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Wettbewerb Ausflaggen nach Deutschland

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Für Dänen ist es in Deutschland billig. Das gilt auch für dortige Transporteure, die in Schleswig-Holstein einen Ableger haben. Seit längerem wird vermutet, dass eine Reihe von Briefkastenfirmen darunter sein könnten.

Im deutschen Norden pfeifen die Spatzen die Adressen von den Dächern, wo gleich mehrere Unternehmen an einem Ort ihren Platz gefunden haben sollen. Neustadt 10 in Flensburg, Heideland 20 in der zu Handewitt gehörenden Gemeinde Jarplund, auch in der direkt an der Grenze gelegenen Gemeinde Harrislee soll es gehäuft dänische Transportunternehmen geben. "Besonders 2012 und 2013 war eine Bewegung dänischer Unternehmen nach Deutschland spürbar", sagt Holger Jensen, der bei der IHK Flensburg den Arbeitskreis Transport/Logistik leitet, gegenüber trans aktuell. Niedrigere Steuern, Löhne und Sozialabgaben sind verlockend.

Fahrer verdienen in Dänemark deutlich mehr als in Deutschland

In Dänemark verdienen Fahrer deutlich mehr als in Deutschland. Das macht einen Umzug vom dänischen Logistikstandort Padborg – dort befindet sich die größte Kühlhausfläche Nordeuropas und damit ein zentraler Umschlagplatz für Kühlgüter – hinter die Grenze lukrativ. Die regionale Wirtschaftsförderungsgesellschaft WiREG in Flensburg verzeichnet einen regelrechten Ansturm von dänischen Logistikern. Es gebe Anfragen mit einem Umfang von mehr als 80 Hektar, die planerisch gar nicht umzusetzen seien, so der Sprecher der Stadt Flensburg, Clemens Teschendorf. "Wir sind im Verhältnis zu Dänemark ein Niedriglohnland, das macht uns interessant."

Die Praxis ist aus Osteuropa bekannt, von wo aus Fahrzeuge mit vielfach unterbezahlten Fahrern nach Westeuropa rollen. "Für die Dänen fängt der Balkan eben bei Flensburg an", stellt Thomas Rackow vom Verband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung Schleswig-Holstein (VGL) fest. In Dänemark hat der vermutete illegale Auszug nach Deutschland Proteste ausgelöst. Es gebe Beschwerden der dänischen Gewerkschaften, sagt Jensen.

Rund 8.000 Arbeitsplätze seien im dänischen Transportgewerbe verloren gegangen

Das dänische Fernsehen berichtete schon im vergangenen Sommer, das dänische Verkehrsministerium schaltete sich ein, seit 2008 sollen rund 8.000 Arbeitsplätze im dänischen Transportgewerbe verloren gegangen sein. Aber den dänischen Behörden sind die Hände gebunden. Für die Kontrolle von Briefkastenfirmen in Deutschland sind die deutschen Kollegen zuständig. Angesichts vielfältiger anderer Aufgaben passiert hier aber ohne Druck von oben nicht viel.

Der ist jetzt da − aufgrund von Anfragen der sozialdemokratischen Europa-Abgeordneten Ole Christensen aus Dänemark und der Deutschen Jutta Steinruck im vergangenen September an die EU-Kommission. Sie wollten wissen, ob EU-Recht verletzt wird, wenn von Dänemark aus gesteuerte Unternehmen ohne direkten Bezug zu Deutschland hier ihre Lkw anmelden und Fahrer zu deutschen Bedingungen beschäftigen.

Außerdem fragten sie, ob die deutschen Behörden die bestehenden Regelungen möglicherweise falsch auslegten oder ihrer Kontrollpflicht nicht nachkämen. Weil der Kommission die Anfrage zu vage war, konzentrierten sich die Abgeordneten im Januar zunächst auf ein Unternehmen, nämlich die Firma H.P. Therkelsen Logistics. Die EU-Kommission hat daraufhin die deutschen Behörden "zur Durchführung einer Einzelkontrolle" aufgefordert.

Untersuchungen laufen in Belgien, der Slowakei und Bulgarien

Es war das erste Mal, dass Europa-Abgeordnete einen solchen Fall angezeigt hätten, sagt ein Kommissionssprecher. Weitere Untersuchungen aufgrund von Hinweisen aus den Medien gebe es derzeit in Belgien, der Slowakei und Bulgarien. Das schleswig-holsteinische Verkehrsministerium hat den Kreis Schleswig-Flensburg aufgefordert, Nachforschungen anzustellen, wie ein Sprecher gegenüber trans aktuell sagt. Zuständig ist der Fachdienst Straßenverkehrsbehörde in Schleswig, hier soll Unternehmenschef Mogens Therkelsen angehört werden. In der Verkehrsunternehmensdatei des BAG ist er als gesetzlicher Vertreter und Verkehrsleiter von H.P. Therkelsen Logistics in Taarstedt aufgeführt, mit einer Flotte von 61 Lkw und einer Gemeinschaftslizenz zur Güterbeförderung, die Mitte Oktober ausläuft.

Bislang habe es vor Jahren einmal eine Prüfung vor Ort im Kreisgebiet gegeben, sagt Fachdienstleiter Jan Wiese von der Straßenverkehrsbehörde. Normalerweise verlässt sich das Amt auf die Aussagen, die die Unternehmen in einer sogenannten Betriebssitzerklärung machen. Nachgewiesen werden müssen per Grundbuchauszug oder Mietvertrag Geschäftsräume und eine Telefonnummer, unter der eine zu bestimmende Person zu bestimmten Zeiten am Betriebssitz erreichbar ist. "Kontrollen vor Ort würden insbesondere bei Neuanträgen wie Unternehmen in Gründung, bei selbstfahrenden Subunternehmen oder Unternehmen mit externen Verkehrsleitern wenig Erkenntnisgewinn ermöglichen", sagte Wiese. Eine regelmäßige Überprüfung aller Unternehmen im Kreisgebiet könne nicht geleistet werden und sei auch nicht aus den Bestimmungen des Güterkraftverkehrsgesetzes abzuleiten. Gebe es hinreichend konkrete und damit überprüfbare Verdachtsmomente, werde ermittelt.

Wer Hilfe sucht, findet sie auch so

In und um Flensburg will man nicht die Billiglohnzentrale von Dänemark sein, aber in der Vergangenheit haben sich aus kleinen Anfängen auch schon größere Betriebe entwickelt, die nun Gewerbesteuern zahlen und Arbeitsplätze geschaffen haben. Besteht der Verdacht, dass gesetzliche Rahmenbedingungen nicht eingehalten werden, stellt die regionale Wirtschaftsförderung ihre Unterstützung ein, heißt es von der WiREG. Aber wer Hilfe sucht, findet sie auch so. Eine Firma in Handewitt bietet im Internet nicht nur Büroflächen an. Laut Tabelle kostet die Einrichtung einer GmbH in Deutschland 750 Euro, zuzüglich Notarkosten von 1.250 Euro. Eine Postanschrift gibt es monatlich ab 125 Euro, Scannen und e-Mailen von Briefen kostet extra.

Die Hintergründe

Die Verordnung: Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 sieht vor, dass ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat Kraftverkehr betreibt, dort über eine Niederlassung mit Räumlichkeiten verfügt, "in denen seine wichtigsten Unternehmensunterlagen aufbewahrt werden". Die Firmentätigkeit muss "tatsächlich und dauerhaft" mit der erforderlichen Verwaltung und technischen Ausstattung an einer Betriebsstätte ausgeübt werden.

Die Anfrage: Sie soll klären, "ob das dänische Transportunternehmen H. P. Therkelsen gegen die Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 verstößt, wenn es Lkw über eine Tochterfirma des Unternehmens mit Sitz und Anschrift in Flensburg mit deutschen Kennzeichen anmeldet, sowohl es seinen dänischen Betrieb als auch seine deutsche Tochterfirma von der Adresse des dänischen Unternehmens in Padborg aus verwaltet, sämtliche tatsächlichen Tätigkeiten an der dänischen Adresse des Unternehmens in Padborg ausführt und gleichzeitig alle wesentlichen Unterlagen an der dänischen Adresse des Unternehmens in Padborg aufbewahrt."

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