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Sicherheitsrisiko autonomes Fahren Übergangszeit ist voller Gefahren

Shaping Future Transportation: Premierenfahrt des ersten teilautonomen Serien-Lkw auf öffentlichen Straßen im Mercedes-Benz Actros mit Highway Pilot. Foto: Daimler

Menschliches Versagen lässt sich mit den neuen Technologien weitestgehend ausschließen. Dennoch braucht auch die fahrerlose Mobilität klare Regeln und Gesetze.

Die Zukunft des autonomen Fahrens scheint unmittelbar bevorzustehen – jedenfalls wenn man das neue Konzept von Volvo für einen E-Lkw ohne Fahrerkabine sieht. Tatsächlich aber ist es, von Werksverkehren abgesehen, noch ein weiter Weg, bis sich der Mensch vom Steuer komplett zurückziehen kann. Auch wenn sich menschliches Versagen mit den neuen Technologien ausschließen lässt, birgt nicht zuletzt auch das Nebeneinander verschiedener Automatisierungsgrade auf den Straßen erhebliche Risiken. Beim automatisierten und autonomen Fahren hat die deutsche Automobilwirtschaft die Nase vorn und besitzt weltweit die meisten Patente, betont Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und verweist gern auf die Teststrecke auf der A9. Es werde darauf ankommen, diesen Technologievorsprung "zügig und unkompliziert" auf die Straße zu bekommen, "das erfordert eine schnelle Gesetzgebung, die Möglichkeiten eröffnet und nicht nur alle denkbaren Risiken sieht", sagte er in einem Interview.

Automatisierte Funktionen bereits jetzt in allen neuen Fahrzeugen

Auch die Brüsseler Kommission will die EU bei vernetzter Mobilität und vollautomatisiertem Fahren zum Vorreiter machen. Von 2014 bis 2020 sollen insgesamt 300 Millionen Euro in Forschung und Innovationen zu automatisierten Fahrzeugen fließen. Um die Digitalisierung des Transports voranzubringen, sind im Programm Connecting Europe bis zu 450 Millionen Euro vorgesehen. Getestet werden sollen auch 5G-Netze "für hoch automatisierte Fahrfunktionen und neue Mobilitätsdienste", wofür in diesem Jahr insgesamt 50 Millionen Euro EU-Gelder abgerufen werden können. Die Förderung soll vor allem in groß angelegte Demonstrations- und Pilotvorhaben fließen. Klar ist: Automatisierte Funktionen finden sich bereits jetzt und erst recht künftig in allen neuen Fahrzeugen.

Ein Kommissionsentwurf zur Reform der Verordnung über die allgemeine Sicherheit von Fahrzeugen sieht vor, dass die Autobauer schon bald Fahrerassistenzsysteme wie Spurhalter, Abstandswarner, Notbremsvorrichtungen und Abbiegehilfen für Lkw in neue Fahrzeuge verpflichtend einbauen müssen. Letztlich sind sie die Basis für hochautomatisiertes und autonomes Fahren. Auf dem Weg dahin aber braucht es bei allem Stolz auf technologischen Vorsprung eine entsprechende Regulierung, damit die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer nicht ins Hintertreffen gerät. Das verlangsamt den Prozess hin zur realen Umsetzung auf der Straße und könnte Konkurrenten aus den USA, Japan oder China möglicherweise Vorteile verschaffen.

Hochautomatisierte Systeme führen zu Müdigkeit

Aber Scheuers Herangehensweise, die den Blick vom Risiko ablenkt, wird insbesondere von Sicherheitsexperten nicht geteilt. So warnt die Unfallforschung der Versicherer (UDV) vor hochautomatisierten Systemen, die nicht zuletzt aufgrund von Langeweile zur Müdigkeit beim Fahrer bis hin zum Einschlafen führen könnten – und dies deutlich schneller als bei herkömmlicher Technik. Eine solche Fahrt sollte deshalb nicht länger als 15 Minuten dauern. Ablenkung durch fahrfremde Aktivitäten wäre auch nur bedingt eine Lösung, denn bis hin zu Level 4 (siehe Kasten) der Automatisierung muss der Fahrer im Zweifelsfall selbst in kürzester Zeit das Steuer wieder übernehmen. Nur bei Level 5, dem autonomen Fahren ohne Fahrer, fällt diese Option flach. "Automatisierte Systeme, die eine Überwachung durch den Fahrer oder den Fahrer als Rückfalleben benötigen, sollten im öffentlichen Straßenverkehr nur durch professionelle Testfahrer genutzt werden, solange sie nicht die für eine sichere Übernahme nötige Zeit gewähren", rät deshalb UDV-Unfallforscher Siegfried Brockmann.

Ein Fahrer, der das Steuer wieder übernehmen soll, brauche mindestens zwölf Sekunden, ehe er wieder die volle Kontrolle über die Situation erlangt. Ungeklärt ist zudem, wer die Verantwortung bei einem Unfall oder in Konfliktsituationen trägt, ein zusätzliches Problem ergibt sich aus der Vernetzung der Systeme. Sie müssen untereinander kommunizieren können und zugleich vor dem Zugriff von Kriminellen geschützt werden. "Tatsache ist, dass nur Technologie-Unternehmen und Fahrzeughersteller wissen, wie sicher ihre Systeme sind", unterstrich der Geschäftsführer des Europäischen Verkehrssicherheitsrats ETSC, Antonio Avenoso, nachdem im Frühjahr in den USA ein Fußgänger beim Zusammenprall mit einem autonomen Fahrzeug tödlich verunglückte.

In der Übergangsphase entstehen neue Risiken

Auf Betriebshöfen oder in anderen begrenzten, klar definierten Bereichen sind automatisierte Fahrvorgänge wesentlich leichter umzusetzen als im komplexen Verkehr von Innenstädten oder auf Landstraßen. Es werden noch einige Jahre vergehen, "bis mit einer nennenswerten Anzahl von Fahrzeugen automatisiert gefahren werden kann", meint der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR). Als erstes sei hochautomatisiertes Fahren auf Autobahnen und vollautomatisiertes Fahren beim Parken zu erwarten. "Lange Zeit werden manuell geführte Fahrzeuge und solche mit neuen Technologien nebeneinander auf unseren Straßen unterwegs sein", heißt es seitens DVR. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer, dieses Nebeneinander ist ein Problem. "Allerdings entstehen in der Übergangsphase neue Risiken", stellt die EU-Kommission fest und verweist auf hochautomatisierte Fahrzeuge im gemischten Verkehr und die komplexe Interaktion zwischen Fahrer und Fahrzeug.

Eine Studie des Internationalen Transport Forums der OECD betont ebenfalls, dass Entscheidungen noch komplexer werden, wenn sich Roboter und Mensch die Verantwortung für ein Fahrzeug teilen. "Die unbeabsichtigte Folge könnte sein, dass Autofahren anstatt sicherer weniger sicher wird", stellen die Wissenschaftler fest (siehe Bericht S. 24). Sie gehen davon aus, dass erst vollständig autonomes Fahren die Zahl schwerer Unfälle deutlich senkt. Aber diese Technologie sei immer noch im Experimentierstadium, mit ihrer weiten Verbreitung frühestens in Jahrzehnten zu rechnen. Der Europäische Verkehrssicherheitsrat bezeichnet es als einen "weit verbreiteten Mythos", dass automatisierte Fahrzeuge 90 Prozent der durch menschliche Schwächen verursachten tödlichen Unfälle verhindern könnten, der ITF-Bericht spricht von einer "unbewiesenen und unsicheren Hypothese". Bei vielen Unfällen sei menschliches Versagen nur eins von mehreren Kriterien. Und wenn dieses menschliche Versagen von Seiten der Fußgänger, Fahrrad- oder Motorradfahrer komme, ändere daran auch ein automatisiertes Fahrzeug nichts.

Antonio Avenoso Foto: Antonio Avenoso
Antonio Avenoso, Geschäftsführer des Europäischen Verkehrssicherheitsrats ETSC:"Nur Technologie-Unternehmen wissen, wie sicher ihre Systeme sind."

Stand in den USA

  • In den USA werden unter der Federführung von Unternehmen aus dem Silicon Valley bereits seitJahren automatisierte Fahrzeuge getestet.
  • Der Kongress will mit dem „Self Drive Act“ einen einheitlichen gesetzlichen Rahmen schaffen.
  • Erreicht werden soll ein wirtschaftlicher Vorsprung vor Europa und Asien.
  • Außerdem verspricht man sich weniger Tote und Verletzte auf den Straßen.
  • Ausnahmegenehmigungen sollen ermöglichen, dass autonome Fahrzeuge auf die Straße gelangen.
  • Ihre Zahl soll von zunächst 25.000 innerhalb von drei Jahren auf 100.000 ansteigen.
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