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Fahren ohne Fahrerkarte Vermutlich unschuldig

Tachograf Fahrerkarte Foto: Jan Bergrath

Fahren ohne Fahrerkarte – das könnte Chris den Führerschein kosten. Die saftige Geldstrafe hingegen scheint ihm egal zu sein, hier verlässt er sich auf seinen Chef.

Chris sitzt neben mir in der Zentrale der Autobahnkanzlei. Wir blättern gemeinsam die 100 Seiten starke Akte durch. In zwei Wochen ist es soweit: Wir kämpfen zusammen vor dem Amtsgericht. Fahren ohne Fahrerkarte wird ihm vorgeworfen. Der Strafbefehl hat hieraus das Verfälschen technischer Aufzeichnungen gemacht. Das kostet richtig fett Geld. Und die Staatsanwaltschaft hat es auch noch auf den Führerschein von Chris abgesehen: Drei Monate wollen sie den in Verwahrung nehmen. Für Chris wäre das der Untergang. Sein Chef hat bereits mit fristloser Kündigung gedroht – er braucht Chris als Fernfahrer. Die 90 Tagessätze zu jeweils 40 Euro scheinen Chris nicht so zu tangieren. Das Thema wischt er mit einem Hauch von Gleichgültigkeit vom Tisch. Das 3 monatige Fahrverbot tut ihm aber weh.

Die Fahrt ohne Karte kann jeder gemacht haben

Für mich als Verteidiger steht eine juristische Frage im Mittelpunkt. Ist es ein Verfälschen technischer Aufzeichnungen, wenn man die Fahrerkarte rauszieht, weiterfährt und manuell "Pause" nachträgt?! Dass "Pause" manuell nachgetragen wurde, ist ja auf dem Ausdruck erkennbar. Sollte Chris tatsächlich gefahren sein und Pause eingegeben haben, ist die technische Aufzeichnung dadurch trotzdem nicht verfälscht. Ich blättere in allem was die Hausbibliothek zu bieten hat. Irgendwann wird es Chris zu langweilig, mir bei meiner juristischen Recherche zuzugucken. Er verabschiedet sich.

Ich grübele noch eine Weile und vergesse dabei völlig, dass ich mich mit meinem Freund Manfred Hanna von den Frankenstrolchen verabredet habe. Der steht plötzlich im Raum und hört sich mein Problem an. Er sieht das alles locker und fasst seine Meinung zusammen: "Die Karte spiegelt den Fahrer wider und der Massespeicher das Fahrzeug. Die Fahrt ohne Karte kann jeder gemacht haben. Wie wollen die das denn beweisen, dass dein Mandant das war?!" Wo er Recht hat, da hat er Recht. Aber die Frage ob § 268 StGB tatsächlich erfüllt ist, also ein Verfälschen technischer Aufzeichnungen vorliegen würde, ist damit nicht beantwortet.

Die nächsten zwei Wochen beschäftige ich mich jeden Tag mit dem Fall. Das Ding geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Ich halte mein Ansatz, dass das, was Chris vorgeworfen wird, kein Verfälschen technischer Aufzeichnungen ist, für mindestens vertretbar. Damit gehe ich dann auch in die Gerichtsverhandlung. Der Tatvorwurf ist haltlos, führe ich aus. Eine Beweisaufnahme ist überflüssig, ein Freispruch ist geboten. Der Richter beantwortet meine Ausführungen mit einem Lächeln von oben herab. Die Staatsanwältin verzieht keine Miene. Der Richter ruft den Polizisten in den Zeugenstand. Chris und ich haben uns zur Sache nicht eingelassen.

Ein Motiv macht noch keinen Täter

Der Beamte erklärt dem Richter und der Staatsanwältin alles haarklein. Irgendwann platzt mir der Kragen. Immer und immer wieder schildere der Beamte, dass Chris die Karte gezogen habe und dann ohne gefahren sei. Woher er das denn wissen könne, frage ich ihn. Na ja, das dränge sich doch auf. Ich weise darauf hin, dass es in Deutschland eine Unschuldsvermutung gibt und das verdammt nochmal bedeute: Vermutlich ist Chris unschuldig. Dann erläutert der Polizist anhand von Grafiken, die er gefertigt hat, dass es für jeden Fall ein Motiv gab. Immer dann, wenn Ruhezeiten notwendig waren, sei die Fahrerkarte gezogen worden. "Das kann ja sein", erkläre ich, "aber ein Motiv macht noch keinen Täter." Es seien andere Alternativen denkbar: Fahrten auf  dem Betriebsgelände oder das Beistellen eines anderen Fahrers. Der Polizist kramt in seinen Unterlagen. Er zieht von einem Verstoß die ausgelesenen Geschwindigkeiten raus. Die liegen zwischen 60 und 90 km / h. Muss ein großes Betriebsgelände sein, auf dem man so rasen kann, meint er hämisch. Ich weise nochmals daraufhin, dass das alles noch nichts beweist.

Kein Fahrverbot und weniger Knete

Jetzt schaltet sich die Staatsanwältin ein. Stück für Stück lässt sie sich eine Nachhilfestunde im Lesen von Fahrerkartenausdrucken und Massespeicher geben. Das Ganze dauert eine zähe dreiviertel Stunde. Am Ende schaut sie den Richter und dann mich an. Sie hätte einen Vorschlag. Immerhin seien, wenn sie alles richtig verstanden hat, ungefähr 2000 Euro Bußgelder wegen der unzulässig verlängerten Lenkzeiten gespart worden. Gegen Zahlung dieses Betrages würde sie einer Einstellung zustimmen. Ich lehne barsch ab. Ich will Freispruch. Der Richter signalisiert Zustimmung zur Einstellung. Ich bitte um Unterbrechung.

Chris schaut mich verdattert, leicht vorwurfsvoll an. Er will das Angebot unbedingt annehmen. Richtig geil findet er das. Kein Fahrverbot und weniger Knete. Sein Chef würde sich freuen, sagt er. Ich glaube, ich habe mich verhört. Plötzlich wird mir klar, warum Chris der Geldbetrag wurscht war… Ich verdränge den Gedanken ganz schnell und gehe davon aus, dass ich Chris missverstanden habe. Die Freude des Chefs bezog sich sicher darauf, dass Chris kein Fahrverbot bekommt. Chris beauftragt mich, ohne Wenn und Aber die Zustimmung zur Einstellung mit Geldauflage zu erteilen. Das tue ich. Chris freut sich wie wild. Meine Stimmung ist angefressen. Die Rechtsfrage bleibt ungeklärt im Raum stehen. Eigentlich hätte es hier einen Freispruch geben können, bewiesen war gar nichts. Aber möglicherweise ist die ganze Sache ja wirklich für Chris folgenlos ausgegangen. Wer weiß, was er mit seinem Chef abgesprochen hat. In mir weigert sich etwas, darüber nachzudenken. Der Fall ist abgeschlossen.

Neues aus der Autobahnkanzlei

Seit dem 25. Januar gibt es ein neues Gesicht in der Autobahnkanzlei in Feuchtwangen. Kristina Dück, unsere langjährige Rechtsanwaltsfachangestellte, bekommt Nachwuchs. Den möchte sie einige Zeit lang genießen. Deswegen haben wir die erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte Nina Macek neu eingestellt. Frau Macek wird nun von Nicole Knopf aus der Filiale Berg für die speziellen Anforderungen einer Autobahnkanzlei fit gemacht.

Kleine Fälle

i-Phone oder i-Pod?

Kai* wird Zweierlei vorgeworfen. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 6 km/h. Die ist punktefrei und ihm wurscht. Außerdem ein Handyverstoß, der bringt einen Punkt mit sich und juckt ihn. Auf dem Messfoto sieht man, dass Kai ein Gerät der Marke Apple in der Hand hat. Am oberen Teil erkennt man die Kamera. Autobahnanwalt Peter Möller recherchiert im Netz und stellt fest, dass von der Hülle her bei dieser Serie iPhone und iPod baugleich sind. Kai bestätigt ihm, dass er beides hat. Im Gerichtssaal argumentiert Möller, dass das Ding in der Hand von Kai genauso ein iPod sein könne. Er legt Fotos von iPhone und iPod vor, die zeigen, dass sich beide zum Verwechseln ähnlich sehen. Die Richterin verweist auf den Schriftzug "iPod" auf der Rückseite, der würde auf dem Foto fehlen. Ich zeige ihr anhand einer Ausschnittsvergrößerung, dass ein Finger von Kai diesen Schriftzug verdeckt. Das Gericht kann nicht beweisen, dass es ein iPhone ist. Es lässt den Handyverstoß fallen und verurteilt Kai nur zu einem punktefreien Verwarngeld wegen des Bagatell Geschwindigkeitsverstoßes.
AG Arnstadt

Fehler im Protokoll

René* gibt tüchtig Gas, um nach Hause zu kommen. Nach einer anstrengenden Woche freut er sich auf Frau und Kinder. Für die Heimfahrt hat ihm sein Chef einen echten Flitzer geliehen. Mit 51 km/h zu schnell saust René in eine Kontrolle. Bei der Vorbereitung des Gerichtstermins fällt Autobahnanwalt Möller etwas interessantes auf: Im Messprotokoll ist für den Blitzer eine andere Gerätenummer angegeben, als in der Datenzeile des Messfotos. Der Eichschein passt ebenfalls nicht zu den Angaben im Foto. Der Polizist, der als Zeuge vernommen wurde, kann sich dies gar nicht erklären. Am Ende der Beweisaufnahme bittet die Richterin Herrn Möller freundlich um einen Vorschlag. Der erklärt, dass eine Messung ohne Messprotokoll nicht verwertbar sei – und ein korrektes Messprotokoll liege hier nicht vor. Daher fordert er eine Einstellung. Die Richterin folgt diesem Vorschlag und stellt das Verfahren sanktionslos, also punktefrei ein.
AG Halle

Besondere Umstände

Timo* ist richtig angefressen. Das Verfahren regt ihn tierisch auf. Er meint, dass man ihm nichts, aber auch gar nichts vorwerfen könne. Die Kollegen vor ihm haben den Abstandsmesser anscheinend gesehen und sind voll in die Eisen gegangen. Eine Vollbremsung konnte Timo mit 25 Tonnen Blumenerde im Auflieger aber nicht hinlegen. Er hat zwar probiert, den 50-Meter-Abstand wieder aufzubauen. Das ist ihm aber erst zu spät gelungen. Autobahnanwalt Möller weist darauf hin, dass man auf dem Video erkennen könne, wie das Fahrerhaus von Timo mehrfach nach unten federt. Timo hat also aktiv versucht, den Abstand aufzubauen. Die Richterin lässt das Video fünf oder sechs Mal durchlaufen. Danach signalisiert sie Kompromissbereitschaft. Keine Einstellung, aber besondere Tatumstände. Sie urteilt 55 Euro aus. Dafür gibt es wenigstens keinen Punkt.
AG Ansbach

*Alle Namen von der Redaktion geändert

Am Fernfahrertelefon

Rechtsanwalt Peter Möller sitzt am Fernfahrertelefon und steht euch mit Rat und Tat zur Seite. Hier ein Auszug von individuellen Fragen der Kollegen – und die Antworten des Juristen.

Klaus*: "Ist es war, dass Pkw-Fahrer erst bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung ab 26 km/h, Lkw-Fahrer aber schon ab 16 km/h einen Punkt bekommen?!"

Möller: "Lieber Klaus, was du da schilderst, ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist es nämlich noch viel schlimmer. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Bereich von 1 km/h bis 15 km/h kann für einen Lkw-Fahrer schon Punkte bringen, wenn sie mehr als fünf Minuten andauert oder nach Fahrtantritt in mehr als zwei Fällen auftritt. Diese drastische Ungleichbehandlung von Pkw- und Lkw-Fahrern war wahrscheinlich in diesem Ausmaß auch schon früher nicht gerechtfertigt. Jetzt im Zeitalter von Lkw mit hochmodernen Sicherheitsstandards ist diese Differenzierung keinesfalls angemessen. Ich finde das genauso ärgerlich wie du."

Isabella*: "Ist der Begriff 'Blitzer' eigentlich noch korrekt? Inzwischen gibt’s ja Geräte, die Fotos ohne Blitz machen."

Möller: "Ja, Isabella, das ist so. Zum Beispiel im Tunnel bei Jena sind solche Messgeräte eingesetzt. Das gemeine an diesen Blitzern ist, dass du möglicherweise schon einige Male zu schnell gefahren bist, bis der erste Anhörungsbogen ins Haus flattert, und du gar nicht gemerkt hast, dass dort eine Geschwindigkeitskontrolle stattfindet. Die pädagogische Wirkung tritt also mit bewusster Ladehemmung ein. Das heißt: zuerst das Geld, dann die Verkehrserziehung."

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FERNFAHRER Titel 3/2016
FERNFAHRER 03 / 2016
8. Februar 2016
Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FERNFAHRER Titel 3/2016
FERNFAHRER 03 / 2016
8. Februar 2016
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