E-Bus-Blog Teil 1 Wer baut den besten Elektrobus?

Foto: Daimler AG
Meinung

Immer wieder werde ich als Busexperte gefragt, wer denn nun den besten Elektrobus baut. Doch so einfach ist das nicht, wir erleben hier eine gänzlich andere Welt als die der PS und Newtonmeter aus dem guten alten Sportauto-Quartett. Der ausschweifende Versuch einer Einordnung in neues Denken.

Die Frage nach dem besten Elektrobus ist im Grunde genommen so aus der Zeit gefallen wie die nach dem besten Smartphone. Auch hier geht es schon lange nicht mehr um die reine Hardware, die man in der Hand hält, sondern eher um die Software, das komplette Software-Ökosysteme, Ladestrategien, Kameraleistung und so weiter. Und es bilden sich fast schon religiöse Fraktionen, mit denen man auch kaum über den Wechsel zu einem anderen System sprechen kann. Ich gebe es rundheraus zu, auch ich gehöre zu einer solchen Sekte!

Der Markt: Wo stehen wir derzeit?

Nun also Elektrobusse! Spätestens im Jahr 2020 haben sie ihren Durchbruch gefeiert, und es werden immer mehr werden, auch wegen der in den Startlöchern stehenden, neuen Ebus-Förderung, die bei der EU zur Notifizierung liegt (seit rund einem Jahr). Spielten bisher vor allem die Early Mover wie VDL und Solaris die erste Geige hier (Marktanteile Elektro 2020 in der EU ohne Trolleybusse 6,2 und 19,7 %, siehe lastauto omnibus 4/21), so sind ab 2019 mit einiger Verspätung auch die deutschen Hersteller in das Rennen eingetreten. Bis die schon aus reiner kundenbezogener "Markterfahrung" die Marktführerschaft übernehmen (Mercedes 4,8 %, MAN 1,2 %), drängeln sich noch die Chinesen dazwischen. BYD (20 %) kooperiert sehr erfolgreich mit dem schottischen Hersteller ADL (9,2 %) und hat bereits drei Werke in Europa gebaut. Mit der Bogestra und der Deutschen Bahn haben die Traumbildner des Fernen Ostens („Build your Dreams") nun auch den deutschen Hochanspruchsmarkt geknackt. Der Konkurrent Yutong (7,4 %) wiederum, eine echte Hausnummer im weltweiten Markt, ist in Europa schon sehr präsent, aber nach Deutschland traut sich das Unternehmen mit dem deutschen Busdesigner Matthias Lenz derzeit genausowenig wie Wasserstoff-Pionier Hyundai, die seit Jahren intensive Marktforschung betreiben, ohne den Sprung final zu wagen. Der Zug dürfte denn auch bald abgefahren sein. Wer jetzt nicht auf dem Elektrobusmarkt mitspielt oder zumindest ein gutes Angebot im Köcher hat wie Scania (derzeit noch 0 %, Fahrbericht in lastauto omnibus 6/21) dürfte sehr bald das Nachsehen haben. Sehr gespannt darf man auf Newcomer sein wie Dancer, Eurabus oder Hyzon, die mit großen Ankündigungen für Furore sorgen, aber sich erst noch etablieren müssen.

Wie finde ich nun aber den besten Elektrobus? Wie gesagt, DEN besten Bus gibt es per Definition nicht. Wir versuchen hier aber einmal, die wichtigsten Kriterien anzureißen, ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit und völlige Objektivität. Das ist schließlich der Vorzug eines Meinungsblogs. In diesem ersten Teil kümmern wir uns um das Fahrzeug selbst, sozusagen die Bewertung aus der alten Welt, und hier nur um Konzept und Design – Antrieb und Batterien folgen später. Sodann werden wir uns das komplette Mobilitätssystem mit der Ladestrategie anschauen müssen, ohne die ein Elektrobus nicht lebensfähig ist. Wieder später wird es um die Flotte gehen, also welche Hersteller bieten welche Modelle, da gibt es sehr große Unterschiede. Das Sicherheitskonzept wird heute immer wichtiger und auch hier trennt sich teilweise die Spreu vom Weizen. Ebenso im Thema Connectivity – heute ein absolutes Muss. Ob wir dann am Ende ein echtes Fazit ziehen werden können, soll an dieser Stelle dahin stehen. Vermutlich eher nicht, jeder Kunde und Interessent muss sich aus diesen Faktoren genau die herausziehen, die für ihn am wichtigsten sind.

Das Fahrzeug: Karosserie-Konzepte

Die wichtigste Frage, die sich hier stellt: Ist der Elektrobus eine Ableitung aus den bisherigen Dieselbaumustern mit all ihren Vor- und Nachteilen, oder ist das Konzept komplett neu gedacht, sozusagen „from scratch"? Zuweilen kommt es vor, dass sich die Neuauflage eines Modells bei den relativ langen Produktzyklen in der Busbranche von rund zehn Jahren mit dem Launch eines Elektrobusses überschneidet, so bei MAN und Scania. Hier war es sehr sinnvoll, auf die neuen Fahrzeug-Plattformen zu warten, zumal wenn man wie Scania dann auch die neueste, vom Truck abgeleitete Elektronikarchitektur verwenden kann. Ob es hierbei eine elektromobile Todsünde ist, den guten alten Motorturm beizubehalten, darüber streiten sich Experten und Auguren gleichermaßen. Einerseits gewinnt der Busbauer Licht, Luft und einige Sitzplätze im Heck (sehr vorbildlich beim turcodeutschen Hersteller Sileo gelöst), andererseits erkaufe ich mir dies meist mit hohen Dachlasten wie bei MAN, wo der Solobus rund drei Tonnen auf dem Dach herumfährt (siehe Test in lastauto omnibus 6/21). Der Kompromiss, nämlich einige Module ins Heck, aber die Mehrzahl auf das Dach (wie es Daimler und andere tun) ist sicher gewichtstechnisch nicht der Schlechteste, dann aber bitte mit massivem Aufprallschutz, der bei einem Crash von hinten schützt – so wie es Scania vormacht.

Der neueste Clou, der aus den USA vom Ebus-Pionier Proterra kommt, ist der Verbau der Batterien im Fußboden, auch wenn der ja sehr niedrig liegt – in Europa noch eher als in den USA, wo ein hiesiger Low-Entry klassischerweise schon als Low-Floor durchgeht. Der Newcomer Ebusco (wichtigstes Testfeld derzeit die MVG in München) hat mit seinem neuen Modell 3.0 (man beachte die IT-Nomenklatur) den Anfang gemacht, und der ebenfalls holländische Hersteller VDL zieht gerade nach. Vorteil: Da es keine schweren Dachaufbauten gibt, kann die Gerippestruktur deutlich leichter aus Kompositwerkstoffen konzeptioniert werden. Ebusco versucht sich sogar wieder mit teuren Carbonstrukturen, mit denen Neoplan vor der Zeit schon in den 80ern seine Sporen verdiente mit dem wegweisenden MIC, der heute unverständlicherweise nur noch eine Randnotiz der Busgeschichte ist. Auch BMW musste hier mit dem i3 Lehrgeld zahlen seit 2013. Nachteile der Bauart: Wenn die üblichen Einstiegshöhen von 320 Millimetern an allen Türen eingehalten werden sollen, so stellt dies bei Bauhöhen der Batteriepakete von rund 12 Zentimetern doch eine ziemliche Herausforderung dar, zumal auch noch Kühlungs- und Sicherheitsaspekte mitbedacht werden müssen – ungern erinnern wir hier an die Platinunterbodenplatte bei Tesla. Die würde den Preis des Elektrobusses, der sich derzeit ausschließlich mit Förderungen finanzieren lässt, endgültig durch die Decke jagen. Man darf also sehr gespannt sein auf die ersten praktischen Erfahrungen mit den neuen Konzepten und wie sie sich in der Praxis schlagen.

Das Fahrzeug: Design

Das Design ist größtenteils Geschmackssache – aber da wir ja in einem Meinungsblog unterwegs sind, dürfen wir uns hier doch etwas dezidierter äußern. Zumal sich die Hersteller sehr bemühen, ihre E-Modelle deutlich abzuheben vom dieseligen Allerlei der Vergangenheit. Die ersten Busse von VDL und Solaris orientierten sich eher an den bewährten, markentypischen Designs, bei den Gelenkbussen traf es sich gut, dass beide Unternehmen waschechte BHNS-Pakete französischen Haut-Goûts in petto haben, die man hier gerne aus der Schublade zog (siehe VDL in Eindhoven oder Köln). Auch der baskische Hersteller Irizar, der deutlich in Sachen Elektromobilität mit einer eigenen Fabrik durchgestartet ist, hat aus diesem Konzept eine Tugend gemacht und bietet standardmäßig ein solches auffallendes "ie-Tram"-Design an neben dem etwas braveren "ie-Bus"-Design. Ein geschickter Marketing-Zug.

Das erste echte Elektrobusdesign hat Mercedes-Benz mit seinem "Future Bus" auf der IAA 2016 (damals noch mit Dieselmotor im Heck) präsentiert, der sich schnell zur Ikone des Busbaus entwickelte. Zwar zeigte sich die Serienversion des eCitaro um einiges entfeinert, aber immer noch sehr eigenständig. Völlig eigenständig konnte Iveco agieren, die ihre feine französische Busmanufaktur Heuliez nun völlig auf Elektro trimmen und so schon von Anfang an ein optisches Alleinstellungsmerkmal haben, egal welches Logo nun appliziert wird. Die bisher eher dezent agierende MAN zog hier dann schnell nach mit einem zwar nicht völlig eigenständigen, aber doch deutlich aufgewerteten und emotionalen „Blitz-Design". Deutlich zurückhaltender wiederum die Skandinavier Scania und Volvo. Hier setzt man deutlich auf Unterstatement, die Busse unterscheiden sich nur wenig von den Diesel- oder Hybridmodellen, sieht man einmal von dem Ebus-Prototypen von Volvo mit großer Mitteltür und langem Radstand ab, der es so aber leider nicht in die Serie geschafft hat.

Führt sich die Frage selbst ad absurdum?

Schon dieser erste kleine Ausflug in die Welt der Elektrobusse zeigt also, wie schwer die Ausgangsfrage zu beantworten ist. So grundlegend die Verkehrs- und Energiewende in unserer Gesellschaft neu gedacht werden muss, genauso grundlegend verändern sich gerade die Fahrzeugkonzepte von Grund auf. Und vielleicht führt sich die Frage auch ad absurdum. Wir werden das Thema gerne auch online vertiefen! Diskutieren Sie mit!

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