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Schwerverkehr stellt Problem dar Deutschlands sichere Brücken

Schiersteiner Brücke Rhein Autobahn Foto: Hessen mobil

Nach dem Brückeneinsturz in Genua richtet sich der Fokus auch auf die deutschen Bauwerke. Diese werden besser kontrolliert, aber viele sind nicht dringend sanierungsbedürftig.

Auch Zukunftstechnologien wie automatisiertes oder autonomes Fahren brauchen eine stabile Basis, auf der sie verkehren können. Erst recht nach dem Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua mit mindestens 43 Toten stellt sich die Frage, wie es um die deutsche Infrastruktur bestellt ist. Auch hierzulande wurden die meisten Brücken nicht dafür geplant, immer mehr und immer schwerere Fahrzeuge zu tragen. Aber sie werden kontinuierlich geprüft, und die Bundesregierung gibt Entwarnung. In Italien wird derweil überlegt, von privaten Betreibern gemanagte Straßen wieder zu verstaatlichen. Dabei sieht Verkehrsminister Danilo Toninelli Deutschland als Vorbild.

In NRW besteht Handlungsbedarf

In Deutschland seien viele Brücken dringend sanierungsbedürftig, sagte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer. "Die meisten Brücken sind in die Jahre gekommen und müssen intensiv kontrolliert werden", betonte er. Da dies geschehe, sei ein Zusammenbruch wie in Genua "eher unwahrscheinlich". Damit Sanierungen schneller in Angriff genommen werden könnten, gelte es aber, die Planungsverfahren zu beschleunigen. Aus Sicherheitsgründen müsse zudem viel mehr in Straßen und Brücken investiert werden, stellte Wollseifer fest. "Wir müssen uns über Jahrzehnte auf mehr Baustellen und Verkehrsbehinderungen einstellen", sagte er. Die Bauindustrie pocht ebenfalls auf eine schnellere Sanierung von Brücken und die Anpassung des Planungsbeschleunigungsgesetzes. Ersatzneubauten von Straßenbrücken dürften grundsätzlich nicht als Neubau, sondern müssten als Instandsetzung aufgefasst werden, sagte der Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Peter Hübner. Zugleich sollten verstärkt alternative Vertragsmodelle zum Zuge kommen, bei denen Planen und Bauen in einer Hand liegen. "Durch die permanent fortschreitende Ausweitung der Klagerechte ist zu befürchten, dass insbesondere umstrittene Verkehrsprojekte weiter in die Länge gezogen werden", kritisierte er.

A40 NRW Brücke Infrastruktur Neuenkamp Duisburg Foto: Strassen NRW
Der Neubau der A-40-Rheinbrücke gehört zu einem der wich­tigsten Infrastrukturvorhaben in Nordrhein-Westfalen.

Alternde Autobahnen und Bundesstraßen sind insbesondere für Nordrhein-Westfalen mit seinem hohen Verkehrsaufkommen ein Problem. In dem mit Abstand größten und bevölkerungsreichsten deutschen Ballungsraum gibt es allein rund 10.000 Brücken, von denen ein Großteil aus den 60er- und 70er-Jahren stammt. Bei ihnen bestehe Handlungsbedarf, heißt es von der NRW-Straßenbauverwaltung. Untersuchungen des Bundesverkehrsministeriums und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zu den Auswirkungen des überdurchschnittlich gestiegenen Schwerverkehrs hätten gezeigt, dass gerade bei älteren Brücken die Tragfähigkeitsreserven allmählich erschöpft seien. Sie müssten verstärkt oder sogar neu gebaut werden. "Der stetig wachsende Anteil des Schwerverkehrs stellt eine starke Belastung der Straßen dar", betont die NRW-Straßenbauverwaltung. "Dabei hat ein Lkw mit zweimal zehn Tonnen Achslast auf der Autobahn die gleiche Zerstörungswirkung wie 60.000 Pkw." Deshalb wird die Statik der Brücken überprüft, die aufgrund ihres Alters, ihrer Bauweise oder der besonders hohen Verkehrsbelastung an ihre Grenzen kommen. Für die Hauptrouten des Schwerverkehrs wird in NRW ein Transitnetz für die Brückenertüchtigung angestrebt, wobei 1.119 Brücken ausgewählt wurden. Von 547 bislang nachgerechneten Brücken müssen mittel- bis langfristig 336 Bauwerke ersetzt werden (Stand: April 2018).

Bei besonderen Anlässen werden Sonderprüfungen durchgeführt

Grundsätzlich werden die Brücken im Rahmen einer umfassenden Hauptprüfung alle sechs Jahre unter die Lupe genommen; nach drei Jahren erfolgt eine sogenannte Einfache Prüfung. In den Jahren ohne Prüfung macht die zuständige Autobahn- oder Straßenmeisterei eine ausführliche Besichtigung. Bei besonderen Anlässen – zum Beispiel nach schweren Verkehrsunfällen oder Hochwasser – werden Sonderprüfungen durchgeführt. Zwar gebe es Sanierungsfälle unter den großen Brücken in Deutschland, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dem Fernsehsender N-TV. "Aber trotzdem haben wir unsere Brücken im Griff", betonte er.Das bedeutet aber auch, dass eine Reihe von Brücken abgelastet ist. Schlagzeilen machten etwa die Rheinbrücke Leverkusen, die für Lkw über 3,5 Tonnen gesperrt ist, die Schiersteiner Brücke über den Rhein bei Wiesbaden und in Schleswig-Holstein die Rader Hochbrücke bei Kiel. In Nordrhein-Westfalen sind insgesamt 26 Brücken lastbeschränkt, eine ganze Reihe ist für Schwertransporte Tabu. Hier ist schon seit Jahren eine weiträumige, für das Transportgewerbe auch durchaus kostenträchtige Umfahrung angesagt. Bei rund 67.000 Brücken in Gemeindehand ist die Lage laut Bauindustrie nicht besser. Über 10.000 kommunale Straßenbrücken müssten bis 2030 ersetzt werden. Darüber hinaus befinde sich jede zweite Brücke in einem schlechten Zustand und müsse dringend saniert werden. Das Bundesverkehrsministerium hat für die Sanierung von Brücken pro Jahr eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Mehr Geld würde die Situation nicht verbessern, denn es herrscht ein krasser Mangel an Bauingenieuren.

Zustandsnoten der Brücken

In Deutschland teilen Bauwerksprüfer Brücken nach festgestellten Schäden oder Mängeln hinsichtlich der Stand- und Verkehrssicherheit sowie der Dauerhaftigkeit in sechs Kategorien ein:

1,0 bis 1,4 – sehr guter Zustand

1,5 bis 1,9 – guter Zustand

2,0 bis 2,4 – befriedigender Zustand

2,5 bis 2,9 – ausreichender Zustand

3,0 bis 3,4 – nicht ausreichender Zustand

3,5 bis 4,0 – ungenügender Zustand

14,2 Prozent der Autobahnbrücken befanden sich zum März dieses Jahres in nicht ausreichendem oder ungenügendem Zustand, an Bundesstraßen waren es laut Bundesanstalt für Straßenwesen 8,6 Prozent. Die beiden Best­noten erhielten autobahnseitig 10,2 Prozent der Brücken, die Bundesstraßen waren hier mit 17 Prozent vertreten. Die große Mehrzahl der Bauwerke findet sich also im Mittelfeld. Eine Zustandsnote von 3,0 bis 3,4 bedeutet demnach nicht zwangsläufig eine Nutzungseinschränkung des Bauwerks, sondern ist laut BASt vielmehr ein Indikator dafür, dass in nähe­rer Zukunft eine Instandsetzungsmaß­nahme zu planen ist. Eine Zustandsnote von 3,5 und schlechter könne beispielsweise auch durch fehlende Gitterstäbe im Geländer ausgelöst werden oder sich auf eine große Anzahl von Schäden mit Beeinträchtigung der Dauerhaftigkeit wie Betonabplatzungen, schadhafte Abdichtung oder Korrosionsschäden beziehen, ohne dass die Standsicherheit gefährdet wäre.

Probleme rund um Genua

  • Genua ist mit einem Güterumschlag von rund 50 Millionen Tonnen im Jahr 2016 nach Triest der zweitgrößte Hafen Italiens. Probleme sind nach dem Einsturz der Morandi-Brücke vorprogrammiert. „Ohne die Brücke fehlt das Bindeglied zwischen den verschiedenen Hafenbecken Genuas“, sagte der Chef der Hafenbehörde Paolo Emilio Signorini dem Schweizer Sender SRF. Um Waren von verschiedenen Schiffen aufzunehmen, müssten Sattelschlepper jetzt weite Umwege fahren. Das sei ein Wettbewerbsnachteil, und Signorini hofft auf staatliche Zuschüsse, um die Mehrkosten zu kompensieren. Betroffen ist vor allem der Straßenverkehr von Ost nach West, nicht der nach Norden.
  • Signorini setzt auf eine zunehmende Verlagerung von Verkehren auf die Schiene und den Gotthard-Basistunnel, der die Schweiz und Süddeutschland anbindet. Das ist aber noch Zukunftsmusik, denn Voraussetzung dafür ist eine neue Flachbahn unter dem Apennin. Die rund 50 Kilometer lange Strecke soll Genua mit Mailand und Turin verbinden und den Planungen zufolge 2021 fertiggestellt sein, aber das sechs-Milliarden-Euro-Projekt lässt auf sich warten.
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