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Auslaufende Produktion So geht es mit Streetscooter weiter

Streetscooter Work XL Foto: Thomas Küppers

Deutsche Post DHL hat das Produktionsende für den eigenen E-Transporter angekündigt. Das sind die Gründe und die nächsten Schritte.

Lange gab es Gerüchte, seit dem 28. Februar ist es offiziell: Die Deutsche Post zieht den Stecker des Prestigeprojekts Street­scooter. Versteckt in einer Pressemitteilung über die Ebit-Prognose für das Jahr 2020 und die Auswirkungen des Corona­virus begründete der Konzern das überraschende Ende. Zwar habe das im Jahr 2014 übernommene Start-up eine wichtige Rolle bei der Elektrifizierung der Flotte gespielt, doch durch das Ausbleiben eines Partners habe die Fortführung langfristig keinen Sinn, erst recht nicht in den schwierigen Zeiten der aktuellen Weltwirtschaft. „Wir haben immer gesagt, dass wir kein Auto­hersteller sein wollen“, erklärt Frank Appel, Vorstandschef von Deutsche Post DHL, diesen Schritt. Zukünftig will man sich deshalb auf den Betrieb der Bestandsflotte konzentrieren.

Produktion läuft noch weiter

Doch bevor die Post den Schalter endgültig umlegt, will sie noch weitere Streetscooter produzieren. Gegenüber Eurotransport erklärt ein Post-Sprecher, der Konzern plane in einer Größenordnung zwischen 5.000 und 7.000 E-Transportern. Ihre Auslieferung werde sich teilweise noch bis in das kommende Jahr hineinziehen. Die regelmäßige Inspektion und Wartung der Streetscooter leisten künftig Werkstattpartner über bestehende Wartungsverträge.

Doch wie kam es zum plötzlichen Ende des einst gefeierten Konzepts? Bei der Übernahme war die Botschaft der Post noch mehr als eindeutig gewesen: Da die etablierten Autohersteller keine spezialisierten E-Transporter in relativ kleiner Stückzahl anbieten können, muss der Konzern selbst aktiv werden. Die Bonner bauten den früheren Ableger der RWTH Aachen deshalb massiv aus und machten ihn zu einem elementaren Teil ihrer Umweltkampagne Go Green, zu der auch zwei- und dreirädrige E-Lasten­räder gehören.

Foto: Amazon
Auch Externe konnten den Streetscooter kaufen – zum Beispiel Amazon.

Und zumindest nach außen funktionierte das Vorhaben. Mehr als 10.000 gelbe Stromer sind mittlerweile im abgasfreien Einsatz. Dazu kamen auch einige externe Abnehmer wie der amerikanische Onlinegigant Amazon und der japanische Paketdienst Yamato. Dieser hatte erst im März des vorherigen Jahres 500 Streetscooter bestellt – ein Teil wurde bereits ausgeliefert. Die Japaner übernehmen die Wartungs- und Reparaturleistungen ihrer E-Transporter dabei selbst.

Für Aufsehen sorgte außerdem eine Kooperation mit dem Autobauer Ford, aus der das Modell Work XL hervorging. Die Basis dafür liefert das Fahrgestell des Ford Transit, produziert wurde bisher in einem Kölner Ford-Werk. Darüber hinaus gab es Planungen, einen Brennstoffzellentransporter (H2 Panel Van) zu entwickeln. Das Tochterunternehmen hatte also seit der Übernahme viele ambitionierte Vorhaben.

Streetscooter Work XL Foto: Streetscooter
Das Modell Work XL basiert auf dem Fahrgestell des Ford Transit.

Uneinigkeit im Management

Doch nach nicht einmal fünf Jahren gab es erste größere Zweifel an der Zukunft. Im April 2019 verließ Mitgründer Professor Achim Kampker die Deutsche Post; vorausgegangen war ein Streit mit CEO Frank Appel über die zukünftige Ausrichtung. Kampkers Nachfolger Jörg Sommer kam vom kalifornischen E-Nutzfahrzeug-Start-up Chanje und hielt nicht einmal ein Jahr durch. Auch in diesem Fall waren „unterschiedliche Auffassungen zur zukünftigen Ausrichtung des Unternehmens“ der Grund für das Ende. Im Fokus der strategischen Probleme stand die lange und glücklose Suche nach einem Partner, der beim Stemmen des defizitären Zukunftsprojekts helfen sollte. Auch ein Verkauf der Post-Tochter war zuletzt denkbar. Das Scheitern beider Optionen und die schwierige wirtschaftliche Lage zum Jahresstart 2020 besiegelten schließlich das Ende. Die diversen Projekte gerieten so in die Schwebe.

Gegenüber Eurotransport bestätigt der Post-Sprecher nun, die Entwicklung des Brennstoffzellentransporters sei gestoppt worden. Zudem werde man zwar mit Ford über die Zukunft des Work XL sprechen, „eine Fortsetzung der Produktion ist unter den jetzigen Umständen nicht vorgesehen“. Für die etwa 500 Mitarbeiter an den Standorten Aachen und Düren gebe es durch die auslaufende Produktion sowie Ersatzteil- und Wartungsaufgaben allerdings zukünftig noch Tätigkeiten. Details, auch zum möglichen Umfang des Stellenabbaus, werden in den kommenden Wochen geklärt.

Größerer E-Transporter-Markt

Eine weitere drängende Frage ist, wie die Deutsche Post ihre hochgesteckten Ziele bei der Elektrifizierung und der Null-Emissio­nen-Logistik bis 2050 erreichen will. Denn obwohl die Produktion des Streetscooter nicht abrupt beendet wurde, wächst der Bedarf an alternativen Antrieben weit über das angestrebte Kontingent hinaus. Der Post-Sprecher verweist hier auf bereits seit Jahren bestehende feste Lieferbeziehungen mit verschiedenen Herstellern von Zustellfahrzeugen und das gängige Ausprobieren geeigneter Elektromodelle.

Seit der Anfangszeit von Streetscooter hat sich im Markt der E-Transporter nämlich viel getan. Neben den Elektro-Varianten der Klassiker VW Crafter und ­Mercedes Sprinter haben auch andere Hersteller nachgezogen. So bieten zum Beispiel Iveco, MAN, Opel oder auch Renault aktuell oder in naher Zukunft Alternativen an. Angesichts des Drucks auf die Hersteller, möglichst viele Elektrofahrzeuge abzusetzen, müssen sie zudem lukrativere Angebote machen, was den Wettbewerb verschärft.In Amerika hat Amazon derweil einen Megadeal mit dem ­E-Auto-Start-up Rivian abgeschlossen: 100.000 E-Lieferwagen sollen ab 2021 beim Bestellriesen zum Einsatz kommen. Amazon war vorher schon mit 700 Millio­nen US-Dollar bei Rivian eingestiegen. Kritiker sprechen davon, dass Streetscooter links und rechts überholt worden sei.

Foto: Matthias Rathmann
Noch gibt es Hoffnung für Streetscooter. Der Mitgründer Prof. Günther Schuh denkt über eine Übernahme nach.

Übernahme durch Gründer?

Recht angesäuert reagierte Mitgründer Günther Schuh auf die Entwicklung seines früheren Start-ups. Der Professor für Produktionssystematik warf der Deutschen Post DHL in einem Gastkommentar im „Handelsblatt“ schwere Fehler vor. Unter anderem kritisiert er das Ausbremsen des externen Vertriebs sowie der Internationalisierung und hält Teile des Managements für völlig ungeeignet. Die Investitionen seien so klein wie möglich gehalten worden, und der reine Fokus auf wirtschaftliche Kennzahlen sei zu stark. Trotz der markigen Worte erklärte Schuh später in der „Wirtschaftswoche“, mit der Deutschen Post DHL in Kontakt zu stehen und über eine Übernahme nachzudenken. Für ihn bleibt so der Hoffnungsschimmer, dass er seinem Herzens­projekt einen ­lebensrettenden Stromstoß geben kann.

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