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Zeitbombe Insolvenzanfechtung Gefährlicher Trend

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Eine Insolvenzanfechtung kann sich leicht als tickende Zeitbombe entpuppen. Noch steht eine Gesetzesänderung aber aus.

Der Griff in die Tasche kommt, wenn man es nicht mehr erwartet: die Insolvenzanfechtung. Dabei kann ein Insolvenzverwalter nach Paragraf
129 ff. IsO (Insolvenzordnung) Zahlungen, die bis zehn Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner vorgenommen wurden, anfechten und von einem Gläubiger für die Insolvenz­masse zurückfordern. Der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) ist der Ansicht, dass das Thema zunehmend zum Problem für Branchenunternehmer wird, "da in Insolvenzverfahren regelmäßig von diesem Rechtsinstitut Gebrauch gemacht wird".

Nicht nur regelmäßig, sondern zunehmend: In einer Umfrage des Bundesverbands Credit Management Ende 2014 gaben 81 Prozent der Befragten an, von Insolvenzanfechtung betroffen gewesen zu sein, im Vergleich zu knapp 60 Prozent im Jahr zuvor. In einem Drittel der Fälle lagen die angefochtenen Summen bei mehr als 100.000 Euro. Die Auswirkungen auf den Zahlungsverkehr in der Wirtschaft seien gravierend – zum Beispiel würden manche die Vergabe von Lieferantenkrediten wegen des Themas einschränken.
Die Anfechtung wegen vermeintlicher Gläubigerbenachteiligung nach Paragraf 133 IsO sei längst "vom gesetzlichen Ausnahmetatbestand zum Regelfall mutiert". Die Summe der Fälle, in denen die Anfechtung auf vermeintliche Kenntnisse von den finanziellen Problemen des Kunden gestützt wurde, habe sich daher von 50 auf 71 Prozent erhöht.

Rückforderung plus Zinsen

Denn das ist die Krux: Wer seine Forderung erfüllt bekam, aber nach Ansicht des Insolvenzverwalters schon Kenntnis davon hatte, dass sein Kunde in Zahlungsschwierigkeiten steckte, hat nach Insolvenzeröffnung keinen Anspruch darauf, diese Zahlungen zu behalten, weil er vorsätzlich andere Gläubiger benachteiligte.

In Folge kann der Insolvenzverwalter den gezahlten Betrag zurückfordern – und zwar in voller Summe plus Zinsen auf den Betrag, die seit Eröffnung des Insolvenzverwahrens entstanden sind, und rückwirkend für bis zu zehn Jahre. Das kann unter Umständen auch die Liquidität des Dienstleisters gefährden, der auf einmal sein redlich verdientes Geld wieder zurückzahlen soll.

Eine zwischen Dienstleiter und Kunde verabredete Vorkasse, eine verschleppte Zahlung oder geplatzte Lastschriften – durchaus im Geschäftsleben typische Zahlungsvereinbarungen – könnten dabei schon als Indiz herhalten, anhand derer ein Dienstleister eine spätere Zahlungsunfähigkeit vermuten könne. "Zahlt in diesen Situationen der Schuldner an den Gläubiger, muss sich dieser entlasten und damit beweisen, dass er vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners keine Kenntnis hatte", sagt DSLV-Geschäftsführer und Justiziar  Hubert Valder. Dieser Beweis sei aber in der Regel schwer zu erbringen.

Leitsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs

Auch der Bundesgerichtshof hat unlängst in einer Leitsatzentscheidung erneut die Frage aufgegriffen, wann ein Gläubiger auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen kann und damit eine Vorsatzanfechtung gerechtfertigt ist (BGH, Urteil vom 30.04.2015 – IX ZR 149/14). Dies sei etwa nicht der Fall, wenn der Schuldner nur schleppend und auf mehrmalige Mahnung einen geringen Betrag bezahle.

Gleichzeitig plant das Bundesjustizministerium ein "Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz". Darin ist unter anderem für die sogenannte Vorsatzanfechtung (Paragraf 133 IsO) ein deutlich verkürzter Anfechtungszeitraum von vier statt zehn Jahren vorgesehen.

Zudem sollen kongruente Deckungen erst dann anfechtbar sein, "wenn der Schuldner sie in Kenntnis der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit gewährte und der Gläubiger dies erkannt hat". Auch die Bitte eines Schuldners "um eine verkehrsübliche Zahlungserleichterung soll für sich genommen nicht zum Anknüpfungspunkt für die Begründung des Anfechtungsanspruches gemacht werden können". Damit geht der Dienstleister also bei Zahlungsvereinbarungen, die im Geschäftsleben üblich sind, nicht gleich das Risiko ein, später von einem Insolvenzverwalter in Anspruch genommen zu werden.

Gesetzesentwurf verspricht Abhilfe

"Der DSLV begrüßt den Gesetzentwurf, denn die vorgesehenen Änderungen berücksichtigen im Wesentlichen die von der Wirtschaft geäußerten Kritikpunkte", sagt Valder. "Die von Insolvenzverwaltern zum Teil serienmäßig betriebene Rückforderung von Zahlungen, die die Unternehmen von Insolvenzschuldnern im Rahmen von üblichen Geschäftsvorgängen wie Ratenzahlungen oder Stundungen erhalten haben, sollten danach zukünftig nicht mehr möglich sein", hofft Valder für die Zukunft.

Bis eine Verbesserung der Rechtslage für Unternehmen kommt, dauert es aber. Der DSLV-Justiziar und Rechtsanwalt Valder rät bis dahin Unternehmen zu einer entsprechenden Risikovorsorge. Dazu gehören etwa ein zügiges Forderungsmanagement, kürzere Zahlungsziele und das Vermeiden von Ratenzahlungen. Außerdem bieten zunehmend Versicherer wie Euler Hermes, R+V sowie Atradius etwa im Rahmen einer Anfechtungspolice als Zusatz zur Warenkreditversicherung Schutz vor den Rückforderungen – sogar bis zu einer Summe von 2,5 Mil­lionen Euro.

Vorsatzanfechtung

§ 133 Insolvenzordnung (IsO) Vorsätzliche Benachteiligung

(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

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