Coronakrise Gefahr an der Rampe

Foto: Jan Bergrath

Die Spedition Kellershohn aus Lindlar nimmt zwei ihrer Fahrer vorsorglich in Quarantäne, nachdem diese bei Westfleisch abgeladen hatten.

Der Fall der dort mit Covid-19 infizierten osteuropäischen Schlachthelfer zeigt, wie wichtig der Eigenschutz in Zeiten der Coronakrise immer noch ist. Im Einzelfall kann eine Infektion für betroffene Lkw-Fahrer tatsächlich als Berufskrankheit gewertet werden.

Die Spedition Kellershohn aus Lindlar bei Köln hat zehn eigene Lkw und vierzehn Fahrer. Für Geschäftsführer Willi Kellershohn hat die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter einen hohen Stellenwert. Früh hat er sich für betriebliche Konzepte der aktiven Gesundheitsförderung stark gemacht, die Kinder der lokalen Schulen über die Gefahr des toten Winkels informiert und lange vor einer staatlichen Förderung seine Lkw mit modernen Abbiegeassistenten von Mercedes-Benz ausgestattet.

Seine aktuelle Idee, ältere Fahrer durch ein attraktives Arbeitszeitmodell, über das ich in diesem Frühjahr eigentlich berichten wollte, körperlich zu entlasten, musste er durch die Coronakrise erstmal verschieben. Denn wie so viele deutsche Unternehmer leidet auch Kellershohn darunter, dass die Auslastung der eigenen Lkw stark zurückgegangen ist und es auch in der nun begonnenen Phase der Lockerungen noch kein Anzeichen dafür gibt, dass die Wirtschaft wieder spürbar anzieht.

Skandal um infizierte Schlachthelfer bei Westfleisch

Kellershohn hat viele langjährige Kunden aus der Region des Bergischen Landes. Einer produziert Folien zur Verpackung unter anderem für die Betriebe von Westfleisch. Ende April und Anfang Mai haben zwei seiner Fahrer Folien auch in die Schlachthöfe von Westfleisch in Coesfeld und Oer-Erkenschwick geliefert, natürlich seitens der Fahrer unter Einhaltung der Sicherheitstipps, wie sie die BG Verkehr empfohlen hat. Erst danach stellte sich heraus, dass auch Westfleisch, wie zuvor Müller in Birkenfeld bei Pforzheim, in einem massiven Skandal verwickelt ist.

Nachdem nun am 18. Mai weitere 92 osteuropäische Schlachthelfer in einem Zerlegbetrieb von Westfleisch in Dissen positiv auf das Coronavirus getestet wurden, ist nun die Zahl der insgesamt infizierten Schlachthelfer, die vornehmlich aus Rumänien kommen, auf rund 1.000 betroffene Personen gestiegen. Die Unternehmen aus der deutschen Fleischverarbeitung selbst schieben dabei die Schuld für diese unhaltbaren Zustände wie etwa die Massenunterkünfte, die Insidern schon lange bekannt sind, auf ihre Subunternehmen. Teile der Betriebe sind nun geschlossen. Ohne die Coronakrise wäre der Mantel des behördlichen Schweigens über diesen Skandal wohl weiter nicht gelüftet worden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Vergebliche Anfrage des Unternehmers

Willi Kellershohn hat am 8. Mai von den Zuständen bei Westfleisch erfahren und eine Mail an die Zentrale des Unternehmens geschickt. Sie lautete: „Nachdem wir nun den Nachrichten entnehmen, dass bei Ihnen viele Corona-Infektionen aufgetreten sind, habe ich aus Schutzgründen meinen Berufskraftfahrer in Quarantäne geschickt. Können Sie anhand der Unterschrift Ihren Mitarbeiter benennen und uns informieren, ob er zu den Infizierten gehört? Wie lange sind die Infektionen bekannt? Wir sind der Hausspediteur Ihres Lieferanten. Wie werden bei Ihnen die Infektions-Möglichkeiten meiner Mitarbeiter zukünftig ausgeschlossen? Können wir sie weiter beliefern und wer kommt für den Ausfall meines Mitarbeiter auf?“

Foto: Jan Bergrath
Spedition Kellershohn

Doch erst, nachdem ich Kellershohns Anfrage mit dessen Erlaubnis an die Pressestelle von Westfleisch weitergeleitet hatte, bekamen wir beide nachfolgende Antwort: „Wir haben mittlerweile alle möglichen Mitarbeiter-Kontakte an den von Ihnen genannten Anlieferungstagen identifiziert. Alle unsere Mitarbeiter sind mittlerweile auf eine Infektion getestet worden. Bisher liegen uns jedoch seitens der Gesundheitsbehörden noch keine Rückmeldungen zu diesen Personen vor. Wir erwarten die Ergebnisse morgen im Laufe des Vormittags. Sobald uns die Ergebnisse vorliegen, werden wir Herrn Kellershohn darüber informieren, ob sein Angestellter Kontakt mit einer infizierten Person hatte.“ Dieser Kontakt ist mittlerweile ausgeschlossen, aber der Fall Westfleich wirft nun ganz grundsätzlich eine versicherungsrechtliche und eine arbeitsrechtliche Frage auf.

Stellungnahme der BG-Verkehr

Daher bin ich zunächst einer besorgten Zuschauerfrage bei Fernfahrer live von Norbert Hengel nachgegangen, ob es für einen Lkw-Fahrer als Berufskrankheit gilt, wenn er sich in seiner Arbeitszeit mit COVID-19 infiziert? Dazu hat die Pressestelle der BG-Verkehr in Hamburg schnell Stellung bezogen: „COVID-19-Erkrankungen können die Voraussetzungen der BK 3101 (Infektionskrankheiten) erfüllen. COVID-19-Erkrankungen fallen grundsätzlich nur dann unter die Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheitsverordnung (BKV), wenn sie bei Versicherten auftreten, die infolge der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit in bestimmten Bereichen einer gegenüber der allgemeinen Bevölkerung wesentlich erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt waren. Dies trifft hauptsächlich auf das Personal in stationären oder ambulanten medizinischen Einrichtungen der Human- und Zahnmedizin, in wohlfahrtspflegerischen Einrichtungen und Laboratorien zu.“

Weiter heißt es: „Berufskraftfahrer gehören normalerweise nicht zum Kreis von Menschen, die einer wesentlich erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sind. Allerdings geht es immer um Einzelfallentscheidungen – und im Einzelfall kann natürlich auch ein Fahrer oder eine Fahrerin einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sein. Eine Anzeige auf eine Berufskrankheit kann dann auf folgender Grundlage erfolgen: a) eine positive Testung, b) entsprechende Krankheitsanzeichen sowie c) die Vermutung eines Infektionsweges über die berufliche Tätigkeit.“ Im Falle der Spedition Kellershohn haben entsprechende Tests der beiden Fahrer zum Glück ergeben, dass eine Infektion an der Rampe bei Westfleisch nicht stattgefunden hat.

Höheres Risiko für ältere Lkw-Fahrer

Das Risiko einer schweren Erkrankung mit dem Virus COVID-19 steigt nach Angaben des Robert-Koch-instituts ab 50 bis 60 Jahren stetig mit dem Alter an. Auch verschiedene Grunderkrankungen wie unter anderem Herzkreislauferkrankungen, Erkrankungen des Atmungssystems und Rauchen scheinen das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zu erhöhen. Mit anderen Worten: in der überalterten Berufsgruppe der Lkw-Fahrer gibt es ein besonders hohes Risiko, sich mit Corona zu infizieren. Immerhin: Seit Ausbruch der Coronakrise scheinen sich die Schutzmaßnahmen wie gute Hygiene, Mindestabstand und Maskenpflicht in der Logistik bewährt zu haben, anders als etwa in Frankreich sind bislang keine mutmaßlichen Todesfälle unter deutschen Lkw-Fahrern bekannt. Auch dürfen in vielen Betrieben Fahrer den Lkw gar nicht mehr selber be- oder entladen.

Die arbeitsrechtliche Frage

Aber muss ein Fahrer überhaupt noch zu einem infizierten Betrieb? „Aus Sicht einer Spedition ist diese Situation grundsätzlich schwierig“, so der Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer auf Nachfrage. „Ich denke, dass eine Belieferung derzeit nur Sinn macht, wenn diese kontaktlos geschehen kann, sprich, eine eigene Be- und Entladung in ein separates Kühlhaus oder Lager ohne Kontakt zu den Mitarbeitern dort. Dazu müsste auch der Lieferant mit einbezogen werden. Doch leider wird es da sicher Firmen geben, denen das egal ist und die Fahrer trotzdem schicken.“

Nur war im Fall Westfleisch weder dem Fahrer noch dem Unternehmer die Gefahr bereits bekannt. Allerdings betont Binhammer: „Bei einer konkreten und bekannten Gefährdung muss der Fahrer nicht dorthin. Er wird aber damit rechnen müssen, dass es arbeitsrechtliche Konsequenzen haben kann. Ob diese dann vor Gericht Bestand haben, ist eine ganz andere Frage.“ Nur eins steht fest: „Der Unternehmer, der seine Fahrer freiwillig aus Fürsorge in Quarantäne schickt, bleibt auf den Kosten für den Ausfall seiner Fahrer erstmal hängen.“

Für Willi Kellershohn standen seine beiden Fahrer nun insgesamt drei Tage lang nicht zur Verfügung. Ironie der Geschichte: Da der Betrieb von Westfleisch nun tatsächlich in der Zwischenzeit vom Gesundheitsamt geschlossen wurde, könnte er nachträglich doch noch seine Kosten geltend machen. Worauf er allerdings auf Grund des hohen Aufwands lieber verzichtet hat. „Ich bin am Ende froh, dass es für uns noch einmal gut ausgegangen ist. Aber die Gefahr an der Rampe bleibt.“

Terminhinweis

Am Donnerstag, dem 21. Mai, ab 17 Uhr diskutieren Willi Kellershohn, seine beiden Fahrer und der Fachanwalt für Arbeitsrecht bei FERNFAHRER live zusammen mit dem Lkw-Fahrer Heinz Süpple, der im Risikogebiet um Heinsberg wohnt, wo nun DPD auf Grund von 80 infizieren Mitarbeitern ein komplettes Depot schließen musste, über die „alte und neue Gefahr an der Rampe“.

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