Die Reaktionen der Hersteller von Abbiegeassistenten auf ADAC-Vergleich fallen unterschiedlich aus, Grundlage waren Anforderungen von BMVI und UNECE.
Dass seit März diesen Jahres für Abbiegeassistenz-Systeme auch Kriterien nach UNECE (Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen) gelten – und nicht nur die des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) –macht es nicht gerade einfacher, den Überblick über den Markt zu behalten. Die neue UNECE-Richtlinie umfasst nicht nur Abbiegeassistenten, sondern auch andere Sicherheitssysteme, wie beispielsweise Messsysteme für den Reifendruck oder Alkohol-Wegfahrsperren, und gilt ab dem Jahr 2022 für neue Fahrzeugtypen und ab 2024 für alle neuen Lkw. Auch das wachsende Angebot, die unterschiedlichen technischen Merkmale und die verschiedenen Systembezeichnungen von Abbiegeassistenten machen es Unternehmern schwer, ohne weiteres das für sie passende System zu identifizieren.
Nun hat der ADAC im April einen Vergleich von vier Systemen veröffentlicht – und dafür Kriterien des BMVI und der UNECE herangezogen. Auch die Rate von Fehlauslösungen während der Fahrt im realen Straßenverkehr war ein Kriterium. Insgesamt hat dieser Vergleich zu ganz unterschiedlichen Reaktionen der Systemhersteller geführt, wie die Redaktion von trans aktuell recherchiert hat. Eine Veranstaltung der Kravag in der kommenden Woche stellt sieben Systeme vor, samt Live-Praxistest durch die Fachhochschule Westküste.
BMVI für Nachrüstmarkt
Seit Anfang des Jahres stellt das BMVI mit seiner „Aktion Abbiegeassistent“ jährlich fünf Millionen Euro bereit, um Unternehmer bei der Nachrüstung ihrer Lkw mit Abbiegeassistenz-Systemen zu unterstützen – bereits wenige Tage nach dem Start waren die Gelder ausgeschöpft.
Um die Förderung zu erhalten, ist es nötig, dass das Assistenzsystem nachgewiesener Maßen Kriterien erfüllt, die 2018 im deutschen Verkehrsblatt veröffentlicht wurden. Die Systeme unterscheiden sich nicht nur deutlich im Preis voneinander, sondern auch in ihrer Funktionsweise. Es gibt ultraschall-, radar-, und kamerabasierte Systeme.
Die noch recht neuen Anforderungen der UNECE haben nach Auskunft des BMVI zunächst keine Auswirkungen auf die Kriterien, nach denen das BMVI seine Fördergelder vergibt. Schließlich geht es bei der „Aktion Abbiegeassistent“ um Nachrüstsysteme und nicht wie bei der UNECE um in Neufahrzeugen eingebaute Systeme. Einer der Unterschiede zwischen den beiden technischen Anforderungskriterien zeigt sich bei der Detektionszone neben den Fahrzeugen: Sie ist nach BMVI-Anforderungen auf 2,5 Meter eingestellt, nach Anforderungen der UNECE auf 4,25 Meter.
Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) gibt es mittlerweile einen dritten Abbiegeassistenten, der eine Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) durch das KBA erhalten hat: die Turn Cam von Rosho Automotive Solutions. Die beiden ersten ABE bekamen die Nachrüstsysteme Turn Detect von Luis Technology und AAS-Wue von Wüllhorst Fahrzeugbau.
Seit fünf Jahren bereits baut Rosho Automotive Solutions Abbiegeassistenz-Systeme, anfangs für Agrar-Fahrzeuge, seit etwa drei Jahren verstärkt im Lkw-Bereich. Rosho ist nach eigenen Angaben seit mehr als 25 Jahren vorwiegend Erstausstatter für die komplette Fahrzeugindustrie, auch für Nutzfahzeughersteller. Holger Schimmels, Geschäftsführer von Rosho, sagt: „Das aktuell erhältliche System, die TurnCam, soll ab Herbst auch die dynamischen Komponenten erfüllen, welche die UNECE fordert.“ Warum der ADAC dieses System nicht in seinen Test aufgenommen hatte, kann Schimmels nicht nachvollziehen.
UNECE für Neufahrzeuge
Als Testsieger zeichnete der ADAC den Abbiegeassistenten AAD von Mekra Lang aus. Mekra Lang-Vertriebsleiter Markus Dören informiert über sein System: „Es wurde der statische Test auf UNECE Ebene erfüllt, wobei die dynamischen Tests negativ ausfielen.“
Auch ZF Friedrichshafen sichert zu, dass sein System die statischen Kriterien erfülle – um auch die dynamischen zu erfüllen, befinde sich das System „aktuell noch in der Prüfserie, die bis Sommer dieses Jahres abgeschlossen sein soll“. Der Abbiegeassistent von ZF für Neufahrzeuge war nicht im Vergleich des ADAC genannt.
Martin Groschke, Geschäftsführer von Luis Technology, kritisiert am ADAC-Vergleich die dynamische Anforderung: Bei dem Test hatten Fahrradfahrer und Lkw über mehrere Sekunden die gleiche Geschwindigkeit, während die Radfahrer-Puppe unbeweglich geblieben war. „Dieses Szenario halten wir für sehr unwahrscheinlich.“ Das gelte natürlich genauso für Objekte in zweiter Reihe hinter parkenden Autos. Ein Software-Update, der auch die UNECE-Kriterien erfülle, sei zurzeit in Arbeit und in einigen Monaten abgeschlossen.
Sehr detailliert antwortet auch Fahrzeughersteller Heinrich Wüllhorst auf die Anfrage von trans aktuell. Wüllhorst hat gemeinsam mit Anton Klett von Edeka Süd ein Abbiegeassistenz-System entwickelt, teilweise aus Komponenten des Herstellers Brigade. Dass die UNECE den Abstand auf 4,25 seitlich des Fahrzeugs festgelegt habe, sei der Tatsache geschuldet, dass auch Fahrradfahrer in zweiter Reihe erkannt werden sollen. Doch: „Das ist mit der Technologie der Ultraschallsensoren nicht zu erfüllen.“ Aber auch Radarsysteme, die meist im unteren Bereich des Fahrzeugs verbaut werden, können nicht hinter die parkenden Pkw schauen. Und auch der Fahrzeugabauer aus dem nordrhein-westfälischen Selm entwickle sein System ständig weiter.
Wichtig ist Heinrich Wüllhorst noch eines: „Um Leben von Fußgängern und Radfahrern zu retten, ist zusätzlich sinnvoll, die Seitenmarkierungsleuchten bei Lkw ganz einfach und günstig mit dem Blinker zu koppeln, damit schwächere Verkehrsteilnehmer direkt neben dem Fahrzeug gewarnt sind.“