Fahrbericht MAN TGS 8x6 mit hydrostatischem Zusatzantrieb

Kipper, MAN, TGS 35.440, 8x6 Hydrodrive, Meiller Foto: Michael Kern 8 Bilder

Fahrbericht: Ergibt ein hydrostatischer Zusatzantrieb statt klassischer Allradtechnik auch im schweren Kipper Sinn? Das Beispiel MAN TGS 35.440 8x6 Hydrodrive beweist: Die Kombination ist auf jeden Fall brauchbar, sie stößt aber auch an Grenzen.

Schwer, verbrauchsintensiv und mit einem unbequemen Einstieg gesegnet: Das sind die Handicaps des klassischen Vorderradantriebs. Rund 400 Kilogramm leichter und beim Verbrauch auf Augenhöhe mit gängigen 8x4:
Damit lockt der hydrostatische Vorderachs-Zusatzantrieb, der bei MAN Hydrodrive heißt und den Fahrer in den Genuss eines nicht alpinen Einstiegs bringt. Mehr als 5.000 Mal hat MAN diese Variante eines besonders geländegängigen Triebstrangs bisher verkauft und bietet generell eine bemerkenswert breite Palette an Hydrodrive-Lkw an. Das Sortiment reicht vom Zweiachser für 18 Tonnen bis hin zum Vierachser mit maximal 35 Tonnen technischem Gesamtgewicht. Gefedert sind sämtliche Hydrodrive-Varianten stets gemäß der MAN’schen Formel BL, die für Blattfederung vorn und Luftfederung hinten steht. Was im Klartext heißt: An kompromissloses Schuften im Gelände ist weniger gedacht. Aber heiß zugehen darf es hier und da schon mal ganz gern. Denn für solch kleinere Verlegenheiten, die sonst den Ruf nach dem Raupenfahrer unumgänglich machen, ist der Hydrodrive-Antrieb wie geschaffen. Äußerst nützlich macht er sich zum Beispiel stets dann, wenn die Fuhre zusammen mit der Ladung eben auch der nötigen Traktion verlustig geht: Dann packt die Vorderachse kräftig mit an und zieht die Karre im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Dreck. Sie hat ja stets das Gewicht von Motor und Fahrerhaus zu tragen und kann damit jederzeit ein ordentliches Quantum an Traktion ins Feld führen.

Doch nicht nur bei Leerfahrt profitiert der Vortrieb: Den vierachsigen 35.440H voll beladen auf einen steileren Stich zugesteuert, dessen Grund nicht gerade von solidester Natur ist, drehen die Räder schnurstracks durch. Flugs den Hydrodrive-Schalter umlegen und die Kupplung kommen lassen, setzt sich das Gefährt aber schnurstracks wieder in Bewegung. Besonders brauchbar ist der zusätzliche Vorderradantrieb vor allem auch dann, wenn es steile Passagen rückwärts hinaufzufahren gilt. Sind in solchen Fällen die angetriebenen Hinterachsen doch stark entlastet und können im Gegensatz zu den nun satt auf Mutter Erde lastenden Vorderachsen nur wenig zur Traktion beitragen. Dass bei MAN-Vierachsern mit der Achsformel 8x6 grundsätzlich die zweite Vorderachse angetrieben ist, hat mit den besonderen Umständen bei umgekehrter Bergfahrt zu tun: Beim Schieben auf die Kuppe neigt die erste Vorderachse in besonders steilen Fällen zum Abheben und kann dann keinerlei Steighilfe mehr bieten.

Die Kehrseite der Medaille ist freilich, dass dieses Konzept auf anderem allradtypischen Terrain eher von Nachteil ist. Bekommt der MAN es mit sandigem Grund zu tun, dann muss die zweite Vorderachse wohl oder übel die erste Lenkachse als zusätzliches Handicap vor sich her durchs weiche Geläuf schieben. Mercedes macht’s zum Beispiel gerade andersrum: Treibt beim 8x6 grundsätzlich die erste Vorderachse an. Und handelt sich damit leichte Nachteile am Berg bei leichten Vorteilen auf weichem Untergrund ein.
Doch zurück zum MAN-Vierachser. Wer ihn mit Hydrodrive als 8x6 bestellt, der sollte sich über zwei Dinge im Klaren sein: Den Ruf nach dem Raupenfahrer wird er sich in vielen Fällen sparen können. Einen echten Allradler in extremer Mission aber kann Hydrodrive nicht ersetzen. Zum einen wirft der hydrostatische Vorderradantrieb ab circa 30 km/h das Handtuch, weil es ihm dann schnell zu heiß wird. Und weil Dauerbetrieb der Hydraulik gleichfalls übermäßig einheizt, taugt der Hydrodrive eben nur für gelegentliche Intermezzi im Modus 8x6.

Und noch einer Einschränkung unterliegt der MAN-Hydrodrive: In Verbindung mit automatisiertem Getriebe ist er nicht zu haben. Wie das Leben so spielt, fehlt es den AS-Tronic-Getrieben von ZF just an jenem Nebenabtrieb, über den MAN die Hydraulikpumpe für den hydrostatischen Zusatzantrieb nun einmal in Schwung bringt. So kommt es, dass MAN alle Hydrodrive-Varianten samt und sonders nur mit handgeschalteten Getrieben liefern kann. ZF 16 S 252 OD heißt denn die 16-gängige Schaltbox im Test-Lkw. Im Verein mit einer Hinterachsübersetzung von 4,0 ergibt sich damit bei Bereifung 315/80 R 22,5 eine theoretische Höchstgeschwindigkeit von gut 110 km/h. Für Straßenfahrt folgen daraus im höchsten Gang durchaus brauchbare Drehzahlen: 1.450 Mal pro Minute rotiert die Kurbelwelle bei 85 km/h, bei 65 km/h zeigt die Nadel des Drehzahlmessers auf gut 1.100/min. Trotz nur 10,5 Liter Hubraum kommt der kleine Sechszylinder D2066 damit bestens klar. Bis 1.000/min reicht die Spanne des maximalen Drehmoments hinab. Und selbst bei 900/min schlägt sich das Motörchen immer noch bravourös und bissig. Das passt. Damit überspielt das Triebwerk auch gekonnt, dass etwas niedrigere Endgeschwindigkeiten im ersten Gang sowie im Rückwärtsgang kein Schaden wären. 6,8 km/h erreicht der erste Gang bei Nenndrehzahl 1.900/min, auf 7,2 km/h kommt der erste Rückwärtsgang.
MAN-typisch nach wie vor: gefällig enge Schaltgassen und angenehm kurze Wege bei der Handschaltung. Ganz neu bei MAN nun aber zugleich: ein etwas störrisches Wesen des Schaltknüppels, der dem Mann am Steuer keinerlei Nachlässigkeit mehr verzeiht. „Vollständig auskuppeln, ruhigen Bluts ansynchronisieren und erst dann den Gang einlegen“ – so heißt nun strikt die Devise. Und Pardon wird nicht gegeben: Wer da meint, im Sauseschritt schalten zu müssen und womöglich gar noch versucht, dabei dem Schalthebel etwas hinter die Ohren zu geben, der stößt auf unüberwindlichen Widerstand. Und bleibt an steilen Bergen ebenso lange stehen, bis er seine Lektion gelernt hat. Da wäre manchem also ein automatisiertes Getriebe sicher wesentlich lieber.
Licht und Schatten wechseln sich auch in der M-Kabine rege ab. Nur knapp 26 Zentimeter hoch, fällt der Motortunnel nicht sonderlich auf. Doch thront auf ihm die MAN-typische Kühlbox mit dem hohen Höcker, wird der Durchstieg zur akrobatischen Übung. Über jeden Zweifel erhaben sind Qualität und Anmutung der Materialien im Innenraum. Ob Becherhalter, Brillenfach oder andere Kleinablagen um den Fahrer herum: Das alles ist tadellos gelöst. Andererseits rauben die klotzigen Spiegel unnötig viel Sicht zur Seite hin. Hinter den Sitzen herrscht– seit Anbeginn der M-Kabine im TGA – weitgehend Wüste. Es gibt gerade mal eine klitzekleine Schatulle (für die Druckluftpistole) hinterm Fahrersitz, dann mittig eine offene Ablage mit zu niedriger (Stolper-)Kante.
Unterm Strich hat der Hydrodrive-Vierachser also einiges zu bieten, lässt manches aber auch stark vermissen. Auf der Habenseite stehen hauptsächlich außergewöhnliche Traktionsreserven bei ordentlich Nutzlast und zivilem Verbrauch. Zu wünschen bleibt aber unbedingt die Option auf ein automatisiertes Getriebe sowie ein Ablagenkonzept hinter den Sitzen, das diesen Namen auch verdient.



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