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Wettbewerb Invasion der Kleinlaster

Fernglas, Polen, Transporter, Deutschland Foto: Montage: Mannchen

Transporter aus Polen und Ungarn erobern Deutschlands Straßen. Die Fahrer müssen weder einen Lkw-Führerschein haben, noch Rücksicht auf das Güterkraftverkehrsgesetz nehmen. Das birgt Gefahren.

Die Holzmasken sind abgelegt, der Rausch ist ausgeschlafen. Doch es hat den Anschein, als ginge das närrische Treiben am Aschermittwoch auf der Autobahn munter weiter. Auf der A 81 von Singen in nördlicher Richtung passieren mehrere polnische Kleintransporter Schramberg und Rottweil, also die Hochburgen der schwäbisch-alemannischen Fasnacht.
Die Unternehmer haben ihre Fahrzeuge bunt kostümiert − rot, grün und blau, sonst kennt man Letztere eher in dezentem Grau. Fünf Kleinlaster zählt der Beobachter allein auf dem Autobahnabschnitt, der am Zentrum der dortigen Fasnetsbewegung vorbeiführt. "Fünf kleine Wagen, die sorgen für Unbehagen", würden die örtlichen Narrenzünfte wohl dichten und von Guggenmusik untermalt anstimmen − wenn sich die fünfte Jahreszeit bei ihnen nicht gerade verabschiedet hätte.

Markt in Westeuropa aufmischen

Unbehagen lösen die polnischen Kleinlaster tatsächlich aus: Sie sind der offenbar neueste Versuch der östlichen Transportbranche, den Markt in Westeuropa aufzumischen. Die Mission ist aus dortiger Sichtweise erfolgversprechend: Sofern die Fahrzeuge nicht mehr als 3,5 Tonnen wiegen, reicht dem Fahrer zur Warenbeförderung der Pkw-Führerschein (Klasse B). Erst ab 3,5 Tonnen unterliegen Unternehmer und Fahrer hierzulande den Regeln des Güterkraftverkehrsgesetzes. Liegt das Gesamtgewicht darunter, gilt ab 2,8 Tonnen zumindest eine Aufzeichnungsfrist für die Lenk- und Ruhezeiten. Darunter aber haben Fahrer − um im Bilde zu bleiben − Narrenfreiheit. Zu diesen Vorteilen gegenüber schwereren Lkw-Typen gesellen sich viele weitere und nicht zu vergessen: die niedrigeren Lohnkosten.

Besonderes Merkmal ist die Topsleeper-Ausstattung

Besonderes Merkmal der meist in Polen oder Ungarn zugelassenen Kleinlaster ist die Topsleeper-Ausstattung, also ein Kabinenaufbau mit Liege. Nicht selten stammen die Fahrzeuge von Fiat, Peugeot und Renault, ab und zu sind auch ein paar Sprinter dabei. Beim Aufbau sind alle Varianten vorzufinden − seien es Pritsche/Plane oder Kofferaufbau, Letzterer auch angereichert um Kühlgeräte. "Damit nehmen die Wettbewerbsverzerrungen weiter zu", kritisiert Christoph Schuchert, Geschäftsführer der Spedition Gebrüder Rost in Vacha und Präsident des Landesverbands Thüringen des Verkehrsgewerbes (LTV). Auch ohne die Kleinlaster habe das deutsche Gewerbe schon genügend unter der übermächtigen Konkurrenz aus Polen zu leiden.

Kleinlaster sind auf dem Vormarsch

Zahlen, wie viele dieser Kleinlaster regelmäßig nach und durch Deutschland fahren, gibt es nicht. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) bestätigt gegenüber trans aktuell jedoch, dass diese Fahrzeuggattung auf dem Vormarsch ist. "Nach Abfrage von ausgewählten Kontrolleinheiten des BAG wurde eine regionale Zunahme von Kleintransportern bis 3,5 Tonnen mit Dachschlafkabine aus Osteuropa beobachtet, insbesondere in Bayern und Sachsen", teilt die Behörde mit.

Süd-Route über Italien nach Frankreich und Spanien

Dass diese Fahrzeuggattung Deutschlands Straßen zunehmend unsicher macht, hängt offenbar auch damit zusammen, dass die dahinter stehenden Unternehmer seit Jahresbeginn andere Routen nach Westeuropa fahren. "Aus uns vorliegenden Informationen aus Nachbarstaaten sollen im vergangenen Jahr die Verkehre mit Kleintransportern aus Osteuropa verstärkt eine Südroute über Italien nach Frankreich und Spanien genommen haben, ohne dass Deutschland durchfahren wurde", teilt das BAG mit.

Fahrer müssen keine Ausbildung durchlaufen

Dass die Fahrer im Gegensatz zu ihren Kollegen aus den größeren Fahrzeugen keine Ausbildung durchlaufen müssen, birgt Risiken: Erst zu Monatsbeginn war der Fahrer eines ungarischen Citroën Jumper auf einen rumänischen Sattelzug auf der A 9 zwischen Allershausen und Pfaffenhofen in Richtung Berlin geknallt. Der Fahrer starb nach Polizeiangaben noch am Unfallort. Das Fahrzeug: ein Kleintransporter mit Topsleeper-Aufbau. Spätestens ab dieser Episode dürfte den Jecken dann doch das Lachen vergehen. Denn die Invasion der Kleinlaster birgt handfeste Gefahren.




DIE WETTBEWERBSVORTEILE

Die Betreiber der in Osteuropa zugelassenen Kleinlaster sind gegenüber den hiesigen Transporteuren in mehrfacher Hinsicht im Vorteil:

Keine Genehmigung: Die Unternehmer unterliegen nicht dem gewerblichen Güterkraftverkehr. Er beginnt erst bei Kraftfahrzeugen, die einschließlich Anhänger ein höheres Gewicht als 3,5 Tonnen haben. "Dies gilt unabhängig, ob der Unternehmer seinen Sitz in Deutschland, der EU oder in einem Drittland hat", teilt das BAG mit.

Keine Sozialvorschriften: Fahrer von Fahrzeugen, die mehr als 2,8 Tonnen, aber weniger als 3,5 Tonnen wiegen, müssen über Lenk- und Ruhe- sowie Arbeitszeiten und Lenkzeit-Unterbrechungen Aufzeichnungen führen. Sofern ein digitaler Tachograf eingebaut ist, ist dieser dafür zu nutzen. "Liegt das Gesamtgewicht eines Fahrzeugs hingegen bei 2,8 Tonnen oder darunter (einschließlich Anhänger), so bestehen keine fahrpersonalrechtlichen Aufzeichnungspflichten", erklärt das BAG.

Keine Kabotage: Die Vorgaben für Binnentransporte in einem anderen Land gelten nur für Unternehmer, die Inhaber einer Gemeinschaftslizenz sind. Da Transporte unter 3,5 Tonnen nicht unter den gewerblichen Güterkraftverkehr fallen, gibt es somit auch keine Beschränkung auf drei Fahrten innerhalb von sieben Tagen.

Keine Schulungen: Für die Fahrten reicht der Pkw-Führerschein. Das Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetz richtet sich an Fahrer, die Lkw mit mehr als 3,5 Tonnen lenken.

Kein Sonntagsfahrverbot: Betroffen von den Verboten sind nur Lkw über 7,5 Tonnen oder solche, die einen Anhänger mit sich führen.

Keine Maut: Die wird erst ab zwölf Tonnen Gesamtgewicht fällig. Auch wenn sie oft überladen sind, liegen die Kleinlaster noch weit darunter.

Geschwindigkeit: Tempo 80 auf Autobahnen gilt erst ab 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht. Auch auf Landstraßen greifen Geschwindigkeitsbeschränkungen erst ab 3,5 Tonnen (sofern kein Anhänger mitgeführt wird). Die Kleinlaster können es also ordentlich "laufen lassen". Nur so und ohne Rücksicht auf Ruhezeiten erklären sich die genannten Tageskilometerleistungen.

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