Fälle aus der Autobahnkanzlei Gefahrgut kommt ins Wanken

BAG kontrolle, Parkplatz Aichelberg  Gefahrgutkontrolle Gefahrgut   Ladungssicherung Foto: Markus Braun

Ein Lkw-Fahrer ist unterwegs mit einer Mischladung: leichte Normalfracht und Gefahrgut. Bei einer Kontrolle bemängeln die Behörden, dass ein Teil der Ladung verrutscht ist. Bußgeld und ein Punkt drohen.

Bußgeld: 300 Euro – ganz schön viel; und ein Punkt in Flensburg – der ist immer zu viel. Das erwartet Richard*, wenn sein Bußgeldbescheid Bestand haben sollte. Das will ich natürlich verhindern und lege sofort Einspruch ein. Ein paar Monate später ist die erste mündliche Verhandlung angesetzt. Dabei wird viel hin und her geredet. Es verhandelt ein junger Proberichter. Der ist aber nicht zu unterschätzen und blitzgescheit. Er beraumt einen Fortsetzungstermin genau drei Wochen später an, zu dem er Verstärkung ordert. Zwei Vertreter der Bußgeldbehörde, die im Gefahrgutrecht kompetent sein sollen, bittet er, an der Verhandlung teilzunehmen. Richard ist bei der Verhandlung mit dabei. Als er gefragt wird, ob er eine Stellungnahme abgeben wolle, erklärt er, dass er keinerlei Gerichtserfahrung habe und ziemlich aufgeregt sei. Er bittet mich, das für ihn zu erledigen. Das tue ich. Im vorliegenden Fall muss ich zuerst einmal klarstellen, dass es sich um einen kombinierten Transport von Gefahrgut und "Normalgut" handelt.

Behördenvertreterin gibt keine Stellungnahme ab

Auf Paletten mit Gefahrgutkanistern waren weitere Paletten mit leeren, also sehr leichten Gütern gestapelt. Tatsächlich waren diese in der zweiten Etage stehenden Paletten während der Fahrt etwas verrutscht und gekippt. Die Kanten der Paletten hätten auf die Kanister in der ersten Etage drücken können. Für die Gefahrgutkanister habe jedoch keinerlei Gefahr bestanden, führe ich aus. Ich weise darauf hin, dass diese Kanister eine große Stabilität haben müssen und auch gehabt hätten. Zudem waren die Paletten ja sehr leicht. Sie wogen inklusive Ladung jeweils gerade einmal 24 Kilogramm. Damit waren sie absolut nicht geeignet, irgendeinen Kanister zu durchstoßen. Irgendwelche Druckstellen gab es an den Gefahrgutkanistern auch nicht. Das belege ich gegenüber dem noch skeptischen Richter mit Fotos am Richtertisch. Das Gericht hört konzentriert zu, macht sich Notizen und erteilt nun den zwei kopfschüttelnden Behördenvertretern die Gelegenheit zur Stellungnahme. Die bitten um eine Unterbrechung. Nach fünf Minuten betreten sie wieder die heilige Halle der Justiz, um mitzuteilen, dass sie gegenwärtig keine Stellungnahme abgeben werden. Der Richter ist wenig amüsiert über dieses Verhalten und zugegebenermaßen auch etwas irritiert. Schließlich hat er sich doch in diesem speziellen Rechtsgebiet Hilfe von denjenigen erhofft, die den Bußgeldbescheid in die Welt gesetzt haben. Er erteilt nunmehr etwas verzweifelt wieder mir das Wort und fragt, ob ich noch etwas vorzutragen hätte. Ja, klar! Logisch!

Auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe muss ich unbedingt noch hinweisen. Dieser liegt ein durchaus vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Das Oberlandesgericht hat damals ausgeführt, dass die sehr spezielle Vorschrift bei Gefahrguttransporten eine Vorwerfbarkeit gegenüber dem Fahrer tatbestandsmäßig voraussetze. Dieser müsse Kenntnis von dem die Gefahr begründenden Sachverhalt haben. Das bedeute, erläutere ich, dass Richard während der Fahrt hätte erkennen müssen, was sich da hinten unter der Plane abspielt. Das habe er aber nicht merken können. Er habe vor der Abfahrt eine sorgfältige Kontrolle gemacht, und er habe nicht damit rechnen müssen, dass dort etwas kippen würde. Wie das passiert ist, könne er sich selbst nicht erklären. Selbst wenn also objektiv ein Verstoß vorliege, sei dieser nicht zurechenbar, schließe ich und benenne noch einmal das Aktenzeichen des Oberlandesgerichts Karlsruhe. Der Richter schreibt sich weiter alles auf, will nunmehr aber endlich etwas von den Vertretern der Behörde hören. Diese tuscheln nur ein wenig hin und her. Die Behördenvertreterin setzt dann an, als wollte sie Gewichtiges vortragen. Sie erklärt: "Wir geben keine Stellungnahme ab." Der Richter reagiert darauf mehr als verdutzt. Man sieht ihm an, dass er etwas angesäuert ist und dass er sich irgendwie im Regen stehen gelassen fühlt. Als Nächstes bittet er den Zeugen – den Kontrollbeamten – herein.

Richter stellt das Verfahren ein

Auf Nachfrage des Richters, ob er denn die schräg stehende Palette einmal angefasst habe, äußert der Zeuge: Ja, klar, das habe er gemacht. Die habe er doch mit einer Hand bewegen können, weil die total leicht gewesen seien. Das ist das klassische Eigentor eines Zeugen. Ich muss etwas in mich hineingrinsen. Ich hatte ja ausgeführt, dass die Paletten aufgrund des geringen Gewichts keine Gefahr für die Kanister darstellen konnten. Durch die Zeugenaussage war mein eigener Vortrag bewiesen. Klasse. Herzlichen Dank! Dem Richter reicht es immer noch nicht. Auf die Frage nach der Belastbarkeit der Kanister antwortet der Zeuge, dass diese nach DIN ohne Gefährdung bis zu drei Meter hoch gestapelt werden können. Bingo! Auch das ist ausgesprochen nützlich für die Verteidigung: Der Zeuge belegt die Stabilität der Gefahrgutkanister. Der Richter wendet sich etwas frustriert den Behördenvertretern zu und bittet diese um ein abschließendes Statement. Die flüstern erneut, dieses Mal aber etwas aufgeregter und ein wenig länger. Ein Behördenvertreter erhebt sich, anscheinend, um seiner folgenden Erklärung mehr Gewicht zu verleihen, und erklärt: "Der Bußgeldbescheid bleibt aufrechterhalten." Das Gericht wiederum erklärt, dass der Bescheid ja jetzt bei Gericht liege und dass die Behörde diesen sowieso nicht mehr zurückziehen könne. Aber er wolle die Behörde darauf hinweisen, dass er den Vortrag der Verteidigung überzeugend finde. Er legt den Behördenvertretern nahe, das Urteil des Oberlandesgerichts zu lesen.

Den Behördenvertretern fehlt zu der Auffassung des Gerichts jeder Zugang. Sie sind völlig überrascht und überfordert mit der Situation. Es machen sich Zweifel breit, ob sie die rechtliche Problematik überhaupt richtig durchschauen. Verbal blind um sich schlagend, mit einem überraschenden Eifer, versuchen sie, nun noch irgendetwas zu retten. Es sieht fast so aus, als ob die Existenz der Zentralen Bußgeldstelle von diesen 300 Euro abhinge. Irgendwann beendet der Richter die hitzige und unsachliche Diskussion, schließt die Beweisaufnahme, zieht sich zurück und verkündet zehn Minuten später seine Entscheidung. Er stellt das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG ein. Als ich ein paar Momente später mit Richard den Saal verlasse, höre ich, wie die Behördenvertreter schimpfend zum Richtertisch gehen und versuchen, den Richter in eine weitere Diskussion zu verstricken. Was soll das denn? Ich beteilige mich an dieser Diskussion nicht mehr. Für uns ist der Drops gelutscht. Ich fahre Richard noch zum Autohof. Er ist überglücklich und informiert noch aus meinem Auto seine beiden Vorgesetzten, seine Ehefrau und den Firmenchef über den Ausgang des Verfahrens.

Kleine Fälle

Maik* ist sich ganz sicher, dass er nicht überholt hat. Er kennt die Situation auf der B 17 ganz genau, kennt die dortige Auffahrt. Für Fahrzeuge, die auffahren möchten, gibt es in der Rushhour keine Chance. Denen muss geholfen werden, denkt Maik, und fährt auf die linke Spur, um Platz zu machen. Ein eifriger Polizeibeamter interpretiert dies als Überholen und zeigt Maik an. Die Richterin beim Amtsgericht kennt die Örtlichkeit und die Probleme. Sie hat nach der Einlassung von Maik und seinem Verteidiger Alexander Rietesel aus Berg deutliche Zweifel, ob ein Verstoß gegen das Überholverbot besteht. Trotzdem möchte sie den Zeugen noch hören. Für ihn war das, "logo, ganz klar ein Überholvorgang". Die Richterin überlegt ein wenig und setzt dann ganz ruhig die Vernehmung des Polizeibeamten fort. Sie hält ihm die Einlassung von Maik entgegen. Der Polizeibeamte denkt eine ganze Weile nach. Im Gerichtssaal ist es absolut still. Schließlich setzt er seine Aussage fort: Die Vorgeschichte kenne er ja nicht. Er habe das Fahrzeug dort eben auf der linken Spur gesehen und musste von einem Überholvorgang ausgehen. Die Richterin, die zudem nicht sehr begeistert über die fast leere Akte war, bietet eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG an. Kein Punkt. Kein Bußgeld. Autobahnanwalt Rietesel stimmt zu.

AG Augsburg Az.: 33 OWi 607 Js 132152/18 jug

Alexander Rietesel trägt für den anwesenden Fahrer Martin* vor, wie sich das alles ereignet hat. Er schließt seine Einlassung damit, dass hier keinesfalls der Tatbestand des § 5 Abs. 2 StVO – Elefantenrennen – vorliege. Zwar könne es sein, dass die Überholdauer etwas zu lang gewesen sei, vielleicht 1 Minute, 20 Sekunden. Hierfür allerdings könne Martin ganz und gar nichts. Das sei nicht seine Schuld. Martin habe nämlich einen Lkw mit Anhänger, der extrem langsam den Berg hochfuhr, überholt. Martin sei zwar beladen gewesen, habe aber einen besonders hoch motorisierten Lkw. Er durfte davon ausgehen, dass er den Laster locker überholen kann. Der schlich mittlerweile auch nur noch mit knapp 50 km/h. Martin gab Gas, scherte aus und begann, vorbeizufahren. Auf halber Höhe sah er, dass die Liftachse des Lasters hochgezogen war. Daraus schloss Martin, dass der Lkw unbeladen war. Vielleicht wollte der ja mit ihm ein blödes Spiel treiben? Richtig geraten. Der Lkw, der bis dahin deutlich langsamer war, beschleunigte, fuhr schneller, und es entwickelte sich genau das, was Martin nicht wollte, nämlich ein Elefantenrennen. Dafür konnte er nun wirklich nichts. Bei der Berufskraftfahrerausbildung fehle nämlich das Hellsehermodul, führt Alexander Rietesel aus. Nach spätestens 1 Minute, 20 Sekunden hatte Martin den Kollegen, der eine Spielwiese aus der Autobahn machen wollte, überholt. Was Martin nicht gesehen hatte, war, dass sich von hinten eine Polizeistreife angenähert hatte. Nachdem Autobahnanwalt Rietesel den Sachverhalt geschildert hat, endet er mit den Worten: "Lkw-Fahrer müssen schon verdammt viel leisten. In die Zukunft zu sehen, Frau Richterin, das können Sie von ihnen nicht verlangen." Trotzdem will die Richterin den Polizeibeamten noch hören. Der kann zu den Geschwindigkeiten nichts sagen, und die Vernehmung ist letztlich unergiebig. Er kann auch die Einlassung von Martin nicht widerlegen. Am Ende stellt die Richterin auch dieses Verfahren ein.

AG Kitzingen Az.: 1 OWi 962 Js 21264/18

Kanzlei Autobahnkanzlei Möller Fälle Gefahrengut Hotline Rechtsberatung Anwalt Anwältin FF 6/2019 Foto: Autobahnkanzlei
Rechtsanwältin Heike Herzog sitzt in der Autobahnkanzlei am Fernfahrertelefon und steht euch mit Rat und Tat zur Seite. Hier ein Auszug von Fragen der Kollegen – und die Antworten der Juristin.

Fernfahrertelefon

Rechtsanwältin Heike Herzog sitzt in der Autobahnkanzlei am Fernfahrertelefon und steht euch mit Rat und Tat zur Seite. Hier ein Auszug von Fragen der Kollegen – und die Antworten der Juristin.

Regina*: „Warum lesen wir eigentlich so oft von Einstellungen und nicht von Freisprüchen? Bei der Einstellung gibt es doch auch keine Strafe. Da könnte doch auch gleich freigesprochen werden.“

Herzog: "Aus Sicht der Verteidigung ist das ganz einfach. Bußgeldverfahren sind oft für die Betroffenen eine ziemlich nervige Angelegenheit. Deswegen steht in der Regel im Vordergrund, einen punktefreien und endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Ein solcher ist eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG. Diese Einstellung ist auch durch die Staatsanwaltschaft nicht mehr anfechtbar. Darum kann sie im Gegensatz zum Freispruch, der noch durch Rechtsmittel anfechtbar ist, vorteilhaft sein. Das Verfahren ist punkte- und sanktionslos beendet – und das für immer."

Roger*: „Ich bin im Januar geblitzt worden. Im März bin ich umgezogen und habe tatsächlich Ende Mai einen Bußgeld­bescheid an meine neue Adresse erhalten. Ist diese Angelegenheit nicht verjährt?“

Herzog: „Lieber Roger, das lässt sich ohne Akte in der Hand schwer beantworten. Ich mutmaße aber mal, dass die Behörde probiert hat, den Anhörungsbogen an die alte Adresse zu schicken. Das bedeutet dann aber auch, dass die Fertigung des Anhörungsbogens und damit die Anhörung behördenintern verfügt wurde. Diese behördeninterne Verfügung reicht für die Verjährungsunterbrechung aus. Wenn das also innerhalb der ersten drei Monate nach der Geschwindigkeitsüberschreitung passiert ist, dann gab es – egal, ob du die Anhörung bekommen hast oder nicht – eine neue Dreimonatsfrist. Wie gesagt: Man muss genau hinschauen, aber man kann noch nicht sicher sein, dass die Sache verjährt ist. Ich habe eher Zweifel.“

Jubiläum Autobahnkanzlei Melle Foto: Autobahnkanzlei
Autobahnkanzlei Mellingen.

Neues aus der Autobahnkanzlei

Bei unserer Jubiläumsfeier in Mellingen haben sich die Anwälte der Autobahnkanzlei nicht nur über den zehnten Geburtstag der dortigen Kanzlei gefreut. Den Anwälten wurde zufällig am selben Tag eine große Ehre zuteil: Ein deutscher Buchverlag hat nämlich angefragt, ob wir als Autorenteam bereit wären, ein juristisches Fachbuch zu schreiben. An der Gliederung wird bereits gearbeitet. Mehr dazu demnächst.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FERNFAHRER 06 2019 Titel
FERNFAHRER 06 / 2019
4. Mai 2019
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