Abbiegeassistent im Lkw Mehr Rücksicht, bitte!

Foto: Jan Bergrath
Meinung

Abbiegeassistenten können einen Unfall mit einem Radfahrer durch einen rechtsabbiegenden Lkw verhindern. Damit der aber gar nicht erst eingreifen muss, ist die gegenseitige Rücksicht beider Verkehrsteilnehmer geboten. Warum das so ist, zeigt die Spedition Rothermel in meinem aktuellen Film „Augen Blicke“.

Ich habe es in meinen Blogs zum Thema Lkw-Unfälle mit Radfahrern schon mehrfach betont. Ich fahre seit den 80er Jahren schwere Lkw. Gleichzeitig fahre ich in der Stadt gerne Fahrrad. Wenn ich in Köln mit dem Rad an einer Kreuzung stehe, dann sehe und höre ich, wenn neben mir ein Lkw mit mir zusammen auf Grün wartet. Ich trage grundsätzlich keine Kopfhörer, wenn ich radle. Und ich kenne den sogenannten „Toten Winkel“, den es eigentlich gar nicht geben dürfte, wenn alle Lkw-Fahrer ihre Spiegel richtig eingestellt hätten. Aber das gilt, wie die Unfallforschung immer wieder betont, nur, solange der Lkw steht. Schon beim Anfahren sieht es anders aus. Als Radfahrer bleibe ich lieber stehen – auch wenn ich Vorfahrt habe. Denn ich kann nie sicher sein, dass mich der Fahrer des Lkw wirklich gesehen hat. Am Ende läge ich unter dem Laster – weitere Blogs von mir blieben dann aus.

Einseitige Schuldzuweisung

Nicht nur auf deutschen Autobahnen herrscht oft eine aggressive Stimmung, häufig auch in den Städten. Die Folgen des rücksichtslosen Verhaltens sind erschütternd. Laut Berechnung des Statistischen Bundesamtes kamen 2018 mehr Rad- und Motorradfahrer ums Leben. So wurden im vergangenen Jahr 34 Fahrradfahrer im Straßenverkehr durch rechts abbiegende Lkw getötet. Diese Zahl ermittelte der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) nach eigenen Angaben auf Grundlage von Polizeiberichten. Im Vorjahr starben im gleichen Zeitraum 38 Radfahrer, 2016 insgesamt 33, 2014 und 2015 jeweils 32, 2013 waren es 28 Todesfälle. Der ADFC spricht laut Medienberichten von einer „bedrückenden Situation“.

Das ist absolut richtig. Dennoch habe ich mich bereits im vergangenen Jahr in einem Blog mit der Frage auseinandergesetzt: „Wer schützt eigentlich die Lkw-Fahrer?“ Denn sie müssen an einer Kreuzung ihre Augen überall haben. Rechts, links, rechts – und wenn sie endlich losfahren können, dann kommt plötzlich aus dem Gewusel des dichten städtischen Verkehrs doch noch ein Radfahrer oder eine Radfahrerin angerauscht – oft ohne Rücksicht auf eigene Verluste.

Empfehlungen beim 54. Verkehrsgerichtstag in Goslar

Ende Januar war ich beim 54. Verkehrsgerichtstag in Goslar. Im Arbeitskreis VI hatten mich vornehmlich die Lkw- und Busunfälle interessiert, aber ein erheblicher Teil der Diskussion drehte sich auch um Radfahrunfälle. Sie mündete in dem entscheidenden Satz der Empfehlung an die Politik: „Insbesondere Radfahrer und Fußgänger sollen durch geeignete Maßnahmen – auch in der schulischen Verkehrserziehung – über die eingeschränkten Sichtmöglichkeiten vom Fahrerplatz aus sensibilisiert und zu vorausschauendem Verhalten angehalten werden.“

Die Politik hat reagiert. Die nun langsam mit einer Allgemeinen Betriebserlaubnis (ABE) auf den Markt kommenden, im Lkw nachrüstbaren Abbiegeassistenten auf der Basis eines Kamera-Monitor-Systems und zusätzlicher Sensorik einschließlich einer aktiven Warnung des Fahrers sollen eben, wie der Notbremsassistent im Lkw, in letzter Sekunde verhindern, dass es tatsächlich zu einem schlimmen Unfall mit Toten oder Schwerverletzten kommt. Welche neue rechtliche Situation sich dadurch wiederum für die Lkw-Fahrer ergeben könnte, das beschreibe ich zusammen mit dem Fachanwalt für Verkehrsrecht, Matthias Pfitzenmaier, in Heft 6/2019 von FERNFAHRER, der am 4. Mai erscheint.

Assistenzsysteme im Film

Spätestens seit meiner Reportage über die Aktion „Hellwach mit 80 km/h“, an der auch die Spedition Rothermel aus Östringen teilnimmt, war mir klar, dass ich gerne nach dem in der Transportbranche und bei Unfallforschern viel diskutierten Video über die Wirksamkeit von Notbremsassistenten einen Film zum Thema der Vermeidung von Radfahrerunfällen machen wollte.

Geschäftsführer Christian Rothermel setzt bei seinen Neufahrzeugen schon seit einiger Zeit auf den Abbiegeassistenten von Daimler. Der ist in der Praxis erprobt. Aber Rothermel hat auch Fahrzeuge, die diesen Helfer eben noch nicht haben. So bestand ein zusätzlicher Reiz darin, den nachrüstbaren Abbiegeassistent von Luis Technology aus Hamburg, der kurz vor Drehbeginn die ABE erhalten hatte, mit in den Film einzubinden, um insbesondere auf die Möglichkeit der Nachrüstbarkeit hinzuweisen. Der Einbau vor Ort in Östringen durch Sascha Krügestein, einen extra aus Hamburg angereisten Mechaniker des Unternehmens, erfolgte problemlos innerhalb von vier Stunden. Geschäftsführer Christan Rothermel, zu dessen Unternehmensgruppe auch eine Lkw-Werkstatt in Östringen gehört, überlegt nun bereits, für andere interessierte Kunden den Einbau des Systems vor Ort anzubieten.

Eine begeisterte Spedition spielt mit

So hat nun ein Teil der Belegschaft von Rothermel in meinem Film mitgespielt: Beispielsweise Franziska Müller als Radfahrerin. Franziska arbeitet seit ihrer Ausbildung bei der Spedition als Disponentin. Oder Frank Trebel, der seit 30 Jahren Berufskraftfahrer bei Rothermel ist und mit seinem Baustoffzug, einem Actros 2548, meist regional fährt. Hinzu kommen Prokurist Steffen Kruse und Christian Rothermel, der Geschäftsführer, der in der St. Ulrich Apotheke den Kunden mimt. Lediglich die bereits gedrehte Szene in der Disposition haben wir am Ende im Schnitt doch wieder gestrichen, weil sie den Fluss des Films sehr unterbrochen hätte. Dennoch großen Dank auch an diese Abteilung.

Polizeihauptkommissar mit Medienkompetenz

Am Ende ist es Polizeihauptkommissar Rüdiger Heiler von der Verkehrspolizeidirektion Karlsruhe, der in seiner eigentlichen Rolle als Leiter der Schwerlastkontrollgruppe meist auf der A 5 anzutreffen ist und immer wieder auch in der Sendung „Achtung Kontrolle“ eine Rolle spielt. Er hat, bevor er seine Stelle in der laut ADFC „fahrradfreundlichsten Stadt Deutschlands“ angetreten ist, im Rahmen einer erlaubten Nebentätigkeit mit Leidenschaft für schwere Lkw nahezu 23 Jahre lang als Aushilfsfahrer bei Rothermel gearbeitet. Zwei Tage lang haben alle Mitwirkenden an einem Strang gezogen, um mit einem minimalen Budget den Film zu drehen.

Ein besonders Lob für seine Ruhe und Gelassenheit gebührt Lkw-Fahrer Frank Trebel. Denn, um nur ein Detail zu verraten: Die Schlüsselszene an der Kreuzung mussten wir über zehn Mal wiederholen, um verschiedene Perspektiven einzufangen. Die Kreuzung liegt zwischen dem Betriebsgelände der Spedition Rothermel und einem Kreisverkehr im Gewerbegebiet.

Appell an die gegenseitige Rücksichtnahme im Verkehr

Am Ende ist der Film „Augen Blicke“ in erster Linie ein Aufruf an Lkw- und Radfahrer, gegenseitig im Verkehr Rücksicht zu nehmen. Dass er überhaupt zustande gekommen ist, verdanke ich den Unternehmen und Organisationen, die daran geglaubt haben. Das sind in alphabetischer Reihenfolge: Der ADAC Mittelrhein, der Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Dekra, ELVIS, FERNFAHRER, Luis Technology und Palfinger. Ich hoffe sehr, dass ihn auch einige Radfahrerinnen und Radfahrer sehen. Hier daher zum Abschluss noch der rechtliche Hinweis zur konkreten Handlung.

„Ist ausreichender Raum vorhanden, dürfen Radfahrer die Fahrzeuge, die auf dem rechten Fahrstreifen warten, mit mäßiger Geschwindigkeit und besonderer Vorsicht rechts überholen“, erläutert Rechtsanwalt Pfitzenmaier. Das Problem: „Selbst wenn der Radfahrer gegen seine Sorgfaltspflichten verstößt, ist der Lkw-Fahrer, der rechts abbiegt und den sich vorschriftswidrig verhaltenden Radler verletzt oder tötet, weiter verantwortlich, wenn er selbst gegen seine Sorgfaltspflichten verstößt.“

Es ist kein Geheimnis: die weitaus größere Zahl der Lkw hat noch keinen Abbiegeassistenten, der in der letzten Sekunde das Schlimmste verhindert. Der Einbau ist vorerst weiterhin nur freiwillig. Voraussichtlich ab 2024 muss er europaweit in Neufahrzeuge eingebaut werden.

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