Bus-Demo in Berlin Eine Branche in Aufruhr

Bus-Demo durch Berlin Foto: Thorsten Wagner 16 Bilder
Meinung

Die Coronakrise hat die Busbranche im Griff: Zwar lockern einige Bundesländer ihre Busreiseverbote langsam, doch die Verbände und Unternehmer-Zusammenschlüsse warten weiter auf den Geldsegen des neuen Konjunkturpakets. Dabei geht es nicht nur um Finanzen, sondern auch um das Hygiene-Konzept. Und eine Rücktrittsforderung.

Kaum etwas verdeutlicht den Graben, der sich derzeit durch die Busbranche zieht, besser als ein Plakat der europäischen Unternehmerinitiative #Honkforhope. Es zeigte eine Karikatur im Kinderstil, die einen Verbändebus mit der Aufschrift 170 Millionen Euro (die von Verkehrsminister Scheuer am 14. Mai in großer Runde vorgeschlagene Summe zur Busrettung) auf den Abgrund zurasen lässt, während der #Honkforhope-Bus mit geforderten 456 Millionen Euro Staatshilfen in eine helle Zukunft braust.

Gestritten wird in der Branche aber nicht nur um die Höhe des Betrags, auch dessen genaue Berechnung ist von Beginn an hoch umstritten: wie viele Busse werden einbezogen, welcher Tagessatz als "Vorhalteentschädigung", welcher Zeitraum wird berechnet. bdo-Hauptgeschäftsführerin Christiane Leonard wirft den von ihrem Haus intern mehrfach so bezeichneten "Krawallmachern" mangelnde Rechen- und Zuhörkenntnisse vor. Nur um dann dem eigens zur Sternfahrt hinzugestoßenen Tourismus-Beauftragten der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), eindrucksvoll vorzurechnen, Mitarbeiter in der Busbranche würden achtmal weniger Fördergeld als die der Bahn und sogar 16-mal weniger als die der Lufthansa erhalten. Die Gelegenheit, gemeinsam als Verbände ein starkes Signal auszusenden, wurde auf dem Pressegespräch vor dem Reichstag leider vergeben – mehr als Einzelinterviews und Fotos waren erst gar nicht eingeplant.

Tanz um das goldene Förderungs-Kalb

Noch ist die Zahlenhuberei allerdings nicht mehr als der Tanz um das goldene Kalb. Allein das für den heutigen Dienstag erwartete neue Konjunkturpaket von Finanzminister Olaf Scholz für die bisher vergessenen Branchen wird wohl Klarheit bringen, was zu erwarten sein darf. Und hierbei standen die Zeichen zwischenzeitlich eher auf Blockade für Branchenlösungen. Das dürfte spannend werden.

Die von den Verbänden und der Unternehmensinitiative parallel organisierte Sternfahrt nach Berlin und andere deutsche Städte, die nach außen wie ein einmütiger Schulterschluß und jeweils als eigener Erfolg verkauft wird, zeigt dennoch, wie tief die Unternehmerschaft gespalten ist. So oder so: Dass diese eindrucksvolle Sternfahrt mit mehr als 500 Bussen aus ganz Deutschland zustande kam, ist schon eine kleine Meisterleistung der gesamten Branche, der die Verzweiflung auf die Bugmasken geschrieben ist.

Weit über 300 Busse rollen in Berlin

Der letzten Veranstaltung in Berlin am 13./14. Mai waren nicht nur die erste große Demo in Dresden und anderen Städten vorausgegangen (lesen Sie dazu auch lastauto omnibus 5/2020), auch ein heftiges Zerwürfnis des bdo und der #Honkforhope-Gruppe, die sich um die beiden hyperaktiven Unternehmer Alexander Ehrlich aus Österreich und Joachim Jumpertz aus Deutschland geschart hat. Nachdem das erst 2018 gegründete Startup "Hanse Mondial" aus Hamburg die erste Demo in Hamburg Anfang Mai auf Wunsch der eigenen Buspartner organisiert und medial promoted hatte, übernahmen die Busverbände flugs deren #Busretten Motto und setzte eine teure Plakatkampagne obendrauf.

Hanse Mondial selbst distanzierte sich zu diesem Zeitpunkt bereits von #Honkforhope, so einer der vier Gründer, Julien Figur: "Wir haben hier einen anderen Weg als die Kollegen von #Honkforhope eingeschlagen. Wir haben einfach andere Schlussfolgerungen gezogen: Köpfchen statt Brechstange." Trotzdem haben die Mitarbeiter auch die Sternfahrt in Berlin und in anderen Städten begleitet und die Busunternehmen dort tatkräftig unterstützt, auch mit einem Bustalk Live, der wöchentlich online stattfindet und jeweils von rund 40 Personen aus der Branche begleitet wird. Der nächste Buskorso in Dresden, wo schon die erste Veranstaltung stattfand, steht schon in den Startlöchern.

Flixbus schweigt und startet durch

Ganz im Gegensatz zu Flixbus, von dessen Geschäftsführung man in der Zeit des unfreiwilligen Stillstands (der bei Flixbus eher wirtschaftlich als gesetzlich getrieben war) kaum ein Wort in Richtung Rettung der Branche hörte. Auch wenn diese dem Branchenprimus mit massivem Expansionsdrang in alle Welt mit seinem rollenden Material die notwendige Arbeitsgrundlage bietet.

Das Hygienekonzept des Unternehmens richtet sich zudem eins zu eins an der Bahn aus, also immer MNS-Masken tragen aber keinerlei Abstandsgarantie für die Fahrgäste an Bord – so einfach kann man es sich machen. Und kein Hinweis auf gegebenenfalls notwendige FFP2/3-Masken zum Selbstschutz für Passagiere der Risikogruppen – ein Punkt, den das Konzept von #Honkforhope dankenswerterweise neben einer generellen MNS-Maskenpflicht an Bord aufnimmt. Der Fernlinienanbieter Pinkbus aus Düsseldorf wiederum geht einen eigenen Weg und garantiert freie Nebenplätze, hat aber mit seiner Skyliner-Flotte auch weniger Platzprobleme als die Münchener mit ihrer Mischflotte.

Den Betrieb dürfen auch die Reisebusunternehmen in den jeweiligen Bundesländern sukzessive wieder aufnehmen, allerdings überall mit verschiedenen Vorgaben was Hygiene und anderes betrifft. bdo-Chefin Leonard spricht genervt von einem chaotischen Flickenteppich: "Ich hätte mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass die Bundesländer es schlichtweg nicht schaffen, sich abzustimmen und hierfür ein einheitliches Konzept zu entwerfen."

Hessen zum Beispiel schrieb zuerst in Anlehnung an Gaststätten fünf Quadratmeter pro Fahrgast vor, um dies dann auf öffentlichen Druck des LHO hin zu kippen und auf die üblichen 1,5 Meter Abstand einzuschwenken, falls keine Mund-Nase-Masken getragen werden. In Bayern gilt diese Regelung ebenso, allerdings garniert durch eine unsinnige Vorgabe, es dürften sich nur ausgemachte "Individualreisende" an Bord befinden. Die übliche Busreise ist allerdings ein Pauschalarrangement, wie man weiß. Der LBO will nun zusammen mit dem Münchener Platzhirsch Autobus Oberbayern gegen diesen Unsinn wegen "offenkundig ungerechtfertigter Diskriminierung" gegenüber anderen Verkehrsträgern gegen die Landesregierung klagen.

Innovatives NWO-Hygienekonzept erstmals offiziell

Einen ganz neuen Aspekt bringt der NWO für Nordrhein-Westfalen in seinem ersten von der Landesregierung abgesegneten Hygienekonzept ins Spiel: Neben der generellen Regel 1,5 Meter Abstand oder einfache OP-Masken auch an Bord einzuhalten (immer bei Ein- und Ausstieg oder beim Verlassen des Sitzplatzes) kommen hier die neuen Kontakt-Regelungen von Gruppen mit bis zu 10 Personen ins Spiel, die nicht aus dem gleichen Haushalt kommen. Innerhalb der Gruppe müsse dann kein Abstand gehalten werden und auch keine Maske während der Fahrt getragen werden. So passen alleine schon drei Zehnergruppen in den Standard-Reisebus.

Haken an dem Konzept, das eine Nutzung eines 12 Meter langen 50-Sitzers mit bis zu 37 Passagieren ermöglichen soll (das wären stolze 74 Prozent Auslastung), ist aber, dass diese Gruppen sich sodann während der gesamtem Reise inner- und außerhalb des Busses nicht vermischen dürfen. Ein kleines Kunststückchen, das kaum jemand effektiv zu überwachen vermag. Das steht zwar so nicht explizit im Konzept, ist aber eine planerische Selbstverständlichkeit. Trotzdem ist Jürgen Weinzierl, Busunternehmer und Präsident des NWO optimistisch, dass das Konzept mit dem offiziellen Segen der Landesregierung Chancen hat, sich zum bundesweiten Standard zu entwickeln: "Mehr ist einfach nicht zu machen, um den Bus noch wirtschaftlich zu betreiben," ist sich der Unternehmer sicher.

Ein heißer Sommer für die Branche

Nicht nur hier wird die politische Dimension des ganzen Themas deutlich, ebenso wie bei den Verbandsscharmützeln und des Förderungskuddelmuddels. Viele Interessen politischer und wirtschaftlicher Art werden instrumentalisiert und gegeneinander ausgespielt. Das wird nicht besser werden, liegt erst einmal der Vorschlag der Finanzministeriums auf dem Tisch.

Ein kämpferischer Benedikt Esser, Präsident des Internationalen Touristikverbands RDA, dem mit seinen Workshops jedwedes Einkommen entgangen ist, kann seinen Zorn kaum verhelen: "Ich akzeptiere nicht mehr, dass es hier parteipolitische Ränkespiele gibt. In verschiedenen Bundesländern kann man schon deutliches Wahlkampfgeschacher beobachten, ganz abgesehen von den Kanzlerambitionen von den Herren Laschet und Söder. Das ist alles sehr schlecht für uns, das muss aufhören."

Es kann also ein heißer Sommer werden für die Branche, soviel ist sicher. Dass die quirlige Selbsthilfe-Truppe von #Honkforhope mittlerweile öffentlich den Rücktritt der bdo-Spitze gefordert hat, dürfte dabei maximal ein Nebenkriegsschauplatz sein.

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