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Christoph Schuchert zum Mindestlohn "Der nächste Hammer"

Schuchert Foto: Matthias Rathmann

Er würde lieber höhere Löhne zahlen, statt das Geld an den Rampen zu verbrennen. Die unproduktiven Wartezeiten erschwerten es den Unternehmen, 8,50 Euro pro Stunde zu bezahlen, sagt Christoph Schuchert. Er ist Präsident des Landesverbands Thüringen des Verkehrsgewerbes.

Der Landesverband Thüringen des Verkehrsgewerbes (LTV) schlägt Alarm: Viele Unternehmen seien wegen des Preis- und Wettbewerbsdrucks bereits vom Markt verschwunden. Nun komme mit dem gesetzlichen Mindestlohn die nächste Keule. LTV-Präsident Christoph Schuchert warnt im Gespräch mit trans aktuell-Redakteur Matthias Rathmann vor den Folgen. Im Hauptamt ist er Geschäftsführer der Spedition Gebrüder Rost in Vacha.

trans aktuell: Herr Schuchert, nach dem Willen der Großen Koalition soll der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Januar 2015 kommen. Ihr Verband hat mehrfach davor gewarnt. Warum lehnen Sie eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro ab?

Schuchert: Weil der Mindestlohn die Betriebe kaputt macht. Unsere Unternehmen haben mit den Belastungen aus der Vergangenheit schon genug zu kämpfen. Viele sind infolge der Tarifaufhebung, der Liberalisierung oder der Mauteinführung beziehungsweise -erhöhungen vom Markt verschwunden. Nun packt die Politik dessen ungeachtet den nächsten Hammer aus. Das zeugt von wenig Sensibilität. Sie sollte der Tarifautonomie vertrauen und sich bei der Lohngestaltung raushalten.

Warum ist eine doch relativ moderate Bezahlung in Thüringen nicht darstellbar?

Weil unser Geschäft es nicht abwirft. Wir würden gerne mehr bezahlen und tun das ja bereits in den Bereichen, wo wir es uns leisten können − nämlich in der Logistiksparte. Doch wer eigene Fahrzeuge einsetzt, hat nicht die entsprechenden Renditen − zumindest nicht in Thüringen. Auch Möbelspeditionen tun sich schwer, solche Löhne zum Beispiel für Hilfsarbeiter zu bezahlen.

Was wären in Thüringen die Konsequenzen, wenn jeder Beschäftigte 8,50 Euro pro Stunde bekommen würde?

Es wäre zu befürchten, dass am Ende nur noch Selbstfahrer oder Aushilfsfahrer die Transporte erledigen. Oder aber die osteuropäische Konkurrenz, die sich freut, weil das unsere Wettbewerbsposition noch weiter schwächen wird. Unsere Unternehmen können die 8,50 Euro weder bezahlen noch die möglichen Mehrkosten an die Auftraggeber weiterreichen. Diese haben sich doch längst daran gewöhnt, dass wir eine Vielzahl an Dingen kostenlos machen.

Sie meinen den Palettentausch?

Unter anderem. Ich spiele auf die Wartezeiten an der Rampe an, die beim Handel oder großen Speditionen mitunter zwei bis fünf Stunden verschlingen, für die wir aber keinen Ausgleich erhalten. Ich denke auch an Be- und Entladetätigkeiten, wenn unsere Fahrer 25 Tonnen beim Empfänger entladen. Und natürlich geht es auch um den Palettentausch. Die Fahrer bekommen nicht selten Ladungsträger niederster Qualität. Wer etwas dagegen sagt, erhält Hausverbot − und der betreffende Speditionsleiter einen erzürnten Anruf des Warenempfängers. Auch lagern wir die Paletten ein, führen Palettenkonten und beschäftigen dafür eigene Mitarbeiter. Das alles zahlt uns niemand. Und das alles nimmt uns die Luft für Gehaltserhöhungen.

Die Branche muss sich aber vorwerfen lassen, dass sie es versäumt hat, diese Services von Anfang an zu bepreisen.

Das mag sein, nun kämpfen wir aber mit den Folgen. Nur um eine Vorstellung von dem zu bekommen, was uns die unproduktiven und ärgerlichen Wartezeiten an der Rampe kosten: Wir gehen im Komplettladungsbereich von 200 bis 250 Stunden Stehzeit im Jahr aus, die unnötig sind. Wir haben nur die Wartezeiten in diese Kalkulation einbezogen, die über zwei Stunden hinausgehen. Würde man nun noch unsere Stundensätze zugrunde legen, hätten wir einen Verlust von 11.500 Euro pro Fahrzeug im Jahr.

Sie wollen darauf hinaus, dass Ihnen damit Geld durch die Lappen geht, mit dem Sie sonst Ihre Mitarbeiter besser bezahlen könnten?

Ganz genau. Rund 5.200 Euro wären pro Betrieb im Schnitt erforderlich, um unseren Mitarbeitern 1,50 Euro mehr pro Stunde zu bezahlen. Würden wir das Geld für die Standzeiten sehen, wäre es uns ein Leichtes, unsere Mitarbeiter besser zu entlohnen.

Aber in Ihrem eigenen Unternehmen werden Sie bei der Bezahlung doch längst über den geforderten 8,50 Euro liegen. Sonst würden Sie unweit der hessischen Grenze und den großen Hubs an der A 7 doch selbst keine Fahrer mehr finden, oder?

Das ist richtig. Wenn wir nicht ordentlich bezahlen, sind die Fahrer weg. Doch mein Unternehmen mit seinen knapp 80 eigenen Einheiten sowie Aktivitäten in den Bereichen Lager- und Kontraktlogistik ist für Thüringen und das dortige Gewerbe nicht ganz repräsentativ.

Wie sieht das typische Mitgliedsunternehmen in Ihrem Verband denn aus?

Das Gros der Transporteure setzt fünf bis zehn Fahrzeuge ein. Um die Verwaltung kümmert sich der Chef mit seiner Ehefrau, und wenn es brennt, setzt sich der Chef selbst ans Steuer. Da gelten andere Verhältnisse. Und diese Unternehmen müssen dann noch mit den polnischen Fuhrbetrieben konkurrieren, die ihren Fahrern vier Euro pro Stunde bezahlen. Da geht vielen einfach die Luft aus. Wenn auf dem Haus dann noch eine Hypothek lastet, bleibt den Firmen gar nichts anderes übrig, als bis zuletzt zu fahren. Auch, wenn sie eigentlich den Betrieb einstellen müssten.

Können Sie das mit Zahlen belegen?

1991 hatten wir in unserem Verband noch rund 850 Mitglieder, davon mehr als 90 Prozent aus dem Bereich Güterkraftverkehr. Heute kommen bei insgesamt 550 Mitgliedern gerade noch etwa 200 aus dieser Sparte. Der Organisationsgrad in Thüringen liegt zwar nur bei 30 Prozent. Ich denke aber trotzdem, dass diese Zahlen eine eindeutige Entwicklung aufzeigen − keine sehr erfreuliche.

ZUR PERSON

Christoph Schuchert war ab 1995 Vizepräsident und ist seit 1998 Präsident des Landesverbandes Thüringen des Verkehrsgewerbes (LTV). Im Hauptberuf lenkt er seit 1974 die Geschicke der Spedition Gebrüder Rost in Vacha nahe der hessischen Grenze. Das von seinen Schwiegereltern gegründete Unternehmen beschäftigt heute rund 200 Mitarbeiter und setzt etwa 80 eigene Fahrzeuge ein. Es bietet Teil- und Komplettladungen, Stückgutverkehre über die Kooperation Star sowie Umzüge an. Hinzu kommen Aktivitäten in den Bereichen Lager- und Kontraktlogistik. Schuchert ist verheiratet und hat einen Sohn sowie zwei Töchter. Die Töchter und einer der Schwiegersöhne arbeiten ebenfalls im Unternehmen mit. Neben seiner ehrenamtlichen Tätigkeit im LTV engagiert sich der 64-Jährige unter anderem im Verkehrsausschuss des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) sowie bei der IHK-Vollversammlung.

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