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Ausbildung im Mittelstand Ohne Eigeninitiative läuft nichts

Ausbildung zum Berufskraftfahrer, bewirb dich jetzt, Nuss Foto: Jan Bergrath 10 Bilder

Alle reden vom Fahrermangel. Doch nur der gut organisierte Mittelstand ergreift bei der Ausbildung junger Menschen wirklich die Initiative. Dabei muss so manche Hürde überwunden werden.

Dein Chef bittet dich, kurzfristig eine Tour zu übernehmen. Du bist aber schon mit Freunden verabredet. Wie reagierst du?“ Schon die zweite Frage des Profiltests auf der Internetseite www.werde-kraftfahrer.de ist gewissermaßen eine Fangfrage. Ganz schön gemein eigentlich, wenn man 16 oder 17 Jahre alt ist und sich überlegt, Berufskraftfahrer zu werden. Denn ein
pflichtbewusster Lkw-Fahrer sagt natürlich die Verabredung ab, ungeachtet dessen, ob er die Tour und den versauten Feierabend vielleicht einem dummen Planungsfehler in der Disposition zu verdanken hat. Das war schon immer so, und es müsste ein Wunder geschehen, sollte es sich in Zukunft ändern.

Die Transportbranche braucht dringend Nachwuchs. Und plötzlich merken die Speditionen: Huch, die demografische Falle gibt es ja wirklich! So sollen in den nächsten 15 Jahren rund ein Drittel der etwa 777.000 Fahrer altersbedingt aufhören. Jetzt wird die Zeit langsam knapp. Denn da das Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz seit September 2009 den Jobzugang für Quereinsteiger beschränkt, kamen letztes Jahr „netto“ nur rund 11.000 qualifizierte Fahrer neu auf den Arbeitsmarkt. 9.600, die vor der IHK die Prüfung bestanden haben, und 1.500 aus der dreijährigen Ausbildung.

Junge Leute werfen oft schnell das Handtuch

Doch viele haben schon wieder das Handtuch geworfen, weil sie mit den Arbeitsbedingungen nicht klarkamen. Etwa junge Leute, weil sie sich einfach etwas anderes vorgestellt haben. Um genau das zu vermeiden, gibt es die anfangs genannte Internetseite vom Bundesverband Güterkraftverkehr und Logistik (BGL) e.V. und der SVG Bundes-Zentralgenossenschaft Straßenverkehr. Sie soll junge Männer und Frauen anregen, sich für einen „Beruf mit Perspektive“ zu entscheiden.

Und dann sitzen sie allein daheim vor dem Rechner, lesen erst von den „vielseitigen und verantwortungsvollen Aufgaben“, die sie erwarten, und dass sie die „Visitenkarte des Unternehmens“ seien. Legitim vor dem Hintergrund, Werbung für die Branche zu betreiben. Aber die heile Welt gerät schnell ins Wanken, sobald die Massenmedien wieder über einen schweren Lkw-Unfall oder betrügerische Machenschaften in der Transportwelt berichten. Das Image der Branche ist nach wie vor nicht gut.

Profiltest hilft, sich richtig einzuschätzen

Doch gerade Jugendliche laufen häufig Gefahr, sich selbst falsch einzuschätzen. Deshalb lohnt es sich für sie, die zehn Fragen des Profiltests zu beantworten. Das Ergebnis: Wer schnell die Lust verliert, bei schwierigen Aufgaben rasch mutlos wird, nicht zu viel Arbeit, aber dafür ein möglichst hohes Einkommen haben will und dazu auch noch ein ziemlich unaufgeräumtes Zimmer hat, der sollte es sich besser nochmals überlegen. Der beste Tipp für potenzielle Kraftfahrer: Manche Speditionen bieten mittlerweile ein- bis zweiwöchige Praktika an. Einfach mal mit einem alten Hasen eine größere Tour mitfahren, quasi als Stresstest für die eigene mentale Einstellung.

Genau mit diesen ganz normalen Schwierigkeiten der Jugendlichen hat Berufsschullehrer Klaus Bruns aus Meppen jetzt schon im fünften Jahr hautnah zu tun. „Oft stellt sich erst in der Lehre heraus, dass eine mangelnde Eignung für den Beruf besteht“, so Bruns. Für ihn ist einer der hauptsächlichen Gründe, warum so viele junge Menschen oft schon nach sehr kurzer Zeit keine Perspektive im Transportgewerbe mehr sehen und die Flinte ins Korn werfen, schlicht die mangelnde soziale Kompetenz – laut sozialwissenschaftlicher Definition „die Gesamtheit persönlicher Fähigkeiten und Einstellungen, die dazu beitragen, individuelle Handlungsziele mit den Einstellungen und Werten einer Gruppe zu verknüpfen und in diesem Sinne auch das Verhalten und die Einstellungen von Mitmenschen zu beeinflussen“. Auf Deutsch: Man sollte überzeugt sein, das dieser spezielle Lebensrhythmus und das Umfeld zu einem passen.

Ältere Jugendliche werden bevorzugt

Viele Unternehmen bevorzugen statt direkter Schulabgänger eher etwas ältere Jugendliche, die vielleicht schon eine Lehre durchlaufen oder abgebrochen haben. Die besitzen praktischerweise auch vielfach schon den Pkw-Führerschein. Und noch etwas unterscheidet die Transportbranche von vielen anderen Berufen: „Bei einem Drittel der Abbrecher waren gesundheitliche Gründe entscheidende Ursache der Vertragsauflösung. Eine leichte Sehschwäche oder die Erfordernis, ständig Medikamente einnehmen zu müssen, kann zu einem Problem werden“, erklärt Bruns.

Dazu kommt in der heutigen Gesellschaft der nicht zu unterschätzende Freizeitgedanke. „Es wird immer mehr zu einem sozialen Problem, nachts mit dem Lkw unterwegs zu sein“, sagt der Braunschweiger Spediteur und BGL-Vizepräsident Adalbert Wandt. Seit 1979 bildet sein Unternehmen Nachwuchsfahrer aus und auch er sieht gerade eine unzureichende Vorauswahl bei den jugendlichen Bewerbern als große Gefahr. Bislang 120, meist männliche, neue Fahrer konnte er rekrutieren – eine Erfolgsgeschichte. Rund die Hälfte ist ihm treu geblieben, einige schon mehr als 25 Jahre. Sie haben sogar nun zum Teil selber wieder Kinder, die eine entsprechende Ausbildung machen. Manche wechseln nach drei bis fünf Jahren zu anderen Firmen, weil sie eine Zeit lang in den internationalen Fernverkehr wollen. „Aber sie bleiben der Branche immerhin erhalten“, freut sich Wandt.

Haifischbecken Transportbranche

Fast schon ein Wunder. Denn die Transportbranche ist nicht gerade für soziale Kompetenz bekannt. Vom wettbewerbsgetriebenen Mittelständler über den Familienbetrieb mit Nestwärme bis hin zum selbstfahrenden Hasardeur, dem Banken, Leasinggesellschaften und Kunden im Nacken sitzen, ist alles vertreten. Ebenso wie die Palette der Fahrer vom lenkzeitbewussten Familienvater bis zum einsamen Trucker reicht, der seine pauschalierte Arbeitszeit für einen miesen Lohn verkauft. Vom generellen Wandel mit klaren und einfach einzuhaltenden Gesetzen und einem durchgehend vernünftigen Lohnniveau ist die Branche so weit weg wie die Erde vom Mond. Vielleicht ein Grund, warum im August auf der Internetseite des BGL noch knapp 300 Ausbildungsplätze für Berufskraftfahrer unbesetzt waren.

Eigentlich ist es eine gute Idee, eine in der Öffentlichkeit angefeindete Schlüsselbranche endlich einmal aufzuwerten, indem man auch die Fahrer, die sich bislang aus allen möglichen Berufen plus Bundeswehrführerschein rekrutiert haben, in ihrer Stellung aufwertet. Schon seit 1974 ist der Kraftfahrer ein anerkannter Ausbildungsberuf. Glaubt man dem BGL, gibt es bereits seit 2001 eine „neue Generation” von gut ausgebildeten, technisch versierten Berufskraftfahrern- und Fahrerinnen, da die Ausbildungszeit von zwei auf drei Jahre verlängert wurde, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden.

Jörg Magnussen von der Dekra Akademie in Meppen sieht das etwas differenzierter: „Jeder verbindet das Lkw-Fahren mit langen Lenk- und Arbeitszeiten. Tagelang von zu Hause weg, keine sozialen Kontakte, das schreckt viele junge Menschen ab. Doch erst seitdem bei einigen Betrieben die Leute in Kleingruppen weggelaufen sind, wird etwas mehr auf die Fahrer eingegangen.“

Ausbildungsinitiativen machen Hoffnung

Doch es gibt auch Erfolgsgeschichten, die Hoffnung machen – die Ausbildungsinitiativen. In der Regel mittelständische Firmen, hin und wieder ergänzt durch kleinere Betriebe, schließen sich zusammen, um die Ausbildung für die jungen Probanden attraktiver zu machen. Der zarte „Ansturm“, der sich daraus entwickelte, offenbarte gleich ein weiteres Manko: Es gibt nicht genügend Berufsschulen, die den Kraftfahrer im Lehrplan haben. Wer mit wenig Lehrgeld mehrere 100 Kilometer zur Schule fahren muss, verliert bald die Motivation.

Daher schlossen sich die Speditionen Große-Vehne aus Schwieberdingen, Benzinger in Friolzheim und Schuon a us Haiterbach zusammen, um in der bestehenden Berufsschule Schorndorf eine eigene Klasse für die Berufskraftfahrer zu gründen. „Dafür haben wir zwei Jahre gekämpft“, sagt Rainer Benzinger, Hauptinitiator der Initiative. Als langjähriger Bildungsbeauftragter bei Bosch konnte der Vater von Juniorchef Alexander auch seine Kontakte ins zuständige Kultusministerium in die Waagschale werfen. „Wir mussten uns verpflichten, eine Mindestanzahl von Schülern zu garantieren. Jetzt gibt es schon drei Klassen und der gesamte Großraum Stuttgart profitiert davon.“

Auch in Roth, Meppen, Bremerhaven und Kassel wurden so neue Klassen gegründet. Auf seiner Internetseite listet der BGL mittlerweile 40 Standorte auf. Noch zaghaft, zum Teil mit Hilfe von Dekra, SVG oder TÜV, beteiligen sich jetzt auch kleinere Betriebe an der Ausbildung, indem Inhalte aus dem Lehrplan wie Werkstatt oder Lager an größere Partner abgegeben werden.

Probleme mit Berufsschulen

Wie problematisch gerade das Thema Berufsschule ist, musste die Spedition Nuss aus Wörth erfahren. Die zuständige Berufsschule befindet sich aktuell in Bad Dürkheim. „Hier haben wir das Problem, dass die Auszubildenden drei bis vier Stunden unterwegs sind, um die Schule mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen“, sagt Ausbildungsleiter Alexander Ditz. „Dies ist für uns völlig unakzeptabel. Auch in Gesprächen mit den Eltern erleben wir oft, dass sie ihren Kindern
aufgrund des enormen Zeitaufwandes für die Berufsschule vom Beruf abraten. Deshalb überstellen wir unsere Schüler jetzt nach Karlsruhe. Das billigt bei unseren entsprechenden Anträgen sogar die in Rheinland-Pfalz zuständige Schulbehörde.“

Manche Unternehmen geben jetzt sogar richtig Gas und stellen fünf bis zehn Jugendliche pro Jahr ein. Wie die jetzt 20-jährige Katrin Seeger bei Schuon haben viele durch die Eltern ein positives Berufsbild mitbekommen und sind dadurch motiviert, den Beruf des Fahrers von allen Seiten kennenzulernen. Der lange Lernprozess bis zur IHK-Prüfung kann aber nur funktionieren, wenn ein kompetenter Ausbildungsleiter im Betrieb die jungen Leute an die Hand nimmt und darauf achtet, dass nicht nur der vorgegebene Lehrplan eingehalten, sondern auch die Ungeduld der Jugend im Zaum gehalten wird. Fahren wollen sie alle, so schnell wie möglich. Genau das nutzen manche Betriebe schlicht und einfach aus. Wer seine Rohdiamanten zu früh abschleift, hat allerdings schon verloren.

Wie Unternehmen potenzielle Fahrer finden, zeigt sich regelmäßig beim „Tag des Berufskraftfahrers“ in Meppen. Auch Nuss ist früh aktiv geworden. „Anfangs hatten wir sehr wenige Bewerbungen“, erinnert sich Ditz. „Wir waren sehr früh mit der Agentur für Arbeit in Gesprächen, um den Ausbildungsberuf bekannter zu machen. Leider bekamen wir aufgrund der Vielzahl an Berufen nicht die erwünschte Unterstützung.“ Schließlich startete Nuss selbst eine Werbeinitiative, stattete einen Lkw mit Werbeplane aus, druckte ansprechende Flyer im Eintrittskartenformat aus und verteilte sie gezielt an Schulen in der Region.
Der Erfolg zeichnete sich gleich im nächsten Jahr aus: „Wir hatten plötzlich dreimal so viele Bewerbungen wie bisher.“ Doch nicht nur das – durch die Ausbildungsinitiative ist es Nuss gelungen, dass jetzt 25 neue Ausbildungsstellen in der Südpfalz geschaffen werden. „Sechs Azubis kommen von uns, die übrigen laut Zusagen von anderen Betrieben“, sagt Ditz. „So können wir uns jetzt offiziell an die Berufsschule Germersheim wenden, um dort eine eigene Klasse für Berufskraftfahrer zu installieren. Für die Region wäre das ein Meilenstein in der Ausbildung.“

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