Autonome Studie Mercedes-Benz Vision Urbanetic Daimler blickt ins Jahr 2030

Mercedes-Benz Vision Urbanetic Foto: Markus Bauer 25 Bilder

Daimler hat eine neue fahrerlose Konzeptstudie für den Innenstadtverkehr ab den 2030er Jahren vorgestellt. Der Vision Urbanetic nimmt Module für Passagiere und Güter auf.

Die Basis dieses neuen Bausteins für Daimlers Zukunftsstrategie Advance (autonomous@vans) bildet ein selbstfahrendes Chassis, das alle für den autonomen Verkehr nötigen Bauteile wie die Sensorphalanx und alle Antriebskomponenten vereint. Darauf kommen verschiedene Aufbauten. Daimler zeigt zunächst eine Variante für den Personen- und eine für den Frachttransport. Um einen Aufbau aufzunehmen, fährt das Chassis zu einer Wechselplattform. Dort heben hydraulische Stützen das Chassis etwas an und stabilisieren es gleichzeitig. Dann fahren die Hinterräder nach außen, um Platz zu machen. Über ein Schienensystem lässt sich der Wechselaufbau dann entweder automatisiert oder manuell und innerhalb von Minuten über das Fahrzeugheck ja nach Wunsch aufsatteln. Dazu ist laut Daimler keine zusätzliche Infrastruktur nötig, also weder Kran noch Ameise.

Zehn Paletten, zehn Kubikmeter

Bei der Premiere in Kopenhagen zeigt Daimler zwei grundlegende Versionen des Wechselmoduls. Das Cargo-Modul orientiert sich optisch an einem Überseecontainer und soll so vor allem Funktionalität ausstrahlen. Bei einer Fahrzeuglänge von 5,14 Metern realisiert Daimler eine Laderäumlänge von 3,70 Metern und ein Volumen von zehn Kubikmetern. Mit einem auf halber Höhe eingezogenen flexiblen Ladeboden lassen sich laut Daimler zehn EPAL-Paletten (Gitterboxen) laden. Braucht die Ladung die maximale Innenhöhe, lässt sich der Boden wegklappen. Beladen wird das Modul über eine Drehtür im Heck, manuell oder vollautomatisch.

Mercedes-Benz Vision Urbanetic Foto: Daimler
Die Cargo-Variante erinnert an einen Übersee-Container.

Speziell für den KEP-Bereich sieht Daimler vor, dass der Vision Urbanetic Pakete zustellen kann. Dabei vereinbart der Kunde Ort und Zeitfenster. Das Paket wird zunächst in den Smart City Hub geliefert. Dort übernehmen die autonomen Lieferwagen. Der Kunde kann sein Paket dann am Wunschort durch eine Klappe im Aufbau in Empfang nehmen. Dank der flexiblen Zeiten entfallen zweite Zustellversuche oder der Gang zum Paketshop. Wird der Vision Urbanetic eingesetzt, um Läden in der Innenstadt zu beliefern, erfolgt im Hub die Bestückung des Cargo-Moduls mit allen nötigen Waren. Am Bestimmungsort angekommen, setzt das Chassis das Modul ab und fährt solo wieder zurück zum Hub. Dort nimmt er ein neues Modul auf, etwa ein Personen-Modul, um im Anschluss Pendler zur Arbeit zu bringen. Dadurch kann das Fahrzeug an sich weiter produktiv sein und muss während des Be- und Entladens im Lager oder beim Empfänger unnötig herumstehen.

Zwölf Passagiere in drei Zonen

Das sogenannte People-Mover-Modul soll für maximal zwölf Fahrgäste auf acht Sitz- und vier Stehplätzen Platz bieten. Dazu ist es in insgesamt drei Zonen mit fließendem Übergang unterteilt. Diese Unterteilung spiegelt sich auch im Design wieder. Während vorne große Fenster beispielsweise Touristen auf Sightseeingtour erfreuen, fällt das Heckabteil eher heimelig aus. Die Fahrgäste dort haben also einen von außen eher geschützten Raum. In der Mitte, also direkt an der großen Schiebetür, stehen die Fahrgäste, die nur für eine kurze Strecke mitfahren. Blickt der Fahrgast nach oben, sieht er ein rundes Oberlicht. Ringsherum verläuft ein 360-Grad-Display.

Mercedes-Benz Vision Urbanetic Foto: Daimler
Die Passagier-Variante ist schon aus Sicht des Designs in mehrere Zonen aufgeteilt.

Kommunikation mit der Umwelt

Das polarisierende Design des People-Mover-Moduls vereint ein Ei als Grundform mit, so die Aussage von Daimler, Designelementen aus der urbanen Architektur. Dazu kommen LED-Leuchtelemente über 40 laufende Meter über das ganze Fahrzeug verteilt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kommunikation. Zunächst steht das Auto über Car-to-X-Kommunikation mit seiner Umwelt in Kontakt und erfasst Ampeln und Verkehrsschilder. Ob der Vison Urbanetic gleich losfährt, ist einerseits an Animationen, andererseits daran zu erkennen, dass die „Scheinwerfer“, in denen sich die Sensoren befinden, aus der Karosserie ausfahren. Wesentlich komplexer ist es aber, zwischen Mensch und Maschine zu vermitteln und Vertrauen aufzubauen.

Die Leuchtbänder dienen dazu einerseits dem Design, geben dem Vision Urbanetic gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, mit seinem Umfeld, vor allem mit schwächeren Verkehrsteilnehmern, zu kommunizieren. Denn genau das tun Verkehrsteilnehmer schließlich untereinander – sei es am Zebrastreifen oder beim Einscheren lassen, per Blickkontakt oder mit Gesten. Im Vision Urbanetic übernimmt das ein sogenanntes Human-Machine-Interface (HMI). Zu dieser aktiven Kommunikation gehört neben den Displays außen am Fahrzeug die LED-Anlage. 360-Grad-Sensoren erkennen Fußgänger oder Fahrradfahrer in direkter Nähe. Das sogenannte digitale Shadowing projiziert dann die Silhouette des Verkehrsteilnehmers über die LEDs an die Seitenwand. So sieht der Fußgänger, dass das Fahrzeug ihn erkannt hat. Verschiedene Farben lassen sich weiteren Informationen zuordnen.

Video zum Thema
Mercedes-Benz Vision Urbanetic
Mercedes-Benz Vision Urbanetic

Der Mensch muss der Technik vertrauen

Vertrauen muss der Mensch der Maschine aber auch bei der Bedienung. Das beginnt bei der Reservierung einer Fahrt in der App. Der ganze Prozess muss möglichst einfach und intuitiv ablaufen. Das bedeutet auch, dass der Passagier nach der Reservierung sein persönliches Shuttle schnell und eindeutig erkennen muss. Über die zugehörige App bekommt er per Augmented Reality die Haltestelle angezeigt, erhält eine Fahrzeugnummer, die der Vision Urbanetic auch auf dem Außendisplay zeigt, dazu kommt eine individuelle Farbe der LED-Leisten und ein selbstgewählter Avatar. Vor Antritt der Fahrt kann sich der Fahrgast verschiedentlich authentifizieren, um nicht aus Versehen ins falsche Shuttle zu steigen, beispielsweise direkt in der App, per Fingerabdruck oder über Gesichtserkennung.

System Wechselaufbau ins dritte Jahrtausend überführt

Das Konzept an sich ist aber eigentlich gar nicht so neu. Schließlich bietet Daimler, genau wie andere Hersteller, schon seit Jahrzehnten neben fertigen Bussen und Kastenwagen auch etwa Sprinter-Fahrgestelle an. Die lassen sich, ganz ähnlich wie der Vision Urbanetic mit speziellen Aufbauten für alle möglichen Einsätze versehen. Im Vergleich zur Studie dauert die Umrüstung allerdings statt Minuten eher Stunden und Tage und ist vergleichsweise permanent. Dazu kommt die Randnotiz, dass ein aktuell erhältliches Transportermodell natürlich auch nicht vollautonom-emissionsfrei unterwegs ist.

Rinspeed Snap auf der CES 2018
Neue Studie für urbane Mobilität

Auch andere Unternehmen wie beispielsweise ZF mit Rinspeed haben bereits ähnliche Konzepte vorgestellt. Daimler konzentriert sich mit seinem Vision Urbanetics jedoch nicht nur auf das Fahrzeug, sondern will ein ganzheitliches Konzept für den Straßenverkehr in Innenstädten ab 203X abliefern. Dafür ist das Chassis mit seinen beiden Aufbauvarianten nur die haptische Grundlage. Ein weiterer Teil des Konzepts ist eine IT-Infrastruktur, die das ganze Konstrukt überwacht. Sie behält in Echtzeit den Überblick über die Flotte und über Angebot und Nachfrage nach Fracht oder Passagierdiensten. Das erreicht das Konzept, indem es voll vernetzt auch lokale Informationen auswertet. Findet beispielsweise gerade ein Konzert statt, ist es wahrscheinlich, dass in naher Zukunft mehr Menschen als sonst ein Shuttle rufen. Nicht benötigte Cargo-Einheiten fahren dann in den Hub und tauschen ihr Modul gegen eine Passagierkabine aus. Grundsätzlich könnte es auch detaillierter auswerten, wo sich Menschenansammlungen befinden. Google Maps nutzt für seine Verkehrsvorhersage unter anderem Mobilfunkdaten: Viele Smartphones bedeutet viele Autos, oder auch viele Menschen, die ein Shuttle brauchen könnten. So kann ein solches System flexible und ohne Fahrplan reagieren. Gleichzeitig soll das Prinzip des Ridesharings, ob für Fracht oder Personen mehr Ladung mit weniger Fahrzeugen befördern. Das entlastet die Innenstädte.

Vorteile für Betreiber

Auch für etwaige Betreiber bietet dies Vorteile und wirkt sich positiv auf die Betriebskosten aus. Mit Ausnahme der Ladezeiten können die Fahrzeuge rund um die Uhr genutzt werden. Das macht laut Daimler im Personennahverkehr auch Lösungen rentable, die mit einem Fahrer nicht wirtschaftlich wären. Gleichzeitig wirke das Konzept dem wachsenden Fahrermangel entgegen.

Beim Stichwort Betreiber zeigen sich Daimlers Ambitionen deutlich, sich vom Fahrzeugbauer zum Mobilitätsdienstleister weiterzuentwickeln. Denn in der Zukunft wird es nicht mehr nur darum gehen, Fahrzeuge zu verkaufen. Daimler könnte die Chassis und Module auch selbst betreiben, also rein hypothetisch Geld verdienen, ohne ein einziges Auto zu verkaufen. Der Kunde hat also die Wahl, welches Stück der neuen Vision Urbanetic Welt er möchte: den ganzen Kuchen inklusive Hardware und IT-Infrastruktur oder auch nur einen ganz kleinen Teil, also die einfache Fahrt von A nach B.

Ausblick ins vierte Jahrzehnt

Letztlich bleibt die Studie Vision Urbanetic aber lediglich eine Momentaufnahme, wie sich Ingenieure die urbane Welt im Jahr 203X vorstellen. Das gilt für die Sensorik und Antriebstechnik genauso wie für die digitale Infrastruktur um die Studie herum. Unter Umständen hat die Gegenwart diese Zukunft bis dahin schon lange überholt. Fest steht aber, dass Daimler Feldversuche mit dieser Art von Fahrzeugen schon deutlich früher anstrengen dürfte.

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