Erwin Schwab im Interview Keine Angst vor Veränderung

Foto: Knut Zimmer

Erwin Schwab, Geschäftsführer des Reifendienstleisters Pneuhage, kennt das Reifen- und Werkstattgeschäft genau. Im Gespräch mit WERKSTATT aktuell wirft er einen Blick in die Glaskugel und erklärt, warum Servicebetriebe die digitale Zukunft nicht fürchten müssen.

Pneuhage ist nicht nur Reifenhändler und -dienstleister, sondern setzt auch auf die Runderneuerung. Wie viel Potenzial steckt in diesem Verfahren?

Pneuhage verfügt mit den Standorten in Nossen und Karlsruhe über zwei Recamic-Runderneuerungen von Nutzfahrzeugreifen. Durch die Übernahme von Reifen Ehrhardt und First Stop kommen noch einmal drei Bandag-Werke hinzu. In diesen fünf Werken kommen wir auf ein Volumen von rund 100.000 Reifenrunderneuerungen jährlich. Das ist unser Beitrag zur Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit.

Hat die Nachfrage nach runderneuerten Reifen vor dem Hintergrund der Einfuhrzölle für China-Importe zugenommen?

In der Premium-Runderneuerung denke ich nicht. Diese Reifen sind immer noch teurer als Billigimporte aus Asien. Einige dieser Marken sind allerdings vom Markt verschwunden, weil diese qualitativ schlicht nicht mithalten können. Wir merken dieses Jahr eine Mengenverschiebung im Import von ein paar Hunderttausend Reifen. Für die Runderneuerung spürbar ist dagegen die De-minimis-Förderung, da runderneuerte Reifen den Neureifen ähnlichgestellt wurden. Trotzdem verkauft sich ein Runderneuerter immer noch nicht von selbst. Hier muss immer noch Überzeugungsarbeit geleistet werden – auch wenn mit der Premium-Runderneuerung nicht nur Betriebskosten reduziert werden, sondern auch die Umwelt geschont wird.

Mit Reifenservices lassen sich zusätzliche Umsätze generieren. Können freie Werkstätten dem Pneuhage-Netzwerk beitreten?

Über das Reifen-1-Plus-System können Werkstätten gebührenfrei Partner werden. Zur Nutzung des vollen Angebots erwarten wir 50.000 Euro Umsatz jährlich. Ist Potenzial vorhanden, kommen wir hier aber auch entgegen. Inzwischen umfasst das Netzwerk 630 Werkstätten. 50 bis 60 davon sind spezialisiert auf Nutzfahrzeuge. Speziell für sie haben wir das Konzept kürzlich weiter ausgebaut. Freie und speditionseigene Nfz-Werkstätten können so direkt aus unseren Zentrallagern oder über die Industrie beliefert werden und unser Fortbildungsangebot wahrnehmen.

Welche Auswirkungen wird die Elektromobilität auf das Servicegeschäft haben?

Heute ist der Anteil des Reifens innerhalb der Gesamtkostenstruktur eines Lkw minimal. Ein Automobilklub hat jedoch unlängst im Pkw-Segment Verbrennungs- und Elektrofahrzeuge miteinander verglichen. Dabei zeigte sich, dass bei einem E-Fahrzeug plötzlich 60 Prozent der Reparaturkosten auf den Reifen fielen. Bei Wasserstoff wird sich das ähnlich verhalten. Das heißt, dass der Reifen mit Blick auf die Wartungskosten künftig eine ganz neue Gewichtung erhalten wird.

Welche Rolle spielt der Reifen bei der vorausschauenden Instandhaltung?

Ich glaube, dass die Themen Predictive Maintenance und Mobilität noch stärker ausgebaut werden. Ein Reifen wird meiner Meinung nach künftig dann montiert, wenn das Fahrzeug Zeit hat. Deshalb brauchen wir als Dienstleister Informationen zu den Standzeiten, Fahrtrouten und Abladeorten und -zeiten eines Lkw. Erst dann wird uns die Digitalisierung künftig dabei unterstützen, welcher Reifentyp im Einsatz ist und wie viele Kilometer er geleistet hat, sodass wir rechtzeitig Ersatz bereitstellen können.

Dann stellt Pneuhage 2019 also die Weichen für die Digitalisierung?

2017 und 2018 haben wir sehr stark die Märkte analysiert. Dass die Zukunft digital wird, war bereits damals sicher. Doch welche Richtung dieser Trend genau nehmen würde, war noch nicht sicher. 2019 sind die Vorstellungen klarer, weshalb die Weiterentwicklung unserer Systeme klar im Fokus steht. Wir haben eine Auswahl an EDV-Systemen getroffen, mit denen wir arbeiten wollen. Denn einerseits gilt es, mit der immer noch bestehenden Schnittstellenproblematik umzugehen, andererseits muss das System offen genug sein, um an aktuelle Entwicklungen andocken zu können. Zudem werden wir dieses Jahr die ersten Servicefahrzeuge im Testlauf haben, mit denen E-Fahrzeuge bedient werden können. Hierzu erhalten die Servicefahrer eine spezielle Ausbildung und die Fahrzeuge eine spezielle Ausstattung.

Findet denn die Elektromobilität bei Pneuhage-Kunden überhaupt schon statt?

Im Staplersegment ist dieses Thema ja nicht neu für uns. Aber wir haben im Agrarbereich inzwischen auch die ersten Ackerschlepper im Service, die bis zu sieben Stunden rein elektrisch fahren und über eine eigene Biogasanlage aufgeladen werden. Die dadurch entstehenden Einsparungen gegenüber einem vergleichbaren Dieselfahrzeug sind enorm. Zudem sorgt das Akkugewicht auf losem Untergrund für zusätzliche Traktion. Wir kennen auch einen Anwender, der einen elektrisch betriebenen Muldenkipper im Steinbruch betreibt. Der erzeugt bei der Bergabfahrt zur Abladestelle durch sein hohes Gewicht über die Rekuperation genug Energie für die Rückfahrt zur Beladestelle. Das heißt, das Fahrzeug muss gar nicht aufgeladen werden. Solche Konzepte werden meiner Meinung nach in Zukunft verstärkt kommen.

Müssen Servicebetriebe vor dieser Entwicklung Angst haben?

Nein, wenn sie bei diesen Entwicklungen am Ball bleiben, müssen sie sich keine Gedanken machen. Und auch Reifen wird es sicher in den kommenden Jahrzehnten noch geben, denn es gibt noch kein Konzept, das den Reifen wirklich ersetzt. Zudem werden auch die aktuellen Bestandsfahrzeuge noch eine ganze Weile auf der Straße bleiben. Die Herausforderung wird daher künftig sein, sowohl die aktuellen als auch die Zukunftsmodelle gleichzeitig abzubilden.

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