Der Chef von DHL-Tochter Saloodo! Im Gespräch mit Amadou Diallo

Foto: Thomas Küppers

Start-up-Mentalität prägt Amadou Diallo schon lange. 1996 fing er bei der Deutschen Post im Controlling an, baute in den 2000ern von Singapur aus das DHL-Geschäft in Südostasien auf und war zuletzt CEO von DHL Freight. Jetzt soll er als Chef der neu gegründeten DHL-Tochter Saloodo! die Digitalisierung vorantreiben. Wie sich das Frachtgeschäft dadurch verändern wird, haben wir ihn gefragt.

Herr Diallo, beim Frachtgeschäft handelt es sich um einen großen Markt mit sehr vielen Anbietern. Hat das Start-up-Denken dort schon Tradition?

Im Januar dieses Jahres sind wir mit unserem Online-Fracht-Marktplatz Saloodo! gestartet. Bei Saloodo! bringen wir Versender gemäß ihrer Bedürfnisse mit von uns zertifizierten Transportunternehmen zusammen. Gebündelt auf der digitalen Plattform erhalten Versender und Transportunternehmen gleichermaßen sicheren und komfortablen Zugang zu einem traditionell hochgradig fragmentierten Markt. Die Entwicklung der Plattform erfolgte dabei außerhalb der bestehenden Unternehmensstrukturen mit einer kleinen, agilen Einheit – wie man sie auch in Start-ups antrifft. In gewisser Hinsicht steht Saloodo! dabei in der Tradition der zahlreichen "Start-ups", aus denen wir entstanden sind. Nehmen wir als Erstes unsere Frachtsparte von DHL. Sie ist aus der Fusion mit Danzas unter dem Dach von Deutsche Post DHL Group entstanden.

Danzas wurde vor 200 Jahren – im Jahr 1815 – von Louis Danzas gegründet, und ich würde durchaus sagen, dass das damals schon ein Start-up im heutigen Sinne war. Seitdem kamen vor allem in Deutschland weitere Firmen hinzu, die die Speditionswelt auch erst einmal als Start-up erfunden und geprägt haben. Dadurch sind aber viele Prozesse entstanden, die sich über sehr lange Zeiträume etabliert haben – schon zu Zeiten, als man nur mit Kutschen und Schiffen unterwegs war.

Die Welt hat sich jedoch permanent verändert. So gab es zum Beispiel im Jahr 1992 die Deregulierung des Transportgeschäfts. Diese beiden Entwicklungslinien treffen jetzt aufeinander. Wenn Sie heute ein mittelständisches Unternehmen sind und Ihre Waren an einen Kunden irgendwo in der Welt verschiffen wollen, dann ist es unmöglich, alle Spediteure herauszufinden, die das anbieten könnten. Denn wir reden hier alleine in Europa von mehr als 350.000 Transportunternehmen – bei mehr als 20 Millionen potenziellen Versendern. Das Frachtgeschäft ist also tatsächlich ein sehr großer Markt, auf dem Anbieter und Kunden dann häufig aber doch nur auf regionaler Ebene zusammenkommen. Und hier schließt sich der Kreis, wir sind bei der Gründungsidee von Saloodo! angekommen.

Welche Auswirkungen hat das auf das Marktgeschehen?

Die mangelnde Überschaubarkeit des Marktes gilt nicht nur für die Auswahl der Anbieter, sondern auch für die Frage, was ein gerechter Preis für einen Transport – zum Beispiel vom Süden Budapests nach Meckenheim – sein kann. Natürlich wird der Versender in Budapest eine grobe Idee haben. Aber er hat keinen Hinweis, ob diese Summe wirklich das ist, was er fairerweise bezahlen sollte, denn diese Transparenz gibt es bisher nicht. Für einen mittelständischen Unternehmer ist es also auch betriebswirtschaftlich schwierig, den richtigen Dienstleister für seinen jeweiligen Transportbedarf herauszufinden. Dieses Problem war schon immer da.

Und mit der Digitalisierung wird sich das verändern?

Die Menschen sind ja inzwischen mit Notebooks und Smartphones ausgestattet und ständig im Internet unterwegs. Es gibt heute also eine Opportunität, über Dinge Bescheid zu wissen, über die man früher nichts wissen oder nur mit sehr hohem Aufwand etwas in Erfahrung bringen konnte. Das setzt natürlich voraus, dass im Internet flexible Anwendungen existieren, die den Menschen einen Zugriff auf dieses Wissen verschaffen. Diese Systeme müssen ihnen zudem Mehrwert bieten, um sie zu motivieren, mitzumachen und Teil dieses Marktes zu werden.

Das gilt genauso für die Transportbranche. Zum Beispiel werden heute immer noch 46 Prozent der Transporte in Europa mit leerem Laderaum gefahren. Gleichzeitig diskutieren wir über Klimawandel und CO2-Emissionen. Es liegt geradezu auf der Hand, den vorhandenen Laderaum besser auszunutzen. Aber die tatsächlichen Kapa­zitäten kennt keiner. Wir wissen es zwar statistisch, doch wenn es gezielt um eine Fahrt von Köln nach Valen­cia geht, dann wird es schwierig. Genau hier können digitale Plattformen helfen, indem die Anbieter ihre freien Kapazitäten dort eintragen und Nachfrager nach diesen suchen können. Dazu müssen sie in unserem Beispiel nicht einmal spanisch reden können, das geht einfach über die Plattform.

Offene Plattformen – ist das der Ansatz, den Sie auch mit Ihrem Start-up Saloodo! verfolgen?

Genau das. Wir haben uns überlegt, ob DHL Freight als Einzelkämpfer versuchen soll, alles abzudecken, oder ob wir eine offene Plattform schaffen, auf der die Nutzer alle relevanten Informationen finden – so wie Wikipedia das im Knowledge-Bereich geschafft hat oder wie Amazon das im Handel versucht. Genau so etwas brauchen wir auch für den Transportbereich: eine offene Plattform, aus der alle Teilnehmer einen Nutzen ziehen. Damit schaffen wir mehr Effizienz und erhöhen die Transparenz.

Wie verändern solche Plattformen das Frachtgeschäft?

Bisher war es so: Jemand, der etwas verschicken will, kennt zwei oder drei Spediteure, sucht in den Gelben Seiten oder auf irgendwelchen digitalen Marktübersichten. Dabei findet er Adressen von Anbietern, die dort tätig sein sollen, und stellt Anfragen, ohne zu wissen, ob diese Anbieter das auch wirklich leisten können. Er macht sich aber diese Mühen und geht überdies noch ein Risiko ein, denn er hat ja keine andere Wahl. Hinzu kommt die ganze Dokumentation in Papierform, vom Transportauftrag bis zum Nachweis der Zustellung. Irgendwann erhält er eine Rechnung, die dann auch noch richtig gebucht werden muss. Das alles ist potenziell fehleranfällig und teuer.

Unsere digitale Plattform Saloodo! vermeidet das, indem sie gezielt Versender und Spediteur zusammenbringt und dazu noch einen marktgerechten Preis ermittelt. Dabei entfallen alle überflüssigen, fehleranfälligen Zwischenschritte entlang der gesamten Prozesskette. Der Versender, das Transportunternehmen, der Fahrer und der Empfänger wissen jederzeit, um welche Lieferung es sich genau handelt, in welchem Zustand sie ist, wo sie sich gerade befindet und wann sie voraussichtlich ankommen wird. Dazu gibt es eine vollständige digitale Dokumentation, zum Beispiel wer am Ende die Sendung entgegengenommen hat, bis hin zur Abrechnung. Wir digitalisieren und vereinfachen also alle Prozesse, die mit der physischen Zustellung verbunden sind. Ein großer Mehrwert ergibt sich auch aus der Möglichkeit, dass jeder Teilnehmer den anderen bewerten kann. Das macht die erbrachten Leistungen transparenter und vergleichbarer.

Wo steht die Transportbranche denn derzeit in Sachen Digitalisierung?

In vielen Industrieländern stehen wir erst am Anfang, vor allem wegen der zu Beginn erwähnten, über einen langen Zeitraum etablierten Prozesse im Frachtgeschäft. In Märkten, in denen sich diese Prozesse nicht über Jahrzehnte hinweg in dieser Form entwickelt hatten, sind wir schon viel weiter. Wenn Sie etwa in China Waren bestellen, werden diese meist schon am gleichen Tag zugestellt. Denn alles wurde von Anfang an auf einen rein digitalen Ansatz, auf das "sofort" hin angelegt und der eigentliche Versandprozess dann erst drangehängt.

Wie wollen Sie mit Saloodo! das Geschäft skalieren?

Deutsche Post DHL Group hat sich zum Ziel gemacht, die führende Logistikfirma der Welt zu werden. Einen Anteil hieran kann die Digitalisierung von Logistikketten haben. Die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, unseren Kunden durch schnellere und effizientere Prozesse einen echten Mehrwert zu bieten, der den entscheidenden Wettbewerbsvorteil für sie bedeutet. Das macht uns zum Anbieter erster Wahl.

Wir könnten jetzt zwar auf neue Akteure warten, die sich möglicherweise irgendwann mit neuen Technologien beschäftigen, und diese Systeme dann übernehmen. Da wir als DHL jedoch schon lange weltweit aktiv sind, kennen wir die spezifischen Gege­ben­heiten in den einzelnen Ländern sehr genau, und natürlich kennen wir uns ebenso mit der Logistik aus. Dieses gebündelte Know-how haben wir bereits in unserem Unternehmen. Deswegen ergibt es mehr Sinn, die notwendigen Technologien gleich selbst zu entwickeln, die dann auf dieses Know-how zurückgreifen. Das wird uns entscheidend dabei ­helfen, neue Geschäftsfelder zügig auszu­weiten.

Inwiefern unterscheidet sich der Ansatz von Saloodo! von denen der Nutzfahrzeughersteller wie FleetBoard oder RIO?

Ich denke eher, dass sich diese Ansätze ergänzen. Mit ihren Plattformen wollen die Fahrzeughersteller das Leben der Fahrer und Fuhrparkunternehmer vereinfachen. Die Nutzung der Fahrzeuge erfolgt wiederum mehrheitlich durch Logistikunternehmen wie uns, und wir stellen in der Logistikkette die Verbindung zum Kunden dar. Wir wollen mit unserem Ansatz Versender mit für sie passenden Transportunternehmen zusammenbringen und dadurch für beide Seiten das Leben leichter machen. In Summe also eine Optimierung entlang der ganzen Logistikkette.

Dabei hilft unsere sehr breite, globale Präsenz. In China sind wir zum Beispiel in rund 500 Städten vertreten, in Indien betreiben wir mehr als 22.000 Depots. Unser Anspruch ist, eine Plattform für die Welt zu schaffen, mit der ein Versender in Mosambik eines Tages ganz leicht einen Dienstleister für eine Sendung nach Guatemala oder Papua-Neuguinea findet. Die Digitalisierung hilft uns dabei, wenn wir unsere Technologien nahtlos mit den Instrumenten verbinden, die unsere Kunden für ihre Kommunikation benutzen. Hier unterscheidet sich unser Ansatz von dem, den die Nutzfahrzeughersteller verfolgen.

Sind denn Schnittstellen in diese Plattformen denkbar?

Grundsätzlich ja, denn mithilfe von Schnittstellen könnten die Fahrer unsere Plattform nutzen, ohne dass sie zusätzliche Hardware in ihrem Lkw benötigen. Das würde die Kommunikation zwischen Versender, Spediteur und Fahrer deutlich vereinfachen und wäre nicht zuletzt eine gute Ergänzung, weil wir auch fahrerrelevante Dienste entwickeln. So ist es zum Beispiel ab der nächsten Version möglich, freie Laderaumkapazitäten über unsere Plattform anzubieten. Außerdem wollen wir den Fahrer von administrativen Aufgaben entlasten, ­etwa indem wir den Liefernachweis digital abbilden.

Ihr Angebot umfasst bislang nur Frachtaufträge, die von Deutschland aus starten oder die nach Deutschland gehen. Wie sehen ­Ihre Pläne aus?

Unsere Kunden äußern schon jetzt den Wunsch, das System auch in anderen Ländern nutzen zu können. Spätestens bis September 2017 wollen wir die Plattform auf Europa ausweiten, danach dann auf weitere Märkte in Asien und Amerika. Außerdem wollen wir weitere Produkte in der Speditionswelt abbilden. Welche genau, kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht sagen. Wichtig ist jedenfalls: Wir wollen kein System exklusiv für DHL-Kunden schaffen, sondern eines, mit dem jeder einzelne Spediteur arbeiten kann. Damit werden bisherige Konkurrenten zu Partnern, und nur so können wir von Europa aus im weltweiten Frachtgeschäft Standards setzen.

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