Daimler Buses Interview Das Corona-Risiko ist beherrschbar!

Foto: Daimler Buses

Interview: Drei Experten von Daimler Buses sprechen über die Herausforderungen von Corona und die technischen Mittel, mit denen diese angegangen werden. Mit von der Partie: Der Marketing-, Verkaufs- und Kundenservice-Chef Ulrich Bastert (im Bild), der Leiter Produktplanung und Produktmanagement Thomas Tonger und Wolfgang Prokopp, Leiter Product Engineering Raised Floor.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf Ihr Busgeschäft?

Bastert: Die Branche ist massiv betroffen, die Reisebus-Zulassungen vom Mai sind zum Beispiel um 59 Prozent gesunken. Das Reisegeschäft läuft jetzt etwas besser an als vor der Lockerung allgemein erwartet, daher denke ich, das Busgeschäft könnte auch vor nächstem Frühjahr wieder ein ordentliches Niveau erreicht haben. In welchem konkreten Umfang jedoch wage ich derzeit nicht einzuschätzen.

Das hat sicher mit Fahrverboten und geschlossenen Grenzen zu tun, aber auch damit, dass die Menschen einfach in Sorge sind, sich anzustecken, wenn sie wirklich auf engem Raum zusammen sind. Diese Sorgen wollen wir als Unternehmen aufgreifen, auch wenn es viele Bereiche gibt, in denen es kaum feste Normen und Regelungen gibt. Zudem gelten ja in vielen Ländern andere Vorgaben und es gibt kulturelle Unterschiede. Auch die Verbände und deren Mitglieder haben sich sehr engagiert und wollen von uns wissen, wie es weitergeht. Wir wollen der Branche als Marktführer mit weiterer Aufklärung und mit Fakten zum Thema helfen. Die gesamte Branche leidet schon deutlich und unsere Aufgabe ist es, hier zu unterstützen und den Fahrgästen Ängste zu nehmen. Ja, es gibt ein Risiko durch Covid-19. Aber es ist beherrschbar, und dazu müssen wir uns alle anstrengen und diese Herausforderung als Branche gemeinsam aktiv gestalten.

Wie wollen Sie das konkret angehen?

Bastert: Wir konzentrieren uns dabei besonders auf Lösungen, die kurzfristig realisierbar sind und nicht erst in Fahrzeugen einer zukünftigen Generation. Die Kunden brauchen jetzt Antworten auf ihre Fragen, sie wollen einfach bessere Argumente gegenüber ihren Fahrgästen. Da gibt es teilweise skurrile Angebote, die unseres Erachtens unseren Kunden und ihren Gästen nicht nachhaltig helfen. Aber wir versuchen uns neben eigenem Know-how und Kreativität auch am Markt alle Lösungen anzuschauen und soweit wie möglich objektiv zu bewerten.

Wir sind überzeugt davon, dass Busfahren schon heute eine umweltfreundliche und auch unter Virenaspekten sichere Fortbewegungsart ist. Aber wir sind auch davon überzeugt, dass wir weitere technische Verbesserungen einbringen können. Für zukünftige Reisebusgenerationen müssen wir uns auf jeden Fall mit dem Thema Viren generell auseinandersetzen.

Eine wichtige Rolle spielen hierbei die Klimaanlagen. Herr Tonger, geben Sie uns einen Überblick über den Status quo!

Tonger: Unsere HLK-Anlagen erzeugen schon heute ein ziemlich sicheres Klima, das anderen Verkehrsmittel in nichts nachsteht. Im Stadtbus sind zumeist vollwertige Klimaanlagen verbaut, die im normalen Betrieb eine bis zu 100-prozentige Öffnung der Frischluftklappe und somit einen relativ hohen Frischluftanteil sicherstellen. Zudem sorgen beim Stadtbus die häufig öffnenden Türen für eine sehr gute Durchlüftung. Auch das Tragen von Masken sollte im Stadtbus für ein paar Stationen kein Problem sein.

Bei den neuen, hocheffizienten Wärmepumpen/Klimaanlage-Kombinationen im rein elektrischen eCitaro wird mit einem gewissen Umluftanteil gearbeitet. Wir können derzeit aber nicht abschließend genau bewerten, wie sehr diese Umluftraten abweichen von den konventionellen Dieselvarianten. Beim Stadtbus liegt der Fokus derzeit stark auf der Fahrerkabine, für die wir bereits viele Lösungen anbieten.

Gut, also geht es mehr um den Reisebus. Wo liegen denn da die Herausforderungen?

Tonger: Beim Reisebus liegt der Fokus auf drei Dingen: Frischluftanteil, Häufigkeit des Luftaustauschs und Filter. Der Frischluftanteil wird normalerweise automatisch gesteuert, so dass der Fahrer keinen großen Einfluss nehmen kann. Es sei denn er schaltet die Heizung oder die Kühlung manuell aus und fährt im reinen Lüftungsbetrieb. Das mag zuerst einmal etwas gefährlich klingen, ist aus unserer Sicht aber eher ein Fall für extreme Temperaturszenarien. Bei normalen Temperaturen in den niedrigen 20er Bereichen ist zum Beispiel auf der Autobahn gesichert, dass der Frischluftanteil der Anlage bei annähernd 100 Prozent liegt. Ein kleiner Restanteil von rund 15 Prozent Umluft zirkuliert allerdings konzeptbedingt immer in den Innenraum zurück. Bei höheren Temperaturen schließt die Frischluftklappe dann jedoch weiter, so dass die derzeitige automatische Steuerung aus Effizienzgründen mehr gekühlte Umluft für den Innenraum beimischt.

In unseren und vielen anderen Omnibussen wird die Luft von oben eingeströmt, und im Fußraum wieder abgeleitet. Diese Art der Luftströmung stellt sicher, dass es wenig Verwirbelungen im Innenraum gibt, bei gleichzeitig sehr hohen Luftaustauschraten von bis zu 7.000 Kubikmeter Luft pro Stunde im Eindecker und bis zu 13.000 Kubikmeter im Doppeldecker. Das entspricht in etwa dem Luftinhalt von bis zu 35 Ein-Familien-Häusern mit je 375 Kubikmeter Luftinhalt [150 m² Wohnfläche x 2,5 m Deckenhöhe], die sanft von oben nach unten strömt. Das ist der Grund dafür, dass der gesamte Luftinhalt im Bus mehrmals in der Stunde, tatsächlich sogar alle ein bis fünf Minuten komplett ausgetauscht wird. Im reinen Lüftungsbetrieb sogar bis zu 75 Mal in der Stunde. Nach unseren Recherchen liegt diese Luftaustauschrate zum Beispiel beim Flugzeug bei zwei bis drei Minuten, also nicht ganz so hoch wie beim Bus. Dazu kommt noch, dass das Verhältnis von Fahrgast zu Gefäßgröße im Bus günstiger ist als im Flugzeug. In einem voll besetzten Tourismo sind das rund 1,2 Kubikmeter Luftvolumen pro Fahrgast; das ist grob geschätzt circa 20 Prozent mehr als in einem Kurzstreckenflugzeug. Zu 100 Prozent risikolos ist man sicher nie im Verkehr, aber mit Sicherheit ist das Klima im Reisebus besser als man denkt, und der Aufenthalt birgt nach allem, was wir wissen, kein größeres Risiko als in anderen Verkehrsmitteln wie Bahn oder Flugzeug.

Prokopp: Dabei unterstützen wir die Aussage von anderen Herstellern, dass es durchaus sinnvoll ist, alle Luftdüsen in den Servicesets zu schließen, schon um Luftverwirbelungen zu verhindern. Die Belüftung ist so auch konzeptbedingt viel besser, der Luftaustausch wird in keiner Weise negativ beeinflusst.

Also haben einzelne kritische Aussagen von verschiedenen Virologen nur begrenzten Wert?

Bastert: Aktuell lesen und hören wir vielfältige und teilweise auch dynamische Virologen-Aussagen. Wir können sicher hierbei keine abschließenden virologischen Bewertungen vornehmen, aber wir können aus technischer Sicht sagen, dass die eine Lösung sicherer ist als die andere

Tonger: Um einen einen deutschen Omnibusunternehmer zu zitieren: "Wo steigt der Fahrgast derzeit lieber ein? In einen Bus, der fünf Grad wärmer ist, oder in einen mit maximalem Frischluftanteil?" Die Antwort fällt uns allen recht leicht.

Sind denn dichtere Filter wie im Flieger eine Lösung des Themas?

Tonger: Auch wenn die Funktionsweise der Übertragung der Viren durch Aerosole nach unserem Kenntnisstand noch nicht voll erforscht ist, sind auch hier die Filter der HLK-Anlagen seit einiger Zeit in der Diskussion. Wir benutzen im Busbereich Filter der Kategorie G3, die Partikel mit mindestens 0,5 Mikrometern Größe herausfiltern. Staubkörner oder Pollen, an die sich das Virus heften kann, sind häufig rund fünf Mikrometer groß, so dass also schon ein großer Teil dieser Partikel gefiltert wird. Aber Aerosole, die vom Menschen ausgeatmet werden, haben eine Größe von rund 0,1 Mikrometer und werden von G3- oder G4-Filtern, wie sie Bus und Bahn einsetzen, nicht gefiltert. Das können die sogenannten Hepa-Filter im Flugzeug besser, die ursprünglich eingesetzt wurden, um die Ölnebel aus den Triebwerken herauszufiltern, die ja die Kabinenluft ansaugen. Nach allem, was wir heute wissen und von den Lieferanten erfahren haben, ist ein Verbau im Bus allerdings nicht möglich oder technisch zu aufwändig bei den hohen Luftaustauschraten im Bus. Zumindest für aktuelle Fahrzeuge ist das keine Lösung – was in Zukunft möglich sein wird, bleibt aber abzuwarten. Nach unseren Erkenntnissen tragen Aktivkohlefilter ebenfalls nichts wesentliches bei zur Virenvernichtung, die müsste man direkt am Filter behandeln beziehungsweise bestrahlen. Sie sind daher aus unserer Sicht keine Lösung.

Bastert: Wir wollen nicht das Flugzeug gegen den Bus ausspielen, es sind zwei unterschiedliche Verkehrsmittel mit anderen Klimasystemen mit jeweils angepassten Lösungen. Wir halten diese durchaus für vergleichbar, aber sicher auch an der einen oder anderen Stelle für noch verbesserungsfähig.

Und wie geht es weiter in der Entwicklung, Herr Prokopp?

Prokopp: Wir haben uns seit Wochen in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter der Leitung von Gustav Tuschen, Leiter Entwicklung Daimler Buses, aufgestellt und arbeiten intensiv an möglichen Lösungen, um das Thema gezielt anzupacken. Für die Stadtbusse haben wir zum Beispiel Nachrüstlösungen für Fahrerkabinen und Spuckschutzwände in ausgelieferten Fahrzeugen verfügbar gemacht, hier gibt es einen Riesenbedarf. Für den Reisebus macht eine volle Kabine wie im Stadtbus wiederum keinen Sinn, da werden wir in Kürze Lösungen auch zur Nachrüstung anbieten wie zum Beispiel eine leicht wegschwenkbare Plexiglasscheibe. In Sachen Klimaanlage wollen wir das Maximum an Frischluftanteil rausholen, das geht vor allem durch eine neue Software. Dabei ist unsere Strategie, den Zeitpunkt, an dem die Frischluftklappe bei höheren Temperaturen geschlossen wird, nach hinten zu verlegen. Dadurch können wir den Frischluftanteil im Fahrzeug um bis zu 100 Prozent erhöhen.

Nachteil ist dann jedoch eine leicht höhere oder niedrigere Temperatur gegenüber der reinen "Komforttemperatur", die wir heute fest programmiert haben. Eine solche Umprogrammierung setzt also gewisse Komforteinbußen voraus. Es könnte Fahrgäste geben, denen es womöglich am Sitzplatz zieht. Daher würden unsere Klimaexperten aus bisherigen Komfortgründen am liebsten nichts an den hocheffizienten und komfortablen Anlagen ändern. Aber für uns ist es wichtig, wir müssen uns spätestens seit Covid-19 auch um dieses sensible Thema kümmern und dranbleiben.

Warum das? Sind die Auswirkungen so massiv?

Prokopp: Eine Folge dieser Umprogrammierung, die wir derzeit ebenfalls in internen Versuchen abprüfen, ist die Erhöhung der Gebläse-Drehzahl, die die Lautstärke etwas negativ beeinflusst. Damit wollen wir in einen Kundenfeldversuch gehen und Kundenfahrzeuge umprogrammieren, wobei die Lösung auf jedes einzelne Modell angepasst werden muss.

Beim Thema Filter arbeiten alle Hersteller mit den gleichen, integrierten Filtern. Ein Hepa-Filter würde sowohl die Gebläse-Leistung als auch die Filterfläche überfordern. Wir sind in Kooperation mit einem Filterhersteller, eine virentötende Beschichtung der Filter zu testen, ohne aber schon das finale Ergebnis zu kennen. Es geht hier um eine chemische Beschichtung, die aber eventuell deutlich andere Filterwechselintervalle mit sich bringen könnte. Eine weitere Innovatio,n die wir uns ganz genau anschauen, ist eine UV-Bestrahlung innerhalb der Toilette, die Bakterien und Viren abtöten kann. Auch in Bezug auf Stoffe und Materialien schauen wir uns Möglichkeiten an.

Eine weitere Lösung, an der wir arbeiten, ist eine Vor- oder Nachlüftung des Busses im Stand, um vor oder nach der Fahrt den Innenraum ganz gezielt und maximal zu lüften. Diese kann der Fahrer ganz einfach über einen separaten Taster starten.

Das klingt alles nach High-Tech. Gibt es auch einfache Mittel, die der Fahrer beherzigen kann?

Prokopp: Auch ganz einfache Maßnahmen wie die optimale Reinigung des Busses haben wir nochmal stärker ins Auge gefasst und zusammengefasst in einer Broschüre. Desinfektionsspender sind dabei schon die einfacheren Maßnahmen, allerdings müssen diese Gehäuse auch die neuen Brandschutzanforderungen der ECE R 118.03 erfüllen, das ist klar. Dies stellt die Materialien an Bord natürlich vor neue Herausforderungen. Entscheidend in dieser schwierigen Situation ist, dass wir unseren Kunden pragmatische und schnelle Maßnahmen anbieten, um das Reisebusgeschäft top zu unterstützen.

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