziente Antriebsstränge

Die genauen Fakten sind noch nicht bekannt. Fest steht aber, dass es nach 20 Jahren Abgasnormen erstmals eine Verbrauchsvorschrift für Nutzfahrzeuge in Europa geben wird. Wann? Es könnte schon 2016 so weit sein, spätestens aber im Jahr 2020. Von 14 bis 20 Prozent Verbrauchsreduzierung ist die Rede.

Und ganz im Ungewissen liegt noch, was und wie gemessen wird und auf welche Basis sich die Verbrauchsreduzierung bezieht.

Mit Blick auf den Verbrauch sind die Nutzfahrzeughersteller derzeit mit ihrem Latein am Ende. Alle wissen zwar ganz genau, wo noch etwas zu holen ist, sind bei der Umsetzung aber auf die Gesetzgebung und noch mehr auf die Zulieferer angewiesen. Vom Gesetzgeber hätten sie gerne einen guten halben Meter mehr Länge zur Verbesserung der Aerodynamik. Da ist noch einiges zu holen. Ob sie das Mehr an Länge bekommen, ist aber fraglich. Weitaus realistischer sind da die Angebote der Zulieferunternehmen, wie sie Voith Turbo mit der Waste Heat Recovery (WHR) oder Knorr-Bremse mit dem Pneumatic Booster System (PBS) entwickelt haben.

Ende 2012 kommt das PBS zu seinem ersten Einsatz

"Das PBS kommt schon Ende 2012 zu seinem ersten Einsatz", verspricht Knorr-Versuchsingenieur Daniel Geis-Esser. Als Hersteller von Druckluft-Bremsanlagen war es für Knorr nur logisch, dass PBS auch mit Druckluft zu tun hat. Das „P“ (für pneumatisch) im Kürzel deutet es schließlich schon an. Kurz: Es geht um Drucklufteinblasung in den Ansaugkanal des Motors und um nichts Geringeres, als dem Turboloch den Garaus zu machen. Drei, vier und manchmal auch mehr Sekunden verstreichen, bis ein großer Turbodiesel sein maximales Drehmoment aufgebaut hat. Druckluft aus den Luftbehältern "füllt" dieses Loch und der Motor spricht spontaner an. Was letztlich dazu führt, dass beim Beschleunigen früher hochgeschaltet werden kann – mit positivem Einfluss auf den Verbrauch. Je nach Einsatz verspricht Knorr drei bis fünf Prozent Verbrauchseinsparung.

Funktion und Aufbau von PBS sind herrlich einfach. Es besteht aus einem zylindrischen Rohr mit einer mittig angeordneten Drosselklappe, zwei Drucksensoren, zwei unterschiedlich großen Membranventilen und der nötigen Software, die entscheidet, ob, wie viel und wie lange Druckluft eingeblasen wird. Das "Ob" hängt im Wesentlichen von den Befehlen des Gaspedals ab. Die Menge beträgt zwischen 40 und 90 Litern, die binnen 0,8 und 1,6 Sekunden mit zwölf Bar in den Saugkanal gedrückt werden.

Wenn PBS aktiviert wird, passiert Folgendes: Die Drosselklappe schließt, Druckluft schießt hörbar ein, das zur Gaspedalstellung passende Drehmoment wird blitzartig aufgebaut, die Nadel des Drehzahlmessers schnellt um 100 bis 200/min nach oben. Gleichzeitig läuft der Lader schneller als ohne PBS hoch, weil die Abgasenergie in jenem Maße zunimmt, wie das Drehmoment steigt. Die digitale Anzeige der Messelektronik zeigt einen sprunghaften Anstieg der Laderdrehzahl von 50.000 auf 100.000/min binnen eines Wimpernschlags. Liegen dann vor und hinter der Drosselklappe die gleichen Drücke an, öffnet die Klappe und der Motor läuft im Normalbetrieb weiter.

Eine MAN-Zugmaschine diente als Testfahrzeug

Diese Funktion alleine brachte bei den Messfahrten auf einer 27 Kilometer langen Rundstrecke schon eine Einsparung von 1,9 Prozent (siehe Tabelle S. 32, Messung 2). Als Testfahrzeug diente dabei ein fast ausgelasteter Sattelzug mit einer 316 kW (430 PS) starken und mit Schaltautomatik ausgerüsteten MAN-Zugmaschine. Insgesamt fünf Runden (davon eine zum Kennenlernen der Strecke) spulte der mit Messtechnik vollgestopfte Lastzug auf dieser verkehrsarmen Teststrecke ab. Erst die Kombination mit einem zuschaltbaren Eco-Modus der Getriebesteuerung zeigt das Potenzial von PBS.

Weil der Motor schon bei ganz niedrigen Drehzahlen sofort auf jede Gaspedalbewegung kraftvoll reagiert, können die Schaltpunkte nach unten verlegt werden. Dann schaltet die Automatik beim Beschleunigen statt bei 1.500/min schon bei 1.300/min in den nächsthöheren Gang. Knapp 1.000/min liegen dann an. PBS wird aktiv und zieht den Motor vehement und deutlich spürbar aus dem Drehzahlkeller. Ähnliches beim Rollen über hügelige Topografie: Bauen sich an einer leichten Steigung höhere Fahrwiderstände auf, reicht mitunter ein leichter Tritt aufs Gaspedal, um mit aktiviertem PBS den Anstieg zu meistern. Ohne PBS würde das Getriebe an dieser Stelle einen Gang abwärts schalten. Die positiven Folgen von PBS: ein höherer Fahranteil im größten Gang, ein deutlich niedrigeres Drehzahlniveau und letztlich eine ordentliche Verbrauchseinsparung von 6,9 Prozent auf der vierten Messrunde. Schon die Messrunde 3 hatte mit 4,8 Prozent eine deutliche Ersparnis gebracht, wurde wegen einer Verkehrsbehinderung aber noch mal gefahren.

Die Höhe der Einsparung hängt sehr von der Strecke ab

6,9 Prozent Einsparung oder 31,06 statt 33,35 Liter pro 100 Kilometer sind Werte, die sogar deutlich über den Versprechungen liegen. Ähnliche Messungen, die Knorr zuvor gemacht hat, ergaben Einsparungen von 4,3 Prozent. Klar ist, dass die Höhe der Einsparung sehr von der Strecke abhängt. Relativ viele Anfahrvorgänge und Beschleunigungen, aber auch eine hügelige Topografie wie auf der von lastauto omnibus gefahrenen Messstrecke, treiben die Einsparungen nach oben.  Aber selbst im Fernverkehr dürfte das Potenzial von PBS bei zwei Prozent liegen – die Einsparung resultiert bei solchen Einsätzen dann auch daraus, dass eine längere Achsübersetzung möglich ist. Klarer Fall aber auch, dass die größten Vorteile im Verteilerverkehr und im Personennahverkehr zu finden sind – Stichwort Downsizing. Hier kann ein kleinerer Motor mit PBS einen größeren Motor ersetzen. Der erste Serieneinsatz von PBS wird vermutlich in einem Bus sein. Dazu allerdings will Knorr noch nichts sagen.

Wo sind die Nachteile? Der Druckluftverbrauch steigt um 20 bis 30 Prozent, für die Aufbereitung müsste gegebenenfalls also ein größerer Luftpresser und zusätzliches Druckluftvolumen montiert werden. Dem Testlastzug reichte noch sein serienmäßiger (360 Kubikzentimeter) Einzylinder-Kompressor, ergänzt um 80 Liter Behältervolumen. Der große Vorteil: der recht geringe Preis von maximal 600 Euro.

Mit dem WHR-System von Voith Turbo sammelt lastauto omnibus die erste Erfahrungen

Deutlich aufwendiger als PBS, aber auch mit einem noch größeren Sparpotenzial, zeigt sich das Waste Heat Recovery-System (WHR) von Voith Turbo. Auch damit konnte lastauto omnibus erste Erfahrungen – in einem Actros-Sattelzug – sammeln. Seit 2009 beschäftigt sich die Sparte Verdichtersysteme von Voith Turbo mit diesem System. Die treibenden Kräfte dahinter: Geschäftsführer und Physiker Eberhard Bredel und der Maschinenbauer sowie Dampfmaschinenfan Dr. Jörg Nickl. Die Funktionsweise von WHR hat lastauto omnibus (siehe Grafik oben) schon vor einem Jahr (Ausgabe 12/2010) ausführlich beschrieben.

Kurz: Es geht um eine Zweizylinder-Gleichstrom-Dampfmaschine, die ihre Energie aus den heißen Abgasen bezieht. Die dabei entstehende mechanische Arbeit wird in den Antriebsstrang eingespeist. Das hört sich einfach an, entpuppt sich bei der praktischen Umsetzung aber als gar nicht so trivial. Als Arbeitsmedium hat sich Voith – anders als bei einer normalen Dampfmaschine – nicht für Wasser, sondern für Ethanol alias Spiritus entschieden, was laut Nickl thermodynamische Vorteile hat. Aus einem Tank beziehen zwei Pumpen Ethanol, setzen es unter Druck (bis 60 bar) und schicken es durch zwei Wärmetauscher, um dem Abgas die Wärmeenergie zu entziehen. Das so aufbereitete und bis zu 300 Grad heiße Medium gelangt zur Dampfmaschine (auch Steam Expander genannt) und kann seine Arbeit verrichten. Anders als bei den meisten Dampfloks, wo das Arbeitsmedium nach getaner Arbeit als Wasserdampf entweicht, gelangt es in einen weiteren Wärmetauscher, wird dort auf Umgebungsdruck kondensiert und wieder in den Tank geschickt.

Voith hat das WHR-System auf Prüfständen erprobt

Bis Anfang 2011 hat Voith das WHR-System auf Prüfständen erprobt, wo es seine Zuverlässigkeit bewiesen hat. Als Nächstes folgte der Einbau in eine Sattelzugmaschine, die bisher mehrere tausend Kilometer abgespult hat. "Es ist ein Prüfstand auf Rädern", erklärt Bredel. "Nur so lassen sich weitere Erkenntnisse sammeln."Bei der derzeitigen Expander-Größe von rund 750 Kubikzentimetern leistet WHR bis zu 15 kW (20 PS) bei 2.000/min. Die Höhe der Leistung hängt aber letztlich vom Einbauraum für den Expander und – noch mehr – von der Leistung des Kühlsystems im Fahrzeug ab. Denn auch der Kreisprozess einer Dampfmaschine hat einen begrenzten Wirkungsgrad – der Rest geht als Wärme verloren.

Beim Fahren mit WHR macht sich die zusätzliche Leistung schnell bemerkbar. Optisch am Laptop, der beispielsweise 60 bar Mediumdruck anzeigt. Aber auch fahrdynamisch, wenn die merklich anschwellenden Kräfte den Lastzug die Steigungen hinaufziehen. Dabei bleibt dem Fahrer durchaus die Wahl, die Kraft für ein höheres Tempo oder aber weniger Verbrauch bei gleichem Tempo zu nutzen. Das geschlossene WHR-System ist darüber hinaus in der Lage, die gewonnene Energie über einen gewissen Zeitraum zu speichern und bei Bedarf abzugeben. Die Integration des WHR-Systems in den Triebstrang ist derzeit noch improvisiert. Ein Zahnriemen mit starrer Übersetzung (1 zu 1,5) übernimmt die Übertragung auf die Kardanwelle kurz vor dem Achsgehäuse. Bei niedrigen Geschwindigkeiten bleibt WHR beim rollenden Prüfstand also außen vor. Bei hohen Geschwindigkeiten, wenn die Drehzahlen von Steam Expander und Kardanwelle halbwegs zur Übersetzung passen, muss die Elastizität des Riemens herhalten.

Laut Hersteller lässt sich mit der AGR-Wärme bis zu sieben Prozent Kraftstoff sparen

Nach zwei Stunden Fahrt steht fest: Das System funktioniert, spart bis zu fünf Prozent Kraftstoff, mit der Nutzung der AGR-Wärme wären es laut Hersteller sieben Prozent, ist aber noch ein paar Schritte von der Freigabe eines Lkw-Herstellers entfernt. Drei Probleme sind noch zu lösen. Zum einen die Integration in den Triebstrang. Das könnte mit einem Nebenabtrieb möglich sein. Das Zweite ist der Bauraum und das Dritte die Kühlleistung des Fahrzeugs. Das Gewicht – maximal 150 Kilogramm werden die Lkw-Hersteller wohl akzeptieren – stimmt schon halbwegs. Und der Preis? Da macht sich Bredel keine Illusionen: "WHR muss sich für den Käufer innerhalb von zwei Jahren rechnen."

Das Fazit: PBS und WHR sind zusammen in der Lage, dabei zu helfen, die kommenden Verbrauchsvorschriften zu erfüllen. Der Weg nach unten kann also beginnen.

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