BusBlog Jetzt geht’s los! Oder doch nicht?

2015 zeigte BYD erstmals seinen Elektro-Reisebus C9 auf der UMA in New Orleans (USA). Foto: Thorsten Wagner

Der Euro 6-Diesel ist die kurzfristige Lösung für stickoxidgeplagte Kommunen, die Nachrüstung kommt endlich zum Laufen und FlixBus macht nun auch beim Reisebus Druck in Sachen Elektromobilität. Von erhofften, erfolgten und verpassten Startschüssen.

"Die Verkaufszahlen gehen durch die Decke!" So oder so ähnlich äußern sich gerade viele Vertriebler der Busbranche. Aha, mag man denken, endlich geht es los mit der Elektromobilität bei den Stadtbussen, klasse!

Nur dass die guten Zahlen sich auf den guten alten Euro 6-Diesel beziehen, der gerade seinen nicht mal letzten Frühling erleben könnte. Viele Kommunen und Betreiber sehen derzeit im modernen Diesel die einzige Möglichkeit, schnell und zuverlässig die Stickoxidwerte runter zu kriegen – ohne Rieseninvestitionen in elektrische Busse, Infrastruktur und Umspannwerke und somit in den Augen vieler in ein unwägbares Abenteuer.

Der Euro 6-Diesel erlebt eine unerwartete Blüte

Nicht zuletzt der VDV fordert in seinem Aktionsplan für saubere Luft die zügige Anschaffung von 1.000 Dieselbussen, gerne auch mit staatlicher Förderung – ein Ansinnen, das sich in Zeiten, in denen das schmuddelige Etikett des "dreckigen Diesels" schon zum Standardrepertoire fast jeder Tageszeitung geworden ist, als politisch kaum durchsetzbar erweisen dürfte. Sinn macht es trotzdem allemal, wenn man von dem Durchschnittsalter von 8,6 Jahren der deutschen Busflotte ausgeht. Zudem waren Anfang 2017 (neuere Zahlen liegen beim KBA noch nicht vor) von rund 80.000 zugelassenen Omnibussen nur 16.922 schon nach der Euro 6-Norm zugelassen, immerhin noch ähnlich viele Euro 3-Busse bevölkerten die deutschen Straßen.

Auch diese können aber nach der Ende März vom BMVI veröffentlichten Nachrüstrichtline für Stadtbusse noch in die Weihen der chemischen Abgasreinigung kommen – dabei muss eine Mindestreinigung der Stickoxide von 85 Prozent eingehalten werden, um in den Genuss einer Förderung zwischen 40 und 60 Prozent der Kosten von 15.000 bis 20.000 Euro zu kommen. Die meisten Systeme kommen jedoch beinahe spielend über 90 Prozent, auf Euro 6 werden sie jedoch formell explizit nicht gehievt. Kleiner Treppenwitz am Rande: MAN "Pure Diesel"-Motoren der Euro 4- und 5-Norm sollen sich leichter nachrüsten lassen als Mercedes-Busse mit original verbautem SCR-System, weil hier nicht eine bereits vorhandene Stickoxid-Sensorik überlistet werden muss.

Nachrüstrichtlinie als einzige greifbare Maßnahme von Scheuer

Das Ministerium hatte das lang erwartete Goodie eigens für die Antrittsrede des neuen Hausherrn Andreas Scheuer im Bundestag noch ein paar Wochen und Tage zurückgehalten, weil anderweitig kaum Greifbares von ihm zu vernehmen war: "Schon bald wird die Luft in den Städten deutlich besser," weiß die zugehörige Pressemeldung zu berichten. Nun ja, sehr groß ist der Anteil der Busemissionen nicht, aber es hört sich einfach gut an. Bitte laaaaaangsam und tieeeef durchatmen!

Dass die Luft durch moderne Diesel nicht über Gebühr belastet wird, weiß die Branche nachvollziehbar und medienwirksam unter Beweis zu stellen. Die Ruhrbahn in Essen rühmt sich aktuell damit, mit 86 Bussen "die abgasärmste und größte Citaro-Flotte im Ruhrgebiet"  zu betreiben, schon 2017 wurde man unter anderem deswegen von der EU-Kommission als "Grüne Hauptstadt Europas" ausgezeichnet. Der Augsburger Regionalbus-Verband AVV beeilt sich unlängst zu berichten, einen überdurchschnittlichen Euro 6-Anteil in der Flotte zu haben, bei denen der NOx-Ausstoß absolut gesehen 50 Prozent unter dem eines "modernen Pkw" liege. VDL wiederum ließ seine leichten Euro 6-Citea LLE der Rheinbahn Düsseldorf Ende 2017 vom TÜV Nord im Realbetrieb vermessen und mit EEV-Fahrzeugen vergleichen. Die Kurven lesen sich beeindruckend: Fast alle Schadstoffe sind gegenüber EEV deutlich abgesunken, vor allem bei den niedrigen Geschwindigkeiten, die beim EEV-Wagen noch zu Ausschlägen analog der in der Mathestunde so verhassten Asymptote führen. Nur bei den CO2-Werten sieht der EEV-Wagen geringfügig besser aus. Fazit der Rheinbahn: "Das Ergebnis überzeugt auf ganzer Linie: Die Busse halten im gesamten Messprofil die vorgegebenen Grenzwerte ein und unterschreiten sie sogar deutlich." Trotzdem will man schon 2019 acht Elektrobusse anschaffen, wie viele andere Unternehmen.

Engpässe bei Batterielieferungen sind zu erwarten

Alleine, ob die Pläne alle so im zeitlichen Rahmen bleiben werden, steht zuweilen in den Sternen. Allenthalben ist schon von Verschiebungen oder gar Anpassungen der Ausschreibungen zu hören und zu lesen. Der Engpass und die Abhängigkeit, in den die deutsche Industrie da hineinschlittert, wurde gerade im Manager-Magazin unter dem vielsagenden Titel "Der Elektro-Schock" treffend beschrieben.

Die bisherigen Lieferanten-Hersteller-Beziehungen werden beinahe auf den Kopf gestellt, Fahrzeugbauer müssen um die Akkus betteln, so will es scheinen. LG Chem eröffnet ein neues Werk in Polen – aber liefern kann und will man nicht kurzfristig, die Produktion sei bis aus weiteres ausverkauft. Zitiert werden will der Hersteller nicht, der sich den Korb bei einem der drei großen Zellproduzenten aus Korea abgeholt hat. Schon 2030 soll nach einer Studie von Bernstein Research die Nachfrage nach Zellen das Angebot (ca. 1200 GWh) um beinahe 100 Prozent übersteigen. Schöne Aussichten!

FlixBus baut Druck auf beim elektrischen Reisebus

Als wäre das alles nicht schon prickelnd genug im ÖPNV, treibt der Fernverkehrsanbieter FlixBus mit einer seiner häufigen, wegweisenden Mitteilungen das Thema nochmal eine Umdrehung weiter. Als "weltweit erster Anbieter" wolle man noch in diesem Sommer in Frankreich und Deutschland elektrische Reisebusse auf kurzen Strecken einsetzen. Ausgerechnet in Mannheim, wo Ende 2018 die ersten elektrischen Mercedes-Stadtbusse ausgeliefert werden sollen, könnten also bald chinesische Reisebusse des Typs BYD oder Yutong in die Metropole Frankfurt am Main starten. Immerhin zeigte BYD seinen Reisebus C9 erstmals 2015 auf der UMA in New Orleans (siehe Aufmacher-Foto). FlixBus-Geschäftsführer André Schwämmlein kommt vorab ins Schwärmen: "Wir wollen die Mobilität der Zukunft mitgestalten. E-Busse sind im Moment in der Anschaffung zwar deutlich teurer, dennoch sind wir überzeugt, dass sich diese Investition in die Zukunft lohnt." Unterschriebene Kauf- oder Leasingverträge gibt es dem Vernehmen nach jedoch noch nicht. Klappern gehört eben zum (politischen) Geschäft!

Auf Nachfrage behauptet der Quasi-Monopolist zwar, auch für die sündhaft teuren Elektrobusse sein konventionelles Buspartnerkonzept umzusetzen. Alleine ohne handfeste Förderung – eine staatliche gibt es für den Reisebus ja nicht – wird sich kaum ein privater Busunternehmer auf dieses Abenteuer einlassen. Als abenteuerlich schätzen auch die deutschen Hersteller das Thema für den Reisebus bisher ein und sind beim Thema mehr als blank. FlixBus schlägt genüsslich in die Kerbe: "Wir als Anbieter setzen hier ein klares Zeichen, dass die Mobilitätswende möglich ist. Zeitgleich ist der erste E-Fernbus ein Signal an die Bushersteller, Innovationen voranzutreiben und Alternativen zum reinen Diesel-Antrieb zu entwickeln. Zukunftsfähige Mobilität ist mittlerweile auch ein gesellschaftliches Anliegen." So kann man den stetig exponentiell und irrational steigenden politischen Druck auch umschreiben. Bisher gehen die deutschen Hersteller selbstredend und wie selbstverständlich davon aus, dass auf absehbare Zeit der Diesel der einzige Antrieb sei, der genug Flexibilität, Reichweite und Power für den Fernverkehr bietet – dementsprechend hat man nicht einmal milde Hybridantriebe auf Lager, geschweige denn einen Vollhybrid, wie er mit dem neuen ZF Traxon-Getriebe durchaus möglich wäre.

Alleine Van Hool wagt es, zusammen mit dem amerikanischen Newcomer Proterra einen ausgewachsenen Reisebus für die USA auf die Räder zu stellen – Chapeau! Problematisch könnte es spätestens dann für die europäischen Hersteller werden, wenn erste Einfahrverbote in Innenstädte drohen, dieser politische Druck war immerhin auch beim Stadtbus nötig, bis sich die Hersteller eines besseren besannen und es den umtriebigen Chinesen nachmachten, die schon hunderttausende Stadtbusse elektrifiziert haben. Die privaten Unternehmer dürften ihnen vorerst sicher nicht die Türen einrennen (siehe das Interview mit bdo-Geschäftsführerin Christine Leonard). Man kann sich trotzdem des Eindrucks nicht völlig erwehren, dass die Hersteller nur auf massiven Druck reagieren und wenig eigene Innovationsfreude entwickeln, um neue Lösungen zu realisieren.

Welchem profilierungsbedürftigen Politiker soll man es vermitteln, wenn es nun wieder mindestens fünf Jahre dauern sollte, bis der erste Hybrid- oder Elektroreisebus ein Werk eines deutschen Busbauers verlassen sollte? Also einfach nochmal tieeeeeef durchatmen, und das "Jetzt geht’s looooos" vorerst nochmal runterschlucken!

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