BusBlog zu ADL-Bussen in Berlin We all drive in a yellow Doubledeck …

Foto: Thorsten Wagner
Meinung

Die BVG läutet mit neuen ADL-Doppeldeckern aus Schottland eine Zeitenwende ein und beendet eine lange Historie von Bussen aus heimischer Fertigung. Ein anglisierter nostalgischer Blick zurück.

Nicht viele Lokalpolitiker schaffen es, sich mit einem Bus einen Namen zu machen. Boris Johnson schaffte es gleich zweimal – und vielleicht nimmt er auch wieder den roten Starliner Brexit-Bus aus nichtbritischer Fertigung, um dereinst in die Downing Street No. 10 zu fahren, um Kollegin May hinauszukomplimentieren (daran werden ihn aber hoffentlich nicht nur die strengen Emissionsrichtlinien hindern). Zum ersten Mal machte Johnson einen Bus zum Thema, als er 2008 im Rahmen seiner Kampagne für das Amt des Londoner Bürgermeisters versprach, die ungeliebten 2002 bis 2005 angeschafften Bendybuses (O-Ton Johnson: „cumbersome machines"), will heißen: moderne Gelenkbusse von Mercedes-Benz, schnellstmöglich wieder abzuschaffen und diese durch einen neuen Routemaster zu ersetzen. Eine Ikone echter Britishness wie der immerwährende „heavy drizzle", also das berüchtigte englische Regenwetter. Der neue Bus hieß im Volksmund dann sehr schnell „Boris' Bus". Und auch der rote Neoplan Starliner, der mit Fake News plakatiert war, fand leider zu viel Anklang, wie wir 2016 dann schmerzlich erfahren mussten.

Tatsächlich wurde der Plan des Herrn mit der wirren Nicht-Frisur denn auch bis 2011 umgesetzt – die Gelenkbusse seien nicht nur zu sperrig für's Londoner Verkehrsgewusel gewesen, sondern beförderten auch zunehmend unbotmäßige „fare-dogers" („Zechpreller"), die schnell mal in die hinteren Türen schlüpften ohne ihren Obolus zu entrichten – soviel zur sprichwörtlichen britischen Engelsgeduld für das Queuing oder Anstellen. Und als ob man es beweisen wollte: Der letzte Gelenkbus kam prompt mit Verspätung zur letzten Fahrt ins Museum. Passenderweise war es die erste Reaktion der Twitter-Redaktion der ultrahippen Hauptstadt-BVG-Kampagne „Wir lieben dich" auf unsere News, „dann müsse man sich in Zukunft aber auch brav anstellen." Tea please, we're british!

Auch die ersten Berliner Doppeldecker waren schon "Engländer"

Genug der Vorrede, der geneigte Blogkonsument dürfte langsam gemerkt haben, worum es geht: Eine Bus-Ikone deutscher Provenienz wird britisch, oder besser schottisch. Eine echte Zeitenwende! Man muss ja aufpassen, was man sagt dieser Tage. Und den Schotten sollte man besser keine Brexit-Affinität andichten – indeed not!

Interessanterweise waren schon die ersten vier geschlossenen Doppeldecker („Decksitzer" mit offenem Oberdeck gab es schon seit der Jahrhundertwende von allen erdenklichen Karossiers, so auch von Daimler aus Marienfelde) in Berlin in den 20er Jahren „Engländer" von ALCO. Zumindest, wenn man den historisierenden Seiten der „Berliner Verkehrsseiten" glauben darf, die auch eine wunderbare Karikatur aus der Zeit mit einem offenen Sechsfachdecker und Sechsachser zeigen – die babylonischen Zwanziger lassen grüßen. Mit dem Übergang der erstmaligen ABOAG (Allgemeine Berliner Omnibus AG) zur BVG im Krisenjahr 1929 seien die Spuren der ersten „Engländer" jedoch verloren gegangen. What a Pity!

Viele alte MAN Doppeldecker wurden in Plauen gebaut

Dieses Schicksal wird die letzten MAN Doppeldecker des Typs A39, die überwiegend noch im letzten Neoplan-Werk in Plauen (angefangen wurde die Produktion noch in Pilsting) gebaut wurden, wohl nicht gar so schnell ereilen. Zwar laufen nicht wie ursprünglich geplant rund 600 sondern nur insgesamt 400 der eigens für die BVG gebauten Riesen mit 4,06 Meter Höhe – aber das mit der Planung ist immer so eine Sache in Berlin (hier stünde jetzt der unvermeidliche BER-Reißer, den wir uns tunlich verkneifen. Tongue in cheek!). Und 250 der Busse will die BVG auch vorerst am Laufen halten. Er war 2004 ein erstes Kind der glücklosen Neoplan-Zeit, in der einige Techniker in Stuttgart und Salzgitter glaubten, jedes noch so verstiegene Projekt ließe sich schon irgendwie stemmen. Die Entwicklung des ersten von MAN auch karossierten Doppeldeckers wurde zumindest teilweise von der BVG gezahlt, die wenigen anderen Kunden wie Porto, Lausanne und vor allem Dubai mit seinen 170 Neoplan-Doppeldeckern zahlten daher eine Art Lizenzgebühr an die Berliner, wie es heißt. Vorher lieferten MAN und die 1971 vereinnahmte Braunschweiger Traditionsmarke Büssing nur Chassis, die dann von der Waggonbau-Union selbst aufgebaut wurden. Noch zu Beginn der Lieferung legte die BVG großen Wert auf die Aussage, dass auch die neuen Busse in Berlin komplettiert würden. Das war schnell Makulatur, die Fertigung der über 500 Doppeldecker für Berlin und Dubai stellt im Rückblick wohl die größte Leistung des kleinen Werkes in Plauen dar, das 2019 das 100-jährige VOMAG Bus-Jubiläum begeht. Congratulations!

Jetzt also Alexander Dennis, das ebenfalls eine lange Tradition im Busbau vorweisen kann: Erste motorisierte Fahrzeuge wurden schon 1898 gebaut, ab 1905 Busse, schon 1913 konzentrierten sich die Schotten dann voll auf Nutzfahrzeuge. Der erste ausgewachsene Nachkriegsdoppeldecker wurde bereits 1942 gebaut und ähnelte noch sehr dem Routemaster – der für Generationen von Kindern in aller Welt für DEN Bus schlechthin steht. Wie dieser baute auch ADL auf dem leichten Werkstoff Aluminium auf. Man darf gespannt sein, wie die BVG mit dem neuen Material umgeht. Immerhin ist der neuen Enviro500 Dreiachser, der schon 2015 in Berlin seine Runden drehte, über eine Tonne leichter als der MAN A39. Bewährt hat sich das Modell bereits auf dem Kontinent bei der Schweizer Postbus.

MAN geht den Weg in Richtung Chassis-Body-Konzept

„Was macht MAN falsch?", möchte mancher jetzt sicher fragen. Kann denn ein deutscher Weltkonzern nicht einen Prestigeauftrag bedienen? Könnte man sicher, wenn man nicht gerade damit beschäftigt wäre, eine komplett neue Baureihe mit Verzögerung einzuführen und diese dann auch sofort zu elektrifizieren. Das ist eine enorme Herausforderung. Da kann man sich nicht auch noch um eine Sonderanfertigung für einen Kunden kümmern. Zudem ist MAN auf dem Weg zum Chassis-Body-Konzept, dem viele Aufbauer wie ADL schon lange die Treue schwören: Zusammen mit dem malaysischen Aufbauer Gemilang konzipierten die Münchner unlängst einen Doppeldecker für asiatische Märkte. Ob sich die BVG diesen näher angeschaut hat? You never know!

Selbst wenn MAN einen Doppeldecker realisieren wollte, der Weg zur Elektrifizierung desselben wäre noch weit und nochmals deutlich aufwendiger. ADL baut seit Jahren schon Hybridbusse für London, zusammen mit dem chinesischen Hersteller BYD sogar schon rein elektrische Versionen. Daher auch die kryptische Umschreibung der BVG in der Pressemeldung: „Zugleich sind die Verträge so gestaltet, dass wir auf dem Weg zur Elektrifizierung unserer kompletten Busflotte bis 2030 die Abnahmemengen flexibel dem Angebot auf dem E-Busmarkt anpassen können." Das ist fein, denkt man sich und ist gespannt, wie viele der 400 Busse schon elektrisiert sein werden am Ende. Berlin gehört ja nicht unbedingt zu den Voreitern bei dem Thema, ebenso wie die deutschen Hersteller. Wer sehen will, wie in London 1939 schon elektrifizierte Doppeldecker aussahen, der bemühe sich ins London Transport Museum direkt neben dem einladenden Covent Garden Piazza (Have a nice cuppa!) und schaue sich den dort gezeigten Leyland Oberleitungsbus an, der bis in die 60er Jahre zuhauf unterwegs war und als besonders leise und komfortabel galt. Bis der Dieselmotor billiger und flexibler wurde. It's the economy, stupid!

Auch MAN zeigt Innovationskraft in der Hauptstadt

Aus dieser Perspektive ist die Entscheidung der BVG durchaus nachvollziehbar, wenn auch im ersten Moment schmerzhaft. Immer wieder buhlen ja die nationalen Hersteller um die Straßenmacht in der Hauptstadt – so auch unter den ungleichen Konzernschwestern MAN und Scania, die die jeweilige Hauptstadt ins Visier genommen haben und nur allzu gerne beliefern. Und was sagt uns der DD-Deal in Bezug auf die deutsch-britische Wirtschaft oder sogar Freundschaft? Dass es besser miteinander als gegeneinander geht. Und wenn es einen Spezialisten für ein bestimmtes Produkt gibt, der über weltweit anerkannte Expertise verfügt, dann sollte man ihm eine ernsthafte Chance geben in einem gemeinsamen Markt.

Immerhin, MAN hat es am gleichen Tag auch noch in die Schlagzeilen der Berliner Presse geschafft. Ein echter Innovationsbus wurde vorgestellt! Ohhhhh, ahhhhh! High Tech, made in Germany? Eher weniger. Der Wagen war wiedermal von einer niedrigen Brücke kupiert worden und wurde flugs vor der drohenden Verschrottung bewahrt. Mit Glasdächern und allerlei Schnickschnack wollten die BVGler mal ausprobieren, was so alles geht im Doppeldecker, um dann eventuell einige Features in die ADL-Flotte einfließen zu lassen (hierzu schweigen die Schotten denn auch vielsagend). So haben die Münchener – wenn auch ungewollt – doch noch einen wertvollen Beitrag zum Thema moderne Mobilität für die Hauptstadt geliefert. Well done!

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