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Elvis klagt gegen Lkw-Kartell "Es ist unser gutes Recht"

Foto: Maik Porsch

Elvis hat seine Schadenersatzklage wegen des Lkw-Kartells schon eingericht, Mitstreiter sind aber weiter willkommen. Elvis-Chef Jochen Eschborn plant zudem eine zweite Klage gegen die Nachkartellwirkung.

Die erste Klagerunde ist angelaufen, Mitstreiter sind aber weiter willkommen: Der Verbund Elvis hat bereits Ende Dezember dem Landgericht Stuttgart seine Klage zugestellt und sich dabei auf den Kartellzeitraum 1997 bis 2011 konzentriert. Wer seine Daten nicht vollständig hatte oder es bislang versäumt hat, seine Ansprüche für ab 1998 gekaufte Fahrzeuge anzumelden, kann dies laut Elvis-Chef Jochen Eschborn jetzt noch nachholen. Zudem plant Elvis eine zweite Klage gegen die Nachkartellwirkung. Wie der Europäische Ladungsverbund Internationaler Spediteure (Elvis) mit Sitz in Alzenau in Sachen Lkw-Kartell vorgeht, erläuterten Eschborn als Vorsitzender sowie Christine Platt, verantwortlich für Personal, Kommunikation & Administration, in einem Redaktionsgespräch mit trans aktuell in Stuttgart.

Klage richtet sich zuerst gegen Daimler

Seine Klage hat der Verbund an Daimler adressiert. Zum einen, weil bei einer Schadenersatzklage auch bei mehreren Kartellanten die gesamtschuldnerische Haftung an einen davon zu richten ist, zum anderen, weil laut Eschborn ein großer Teil der Fahrzeuge der Kläger auch aus Stuttgart stammt. "Wir gehen davon aus, dass Daimler über eine Streitverkündung alle anderen mit ins Boot nimmt", sagte Eschborn. Abwarten sei hingegen im Falle von Scania angesagt. Das Unternehmen hatte als einziger Hersteller keinen Vergleich mit der EU-Kommission geschlossen, die daraufhin aber im Herbst 2017 gegen den schwedischen Hersteller das Kartellverfahren gewann. Gegen das Bußgeld legte Scania im Dezember Berufung ein.

In der gegen Daimler eingereichten Klage wurden die Ansprüche von 310 kleinen und mittelständischen Frachtführern gebündelt, darunter auch Unternehmen, die nicht Mitglied bei Elvis sind. In der Summe geht es um rund 16.000 Fahrzeuge. Elvis beziehungsweise die eigens für das Verfahren gegründete Themis Schaden Gesellschaft verlangt für diese in einer Leistungsklage einen zuvor von Wirtschaftsgutachtern berechneten Schadensersatz plus Zinsen. Die anwaltliche Vertretung übernimmt dabei Dr. Moritz Lorenz von der Kanzlei Arnecke Sibeth aus Frankfurt.

Erste Verjährung eingetreten

Für weitere mehrere hundert Fahrzeuge, von denen zur Klageeinreichung nicht alle Daten zur Verfügung standen, übergab Elvis dem Gericht eine Teilfeststellungsklage. Die Halter dieser Fahrzeuge können ihre Daten jetzt noch nachreichen und damit auch auf Schadenersatz klagen. Ebenso wie Unternehmen, die noch nicht aktiv geworden sind und nach 1998 ein Fahrzeug von den betroffenen fünf Kartellanten Daimler, MAN, Iveco, DAF, Volvo/Renault gekauft haben. Für Fahrzeuge, die 1997 erworben wurden, greift bereits die Verjährungsfrist.

Dass sich noch nicht alle von dem Kartell betroffenen Unternehmen zur Klage entschieden haben, liegt zum Teil auch an der Befürchtung mancher, die Fahrzeughersteller als Transportkunden zu vergraulen. Solche Befürchtungen sind laut Eschborn fehl am Platz: "Auch die Hersteller sehen das völlig emotionslos und haben sicher bereits Rückstellungen getroffen. Es ist unser gutes Recht, gegen die Folgen der Preisabsprachen zu klagen – zumal als Branche mit einer Rendite von durchschnittlich einem Prozent."

Aufwendiges Gutachten erstellt

Um einen Schaden festzustellen, braucht das Gericht präzise Angaben zu jedem Fahrzeug. Für das entsprechende Gutachten mussten die klagenden Unternehmen die entsprechenden Unterlagen einreichen: "Oftmals gab es in den Unternehmen zu den Fahrzeugen nur noch eine Anlagenvermögensliste. Über die Fahrzeug-Identifizierungsnummer wurde dann recherchiert, um welches Fahrzeug es sich gehandelt hat", berichtete Platt.

Für jeden der in der Klage genannten Lkw mussten Modell, Merkmale, Ausstattung, Um- und Aufbauten und mehr erfasst und analysiert werden. Eine Sonderlackierung hat laut Eschborn dabei keinen Einfluss auf einen nachträglich festzustellenden Wert, wohl aber ein Retarder oder eine Klimaanlage. Zudem musste vor der Abtretung der Schadenersatzforderung an Themis geklärt werden, welchem Unternehmen der Schadenersatz zusteht, ob es etwa einen Besitzwechsel oder eine sonstige Rechtsnachfolge gab. "Denn eventuell hat ein Insolvenzverwalter auch nach zehn Jahren noch einen Forderungsanspruch auf den Schadenersatz", erklärte Eschborn.

Basierend auf dem heutigen Preis wurden für das ökonometrische Gutachten Kostenfaktoren wie Lohnsteigerungen, Preisentwicklungen, Rohstoffpreise oder auch Eurowechselkurse abgezogen, um den Fahrzeugpreis für das Verkaufsjahr zu erhalten. Ein kompliziertes Verfahren, um für das Gericht den Preisschaden aus dem Kartell pro Fahrzeug, den Zins-Schaden und den "Abgas-Schaden" wie Eschborn es nennt zu ermitteln.

Rund zehn Prozent Mehrkosten denkbar

Denn die Kartellanten, so lautete das Urteil der EU-Kommission, hatten sich auch über die Einführung der Euro-Abgasnormen abgesprochen. Laut Eschborn wurden damit Wettbewerbsvorteile der Fahrzeugkäufer unterbunden, außerdem auch die Kosten für die verschiedenen Lkw-Mautsätze und den Mehrverbrauch verfälscht. "Der Schaden hat eine unglaubliche Varianz", sagte Christine Platt von Elvis, "aber durchschnittlich gehen wir von Mehrkosten von rund zehn Prozent pro Fahrzeug durch das Kartell aus." Insgesamt beläuft sich die Schadenersatzklage auf rund 90 Millionen Euro sowie rund 86 Millionen Euro Zinsen.

Kartellfolgen auch nach 2011

Damit nicht genug: Laut Eschborn gibt es bereits Überlegungen, wie die Unternehmen für die Nachkartellwirkung nach 2011 Schadenersatz verlangen können. Denn auch wenn laut EU-Kommission das Preiskartell nur bis 2011 bestand, hätten sich dessen Auswirkungen im Markt fortgesetzt. Erst im Zuge der Kommissionsentscheidung im Sommer 2016 haben sich laut Platt die Preise für Nutzfahrzeuge verändert. Diesen Rechtsbruch nachzuweisen werde nicht einfach.

Der Aufwand schon für die erste Klage war immens: Rund 600.000 Seiten umfasste demnach die Klageschrift, die ein Team über zwei Wochen im zwei-Schicht-Betrieb zusammenstellte. Die Klage wurde Daimler inzwischen zugestellt, vier Monate hat das Landgericht Stuttgart demnach für eine Antwort angesetzt, wahrscheinlich sei aber, dass Daimler mehr Zeit beantrage und auch bekomme und es deshalb spätestens zum 2. Halbjahr zu einer Klageerwiderung komme.

"Wir hoffen sehr auf einen Vergleich", sagt Eschborn. Nur weil die Kartellanten allesamt nach dem Bußgeldurteil nicht auf Einigungsversuche der Transportunternehmer eingegangen seien, habe sich die Kooperation der Aufgabe angenommen, den Schadenersatz einzuklagen. "Und dazu haben wir schweres Geschütz aufgefahren", so Eschborn.

LG Hannover zum Lkw-Kartell

Ein erstes Urteil zu Schadenersatzforderungen aus dem Lkw-Kartell hat das Landgericht Hannover bereits am 18. Dezember 2017 gefällt. Gegen den Fahrzeugersteller MAN hatte die Stadt Göttingen geklagt, die auf Schadenersatz für von ihr im Zeitraum von 2001 bis 2010 gekaufte Müll- und Feuerwehrfahrzeuge gekauft hatte. Carsten Vyvers von der Frankfurter Anwaltskanzlei Arnecke Sibeth erläutert, was das Urteil bedeutet.

trans aktuell: Herr Vyvers, ist das Urteil des LG Hannovers als "Grundurteil" zu sehen?

Ein Grundurteil ergeht nur in seltenen Fällen. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass die Basis einer Haftung auf Schadensersatz nach Auffassung des Gerichts feststeht, die konkrete Schadenshöhe jedoch nur in einem langwierigen und komplizierten Verfahren - meist unter Zuhilfenahme von Sachverständigen - festgestellt werden kann.

Zusammengefasst – wo sehen die Richter einen Kartellschaden?

Hier ist das Landgericht davon ausgegangen, dass ein durch das Lkw-Kartell entstandener Schaden grundsätzlich als gegeben anzusehen. Nach Auffassung der Richter waren die von der Kommune gezahlten Preise für die erworbenen Fahrzeuge kartellbedingt höher als marktüblich. Wie hoch der Schaden für die einzelnen Fahrzeuge ist, konnte und wollte man zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl noch nicht feststellen. Zu berücksichtigen ist, dass ein Grundurteil auch mit den normalen Rechtsmitteln , etwa Berufung zum Oberlandesgericht und gegebenenfalls Revision zum Bundesgerichtshof hiernach, angegriffen werden kann.

Laut den Hersteller konnten Speditionen einen eventuellen Preisaufschlag an ihre Kunden weitergeben. Das trifft für Kommunen wie den Kläger Göttingen nicht zu. Wie ordnen Sie das ein?

Die Argumentation der Kläger, wonach nicht der Anspruchssteller, sondern Dritte im Ergebnis den Schaden zu tragen hätten, wird als sogenannte "Passing on"-Defense (Weitergabe des erhöhten Preises) bezeichnet und ist eine übliche Verteidigungslinie in kartellrechtlichen Streitigkeiten. Die Hersteller hatten argumentiert, dass hier nicht die Kommune selbst, sondern die Bürger über ihre Müllabgaben die erhöhten Preise für die Anschaffung der Müllfahrzeuge gezahlt hätten. Nach Auffassung der Richter am Landgericht Hannover kam dies im vorliegenden Fall jedoch nicht in Betracht.

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