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20 Jahre freier Warenverkehr Ein unglaublicher Gewinn

Zoll Spedition Foto: Matthias Rathmann
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Vor 20 Jahren fielen innerhalb der  EU die Grenzschranken. Praktiker erlebten den Beginn des freien Warenverkehrs ganz unterschiedlich.

Konrad Adenauer wäre sicher glücklich, würde er das heutige Europa kennen. Schließlich hat er bereits 1957 mit seiner Unterschrift unter die Römischen Verträge miteingefädelt, dass die Zollschranken und damit die Zollbinnengrenzen europaweit fallen. Adenauer, Walter Hallstein, der erste Vorsitzende der Kommission der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), und der damalige französische Außenminister Robert Schuman wollten die Jahrhunderte alte Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich beenden. Das Vorhaben ließ sich am besten verwirklichen, waren die Väter der Römischen Verträge überzeugt, wenn man sich wirtschaftlich zusammenschlösse.

Die Zolleinnahmen machen heute zehn Prozent des EU-Haushalts aus

"Sie haben festgelegt, dass die Zölle binnen zehn Jahren auf null gesetzt werden sollten", erläutert Kurt Cremer, Zolloberamtsrat a. D. aus Aachen. Ab 1968 gab es mit der Zollunion einen einheitlichen Handelsraum, in dem die Waren frei verkehrten  und die Einfuhren aus Drittstaaten nach einem einheitlichen System besteuert wurden. Die Zolleinnahmen der Mitgliedsstaaten machen heute rund zehn Prozent des EU-Haushalts aus, ein Viertel davon kommt aus Deutschland. Die europäischen Zöllner fertigen jährlich Warenmengen von mehr als zwei Milliarden Tonnen ab. Das sind fast 20 Prozent des gesamten Welthandels.

Doch nochmals zurück in die Geschichte: Am 7. Februar 1992 unterzeichnete der Europäische Rat dann den Vertrag von Maastricht, der die Gründung der Europäischen Union (EU) markierte und an die Stelle der Römischen Verträge trat. Und das bedeutete, dass zum 1. Januar 1993 die Zollschranken innerhalb der EU wegfielen. "Tatsächlich wurden die deutschen Grenzzollämter zu den Nachbarstaaten abgebaut", erzählt der ehemalige Zöllner Cremer. Der Warenverkehr konnte ab da die Binnengrenzen der EWG ungehindert passieren.

Die Einnahmesituation hat sich durch den Wegfall des Zolls verändert

"Durch den Wegfall des Zolls hatte sich unsere Einnahmesituation zunächst sehr verändert", erinnert sich Kay Espey, Geschäftsführer bei Cretschmar Cargo in Düsseldorf. Auch Zoll-Kompetenzen wurden nur noch eingeschränkt nachgefragt. "Andererseits hat sich natürlich  der Wirtschaftsaustausch massiv erhöht. Und das ist eine tolle Sache", sagt er.

Doch das Jahr 1993 ließ bei den Mitarbeitern schon die Frage aufkommen, was mit der Spedition passieren würde. "Wir haben die Zahl, um die es ging, an die Wand geschrieben und alle wurden blass um die Nase", erinnert sich Espey. Das Unternehmen hatte zwar die Idee, alles in die Frachten umzurechnen, aber das ließ sich natürlich nicht verwirklichen. "Zu der Zeit war das ein echter Bruch und nicht so einfach", sagt der Geschäftsführer.
Man habe zwar versucht, sich darauf vorzubereiten, doch das sei schwer gewesen. "Wir sind heute trotzdem absolut begeisterte europäische Spediteure." Inzwischen mache es keinen Unterschied mehr, ob man nach München oder Paris fahre. Alles sei einfacher und schneller geworden. Damals hingegen sei Zollkompetenz schon maßgeblich gewesen. Man musste einen guten Draht zu den Zollämtern haben, damit man die Waren schnell frei bekam.

Die Geldeintreiber fürs Finanzamt

Ähnlich ist es Wolfgang Stromps, Chef von Stromps + Co. aus Krefeld, ergangen. "Wir haben damals 20 Arbeitsplätze verloren, weil uns die ganze Verzollerei abhanden gekommen ist", berichtet er. Sein Unternehmen gehörte zu den Ersten, die vom Schengen-Abkommen betroffen waren, da es am Niederrhein in der Nähe der Niederlande angesiedelt ist. Schon sein Großvater habe ihn gelehrt, dass man mit Speditionsdokumenten, auf denen kein deutscher Adler drauf sei, kein Geld verdienen könne.

"Wir haben damals an Ein- und Ausfuhr, an Lebensmitteln und Pflanzen verdient", erinnert sich Stromps. Vom Gesamtumsatz sei auf einen Schlag die Hälfte weggebrochen. "Zolldeklaranten waren sozusagen die Geldeintreiber fürs Finanzamt. Wer ordentlich gearbeitet hatte, verdiente gutes Geld und war sehr angesehen", berichtet der Spediteur.

Kein Stopp mehr an Grenzen

Doch auch Stromps ist begeistert vom heutigen Europa: "Wir haben Wohlstand und Warenmobilität, die wir vor 20 Jahren nicht hatten." Kein Stopp mehr an Grenzen, weniger Papieraufwand – die komplette Abwicklung sei für Fahrer und Disponenten viel einfacher geworden. Einziger Wermutstropfen: Transport koste heute nichts mehr, selbst weite Entfernungen bis nach China sind billig wie nie.

"Früher musste wenigstens eine stichprobenweise Warenschau stattfinden", erzählt Ex-Zöllner Cremer. Es bestand ja zumindest die Gefahr, dass   Schmuggelgut wie Zigaretten, Kaffee oder Tee zwischen Teppichen oder Steigen mit Obst lagen. Der Lkw-Fahrer musste dann die mittlere Reihe frei machen, damit die Fahnder prüfen konnten, ob links und rechts was anderes versteckt war. "Sie waren natürlich wenig begeistert und kamen ganz schön ins Schwitzen", erinnert er sich.

Die DDR-Zöllner beherrschten die deutsche Zollgesetzgebung nicht

Als die Grenzabfertigung aufgehoben war, wurden auch die Zöllner frei. Weil überall im Bundesgebiet personeller Bedarf bestand, wurden sie umgesetzt. Einige verrichteten von da an Dienst an den Flughafen-Zollämtern, andere mussten an die erweiterte Zollgrenze an der ehemaligen DDR wie Tschechien und Polen. "Die DDR-Zöllner beherrschten die deutsche Zollgesetzgebung ja nicht. So mussten viele Zöllner vom Westen in den Osten, um dort drüben die Kollegen einzuarbeiten." Um ihnen den Wechsel schmackhaft zu machen, gab es eine Sonderzulage. Cremer: "Wir nannten das  Buschgeld, weil die Zollämter dort viel kleiner und links und rechts von Wald umgeben waren." Wer eine bestimmte Anzahl von Jahren an der Grenze zum Osten Dienst getan hatte, durfte vorzeitig in den Ruhestand gehen. "Das war das Zuckerbrot, das man den Leuten gegeben hatte, damit man sie dorthin setzen konnte", erinnert sich der ehemalige Zolloberamtsrat.

Die Spediteure ganz im Sinne von Konrad Adenauer

Heute schützen in Deutschland rund 40.000 Zöllner die Wirtschaft vor Wettbewerbsverzerrungen, die Verbraucher vor mangelhaften Waren aus dem Ausland und die Bevölkerung vor den Folgen grenzüberschreitender organisierter Kriminalität. Der Zoll nimmt Jahr für Jahr rund die Hälfte der dem Bund zufließenden Steuern ein. Im Jahr 2011 waren das rund 123 Milliarden Euro. Die erhobenen Zölle (2011: 4,6 Milliarden Euro) fließen in den EU-Haushalt.

Während früher die Güter im Zolllager bis zur Freigabe manchmal tagelang weggeschlossen waren, fahren heute die Lkw einfach durch Europa und liefern die Ware am nächsten Tag ab. "Wir haben unglaublich gewonnen", resümieren die Spediteure ganz im Sinne von Konrad Adenauer.

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