BusBlog MAN soll wieder können

Foto: Thorsten Wagner
Meinung

Unlängst erst tauschte VW die gesamte Traton- und MAN-Führung aus. Mit der jetzt angedrohten Schließung des letzten deutschen Buswerkes in Plauen trifft es den Busbereich besonders hart – und es soll noch dicker kommen.

Für gewöhnlich bekommen neue Konzernlenker 100 Tage Schonfrist, bevor man die Presse auf sie loslässt. Die seltenen Damen (wer erinnert sich hier noch an Neoman-Vorständin Sabine Drzisga?) und häufigeren Herren gönnen sich diese Zeitspanne, um den neuen Laden ansatzweise zu verstehen und sodann die mutmaßlich geeigneten Maßnahmen für dessen gedeihliche Entwicklung vorzunehmen.

Dem Titel nach könnte sich auch hinter der Traton/MAN-Ankündigung eine solch unternehmerisch weitsichtige Weichenstellung verstecken. Allerdings sollte man einen Euphemismus-Faktor in Anrechnung bringen – es sei gewarnt, es geht vor allem um massiven Stellenabbau und Werkschließungen!

Zart und fast schon unschuldig heißt es da in einer Pressemeldung vom letzten Freitag (ein "schwarzer" möchte man ergänzen): "MAN legt Grundstein für nachhaltigen Unternehmenserfolg." Soweit, so gut und nötig – gerade in Corona-Zeiten, die allen Fahrzeugbauern arg zusetzen. Aber muss es gleich der gesamte Unternehmenserfolg sein, der hier neu unterfüttert werden muss? Klingt hochdramatisch und das soll es wohl auch. Dem Betriebsrat wurden gleichsam "vertrauensvolle Gespräche" angeboten, ohne aber abzuwarten, ob diese angenommen werden. Die Gegenseite spricht wiederum von Management-Maßnahmen aus der "Mottenkiste" und hat doch wenig in der Hand zum Pokern.

Investieren in den USA – sparen in Europa?

Schauen wir uns zunächst aber das dreifach unglückliche Timing der neuerlichen Ankündigung an. Den ersten Fauxpas haben wir schon oben erläutert: Der im Netz sehr aktive und auf Anhieb sympathische neue MAN-Chef Andreas Tostmann bekam nicht einmal den Anstandszeitrahmen gewährt, um sich halbwegs einzuarbeiten bei MAN vor solch weitreichenden Kampfansagen. Sei es drum – er dürfte keine andere Wahl gehabt haben bei den harten Ansagen aus Wolfsburg. Schwerer wiegen zwei andere "Unzeitigkeiten", um im deutschen Idiom zu bleiben.

Just am heutigen Dienstag hält MAN Truck & Bus eine große Online-Pressekonferenz ab, die die zu Hause gebliebenen IAA-Neuheiten unters Volk bringen soll und allen Vorbereitenden viel abverlangt. Man möchte sich nicht deren Stimmung vorstellen, als sie die bitteren Neuigkeiten zuerst aus dem Handelsblatt, dann per Pressemeldung von Konzernmutter Traton aufgetischt bekamen. Deutlicher kann eine Finanz-Holding kaum klar machen, wie wenig man Rücksicht auf seine Beschäftigten nimmt, die den Laden jeden Tag am Laufen halten.

Die dritte "Unzeitigkeit" dreht sich wieder ums große Geld. Einen Tag vor der Damoklesschwert-Meldung für die MAN-Standorte weltweit wurde ruchbar, dass Traton sein Angebot für den US-Truckbauer Navistar um satte 23 Prozent erhöhen wolle, um das Unternehmen schnellstmöglich ganz zu übernehmen. An sich kein Verbrechen, aber am Vortag einer Kommunikation über voraussichtlich 9.500 gekappte Stellen (rund ein Drittel der Belegschaft!) könnte man auch von eher rustikal veranlagten "Investor Relations"-Experten etwas mehr Zartgefühl erwarten. Die umworbene Braut ziert sich noch jungfräulich-keusch und schickte die Traton-Aktie flugs auf Talfahrt. Eine Bewegungsrichtung, die im gesamten Jahr 2019 eher der Normalzustand des Papiers war.

Nun mag man einer VW-Tochter für ein so massives Investment auf dem US-Markt nach den sündhaft teuren Dieselgate-Erfahrungen durchaus noch Mut bescheinigen, die internationalen Erfolgsaussichten in der Nutzfahrzeugsparte wurden bisher zumindest auf MAN-Seite jedoch meistens Lügen gestraft: Sowohl in China als auch in Indien hat man mit seinen Investitionen bisher Schiffbruch erlitten. Und wenn der "grundlegende Umbau des Geschäftsmodells" so überaus wichtig ist, dann sollte man sich doch mit Prio 1 und diesen kümmern, anstatt eine neue Baustelle in einem derzeit nicht gerade europafreundlichen Land aufzumachen.

Alternative Antriebe bisher auf Sparflamme

Aber es geht nicht nur um Geld und sinkende Verkaufszahlen, das wird in der Pressemeldung vom "Schwarzen Freitag" schnell deutlich. "Ziel der konsequenten Neuausrichtung ist es, MAN Truck & Bus deutlich digitaler, automatisierter und nachhaltig profitabel zu machen. Außerdem gilt der Fokus künftig alternativen Antriebssystemen." Ah ja, dieses Lied wird allenthalben von so manchem Unternehmen gesungen, allerdings hat MAN bisher in der Tat nicht viel getan in dieser Hinsicht. Elektrobusse? Mit Scania zusammen noch nicht serienreif. E-Trucks? Erste Gehversuche auf niedrigem Niveau. Brennstoffzelle? Fehlanzeige seit Jahren. Hybrid-Trucks oder Reisebusse? Unnötig, heißt es. Auch wenn schon auf der IAA 2016 ein TGX mit ZF Traxon Hybridmodul seine Runden auf dem Präsentierteller drehte. Als funktionsuntüchtiges Mock-up allerdings. Immerhin, beim Reisebus hat es bisher nicht einmal dazu gereicht.

Und jetzt? Alles wird anders, und zwar sofort? O-Ton MAN: "Die Nutzfahrzeugbranche befindet sich jedoch im Umbruch. Dementsprechend vollzieht auch MAN eine grundlegende Transformation. Ab Mitte des Jahrzehnts soll MAN zu den führenden Nutzfahrzeugherstellern im Bereich Elektro- und Wasserstoffantriebe zählen." Da müsste man allerdings so richtig Gas geben in München, wenn man den sich formierenden Wasserstoffclustern in China, Korea, Japan und nun auch in Europa (Daimler kooperiert mit Volvo!) nicht nur noch von hinten nachschauen will! Im traditionsreichen Werk Nürnberg basteln zwar ein paar Unverdrossene an der Wasserstoffverbrennung, die schon zur Sommer-WM 2006 in Berlin im Stadtbus ihre Premiere feierte und weitgehend problemlos lief, doch MAN stieg 2009 parallel zu BMW aus dem Thema aus. Der damalige Technik-Vorstand Schaller arbeitet heute gar bei BMW. Müssen jetzt die Mitarbeiter also die Versäumnisse der letzten Jahre ausbaden?

Verlagerung des Busbereichs ins Ausland

Und weiter im Text des "Schwarzen Freitags": "Auf Basis heutiger Technologien und Strukturen wird ein erfolgreiches Geschäftsmodell bereits in wenigen Jahren kaum mehr möglich sein." MAN hat aber sehr lange genau an diesen Modellen fast schon zwanghaft festgehalten. Ohne sich viel Gedanken zu machen, wie lange das gutgehen kann. "Um jedoch weiter in die Zukunftsfelder alternative Antriebe, Digitalisierung und Automatisierung investieren zu können, muss MAN zunächst einen umfassenden Restrukturierungsprozess durchlaufen. Ziel ist eine nachhaltige Verbesserung der Ertragslage." Klar, die Brüder und Schwestern aus Södertälje, mit denen man seit Jahren etwas unglücklich zusammengespannt ist, und versucht, gemeinsam Synergien zu erzielen, erzielen noch gute Renditen. Da sieht der kleine Bruder etwas abgehängt aus.

Die Maßnahmen auf diesem Weg sind hart und treffen den Bus mit der angedrohten Schließung des eigentlich recht erfolgreichen BMC in Plauen besonders hart, ist es doch der einzige verbliebene Standort in Deutschland, in dem Busse grundlegend umgebaut und gefinisht werden können. Und auf seine medienwirksamen Mannschaftsbusse ist man ja nicht zuletzt in Wolfsburg stolz wie Oskar. Erst vor einigen Jahren wurden mit Hilfe der Politik massive Investitionen in das letzte verbliebene Neoplan-Werk im Vogtland getätigt, erst 2019 wurde eine schicke neue Kundenempfangshalle gebaut. Die Marke Neoplan wurde 2020 übrigens 85 Jahre alt und ist leider nur noch ein Schatten ihrer selbst mit homöopathischen Marktanteilen. Jetzt sollen die wichtigsten Busfunktionen wie Entwicklung, Versuch und Validierung sowie Homologation ins Werk Ankara verlagert werden – Präsident Erdogan winkt mit Atatürk-Jubiläums-Geld, wenn ihm auch dessen politisches Vermächtnis des Laizismus mittlerweile herzlich egal geworden ist.

Die Chance, die man mit der Schließung des BMC in Sachen Veredelung von Reisebussen und auch beim Thema Kleinbusse vergeben würde, wäre nicht wiedergutzumachen. Ohne eine Handwerksschmiede mit Leidenschaft, wie das BMC, wird man an das fein austarierte Angebot vom Daimler Minbus-Center in Dortmund niemals heranreichen können.

Schon macht unter der Hand das Wort von einem "Management Buyout" á la Viseon in Pilsting die Runde, aber man sollte sicher sein, dass viele MANler um die jetzt zur Disposition stehenden Standorte löwenhaft kämpfen werden, um erhalten zu bleiben. Denn die MAN und die deutsche Ingenieurskunst, für die sie noch steht, ist für sie in den allermeisten Fällen nicht nur ein lukratives Geschäftsmodell im Wandel der Zeit, sondern schlichtweg ein großer Teil ihres Lebens.

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