Abbiegeassistenten auf der NUFAM Einseitige Schuldzuweisung

Foto: Jan Bergrath

Bei jedem Unfall eines rechtsabbiegenden Lkw mit Radfahrern tragen die Lkw-Fahrer die juristische und moralische Verantwortung. Abbiegeassistenten können das Gefahrenpotential an innerstädtischen Kreuzungen deutlich verringern. Das oft erschreckend rücksichtslose und selbstgefährdende Verhalten der schwächeren Verkehrsteilnehmer ändern sie allerdings nicht.

Der blaue Helm der Radfahrerin taucht nur ganz kurz im Sichtfeld des Lkw-Fahrers Frank Trebel auf, als er an einer Kreuzung im badischen Östringen rechts abbiegen will. Alles muss Frank in diesem kurzen dynamischen Prozess im Auge behalten: den links abbiegenden Pkw-Verkehr vor ihm sowie den Überweg für die Radfahrer, die hier jederzeit Vorfahrt haben. Just in dem Augenblick, wo er sich sicher ist, dass er losfahren kann, schlägt der Abbiegeassistent Alarm. Frank tritt auf die Bremse. Das ist noch einmal gut gegangen. Es ist die entscheidende Szene meines kurzen Films „Augen Blicke“, den ich bereits im April ausschließlich mit den Mitarbeitern der Spedition Rothermel und dem Leiter der Schwerlastkontrollgruppe der Verkehrspolizei Karlsruhe, Polizeihauptkommissar Rüdiger Heiler, gedreht habe.

Appell für mehr gegenseitige Rücksicht

Mein Anliegen mit diesem Film über die zufällige Begegnung einer etwas verträumten Radfahrerin und eines besonnenen Lkw-Fahrers an einer Kreuzung ist der Appell für mehr gegenseitige Rücksichtnahme im Straßenverkehr – so wie sie es die Straßenverkehrsordnung eigentlich schon seit Jahren vorsieht. Er zeigt auch, wie zuverlässig ein nachrüstbarer Abbiegeassistent funktioniert – wenn der von einer, wie die Unfallforscher sagen, „dynamischen Verkehrssituation“ überforderte Fahrer zu versagen droht. 38 tote Radfahrerinnen und Radfahrer gab es laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club, ADFC, im vergangenen Jahr zu beklagen. Bei jedem Unfall eines rechtsabbiegenden Lkw mit Radfahrern, so zeigen es die jeweiligen Verfahren vor Gericht, tragen die Lkw-Fahrer die alleinige juristische und moralische Verantwortung. Die für mich beste Hintergrundgeschichte zu diesem Dilemma aus beiden Blickwinkeln steht in dieser Reportage der Berliner Morgenpost. Ich kann sie nur jedem Leser meiner Blogs ans Herz legen.

Einige Unternehmen rüsten freiwillig nach – andere nicht

Ich finde es daher, nur um drei aktuelle Beispiele der jüngsten Vergangenheit zu nennen, lobenswert, dass Unternehmen wie Netto, Elsen oder Güttler ihre Flotten nun mit verfügbaren Abbiegeassistenten ausstatten. Auf der anderen Seite hat die Autobild im Sommer in erschreckender Offenheit recherchiert, aus welchen Gründen einige Unternehmen keinen Abbiegeassistenten nachrüsten, obwohl ihr Fahrer gerade mit seinem Lkw einen Unfall verschuldet hatte. Eine Erkenntnis: ohne Geld aus dem längst aufgebrauchten Fördertopf des Bundesverkehrsministeriums tun sich Unternehmen mit der freiwilligen Nachrüstung eher schwer.

Ein positives Vorbild

Unternehmer Christian Rothermel, der auch mit einem Stand auf der NUFAM vertreten ist, investiert seit Jahren in die modernste radarbasierte Sicherheitstechnik von Daimler. Für den Film „Augen Blicke“ stellte ihm Luis aus Hamburg den damals ersten nachrüstbaren Abbiegeassistenten, der vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) eine Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) bekommen hatte, zur Verfügung. Das System warnt nicht nur akustisch sondern deckt auch den kompletten „Toten Winkel“ und, je nach Einstellung, den Bereich über diese gefährliche Zone auf der rechten Fahrzeugseite hinaus, optisch ab. Frank Trebel möchte das heute nicht mehr missen. In unserer Talk-Runde „Sicher abbiegen durch moderne Technik“ auf der NUFAM wird er uns über seine Erfahrungen berichten.

Talk am Truck der FERNFAHRER Road Show

Denn auf der diesjährigen Fachmesse NUFAM in Karlsruhe zeige ich diesen Film erstmals öffentlich am 29. September ab 11 Uhr am Stand A 301 der FERNFAHRER Road Show in Halle 3. Nicht nur die Akteure des Films, PHK Rüdiger Heiler, Franziska Müller, Geschäftsführer Christian Rothermel und Lkw-Fahrer Frank Trebel sind für den anschließenden Talk am Truck meine Gäste, sondern auch der Geschäftsführer des Verbandes Spedition und Logistik Baden-Württemberg e.V., Andrea Marongiu, dessen Verband sich für den freiwilligen Einbau stark macht. Der Einsatz von Abbiegeassistenten steht im Fokus der Digitalisierung und ist Teil des Rahmenprogramms der NUFAM.

Weitere Aktionen zur Verkehrssicherheit

Ein Forschungsprojekt des Steinbeis Transferzentrum Mobilität und Logistik unter Leitung von Prof. Dr. Jochen Baier untersucht in einem Feldversuch gemeinsam mit dem Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg e.V., wie Abbiegeassistenten sinnvoll eingesetzt werden können. Die ersten Ergebnisse werden im Rahmen der Veranstaltung „Rechtsabbiegeassistenten retten Leben“ im Demo-Park der NUFAM am Samstag, den 28.09.2019 um 14:45 Uhr vorgestellt. Auch Daimler ist daran beteiligt. Sehr lobenswert ist auch der Einsatz der A.i.d.T. im Freigelände Nord, FG11. Der Verein um den Lkw-Fahrer Udo Skoppeck stellt seine „Aktion Trixi®“ vor. An Ampeln angebrachte Trixi®-Spiegel können ein wichtiger Baustein von vielen zu mehr Verkehrssicherheit sein, meint nicht nur der Verein. Als erste Stadt in Deutschland setzt mittlerweile Freiburg den Spiegel zur Reduzierung des „Toten Winkels“ ein. Er soll dazu beitragen, die Gefährdung des Rad- und Fußverkehrs durch abbiegende Lkw und Busse zu vermeiden.

Angst der Lkw-Fahrer vor den Innenstädten

Doch das kann alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer mehr Lkw-Fahrer berichten, dass sie trotz modernster Technik im Lkw, die Unfälle verhindern kann, immer öfter Angst haben, in die Innenstädte zu müssen, um dort auszuliefern. Denn auch geschürt vom ADFC und auf Nachdruck eines gut situierten, oftmals Grün wählenden jungen Bürgertums, hat sich mittlerweile eine sehr fragwürdige grundsätzliche Anti-Lkw-Haltung entwickelt, die ihren bisherigen Höhepunkt im offenbar für 2020 geplanten Rechtsabbiegeverbot in Wien findet. Es droht über kurz oder lang die totale Inanspruchnahme des zugegeben immer knapper werdenden Verkehrsraums durch Radfahrer und ihre Interessenvertreter.

Realistische Einschätzung der Berliner Polizei

Diese Selbstüberschätzung der Radfahrer führt dann allerdings zu derartig erschreckenden Ergebnissen wie bei einer Polizeikontrolle in Berlin im April dieses Jahres. Neben den auffällig gewordenen motorisierten Verkehrsteilnehmern hatte die Polizei auch sehr harte Worte für die Radfahrergemeinde: „An vielen Kontrollorten war die Feststellung erschreckend, wie sorglos und leichtfertig Radfahrende die Fahrbahn selbst unmittelbar vor abbiegenden Lkw queren – in Anbetracht der hohen Selbstgefährdung mehr als unverständlich. Die Polizei Berlin rät deshalb eindringlich, sich an Kreuzungen und Einmündungen besonders sensibel zu verhalten, möglichst Blickkontakt zu den Abbiegenden aufzunehmen, das stark eingeschränkte Sichtfeld bei Lkw zu berücksichtigen und im Zweifelsfall lieber auf den eigenen Vorrang zu verzichten. Kraftfahrzeugführende sollten bereits im Vorfeld des beabsichtigten Abbiegevorganges aufmerksam auf den parallelen Radfahrverkehr achten und im Moment des Abbiegens bremsbereit und sorgfältig Rückschau halten.“

Sie hatte zwar Vorfahrt – aber nun ist sie tot

Ich bin selbst Radfahrer, aber ich kenne auch die Gefahren, die von einem rechtsabbiegenden Lkw ausgehen, weil ich selbst seit den 80er Jahren Lkw fahre und mich im Stadtverkehr immer voll und ganz auf das Geschehen konzentriere – ohne Musikbeschallung aus meinem Smartphone über Ohrenstöpsel oder gleich überdimensionalen Ohrenwärmern mit Tonausgang. In Köln ist vor zwei Jahren eine junge Frau derart abgeschottet von der Außenwelt vor eine Straßenbahn gelaufen und verstorben. Auf Podiumsdiskussionen mit den kompromisslosen Vertretern der Radfahrerlobby mache ich mich immer öfter unbeliebt, wenn ich dann ebenso kompromisslos sage: „Was nützt es einer Radfahrerin, wenn am Ende auf ihrem Grabstein steht: Sie hatte Vorfahrt“. Viele Unfälle, davon ist auch die Polizei längst überzeugt, müssten gar nicht erst passieren, wenn auch die Radfahrerinnen und Radfahrer an Kreuzungen mehr Rücksicht nehmen und nicht im Vertrauen auf ihr verbrieftes Recht auf Vorfahrt blind ins Verderben radeln. Es geht um ihr eigenes Leben. Moderne Technik wie ein Abbiegeassistent kann zwar Unfälle verhindern, aber sie sollte die Zielgruppe nicht in einer gefährlichen Sicherheit wiegen.

Die andere Perspektive

So finde ich es zwar gut, dass die Spedition Kellershohn am Samstag, dem 5. Oktober, an einem Vormittag zusammen mit dem ADFC in Köln ihren Lkw-Fahrern die Perspektive eines Radfahrers im Stadtverkehr vermittelt. Dabei darf es allerdings nicht bleiben. Ich wünsche mir, dass der ADFC sich ebenfalls dafür stark machen würde, dass Radfahrende, wie es neuerdings heißt und wie es auf dem letzten Verkehrsgerichtstag in Goslar beschlossen wurde, „über die eingeschränkten Sichtmöglichkeiten vom Fahrerplatz aus sensibilisiert und zu vorausschauendem Verhalten angehalten werden.“ Danach sieht es, auch durch die Prämisse von Bundesverkehrsminister Andreas „Ich hab den Assi“ Scheuer eben für technische Lösungen derzeit leider nicht aus.

Terminhinweis

Bereits am Samstag, dem 28.9. ebenfalls ab 11 Uhr, habe ich am Stand der FERNFAHRER Road Show Polizeidirektor Dieter Schäfer von der Verkehrspolizei Mannheim zu Gast. Schäfer ist Initiator der Initiative „Hellwach mit 80 km/h“, bei der auch die Spedition Rothermel wieder eine maßgebliche Rolle spielt. Es ist allerdings purer und leider ein trauriger Zufall, dass ausgerechnet ein Lkw von Rothermel jetzt von einem Unfall an einem Stauende vor dem Kreuz Walldorf betroffen war. Denn der Fahrer des roten MAN aus Polen hatte offenbar aus Unachtsamkeit das Stauende auf der A 6 bei Walldorf übersehen – und war ins Heck eines Lkw der Spedition Rothermel geknallt, dessen aufmerksamer Fahrer das Stauende rechtzeitig erkannt hatte. Auch dieser Talk am Truck sollte für ausreichend Diskussionsstoff sorgen.

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